Auf einen Kaffee mit: Lars Ruppel

Auf einen Kaffee mit: Lars Ruppel

Ein lauer Wind weht durch Marburg, die Uhr zeigt zwölf und im ehemaligen Bottega, das der Poetry-Slammer und Deutsche Poetry-Slam-Meister des Jahres 2014 Lars Ruppel höchstselbst für das Treffen mit uns vorgeschlagen hat, wird Kaffee, Milchkaffee und Wasser geordert.

PHILIPP: Okay Lars. Wer bist du, was machst du und warum machst du das, was du machst?

Lars Ruppel: Mein Name ist Lars Ruppel, ich wohne in Berlin, bin mittlerweile 30 Jahre alt und stehe von Berufswegen aus verschiedenen Anlässen auf der Bühne. Mal, weil ich etwas moderiere, einen Vortrag halte oder Gedichte vortrage. Und das mache ich, weil ich mich dazu entschieden habe, nichts anderes zu machen. Oder einfacher: weil ich an nichts anderem so viel Freude habe.

Was war denn die Initialzündung für diese Erkenntnis?

Dass ich nicht wusste, was ich sonst machen sollte. Ich hatte nach dem Abi einfach keinerlei Ideen und ich dachte mir: Ich will nie etwas machen, was ich nicht wirklich will, sondern nur etwas, das aus einer selbstbestimmten Entscheidung heraus resultiert. Und dann hatte ich das Glück, dass meine Eltern nicht darauf beharrt haben, dass ich studiere oder eine Ausbildung mache.

Was war dein erster Text? Weißt du das noch?

Ja, weiß ich noch. Aber ich habe versucht, das zu verdrängen. Ich dachte damals, dass es beim Poetry Slam darum geht, dass man das Publikum mitmachen lässt. Ich hatte ja nur kurz erklärt bekommen, um was es geht. Denn der erste Poetry-Slam, den ich besucht habe, war auch der erste, an dem ich teilgenommen habe.

Wie alt warst du da denn?

Ich glaube 16. Und es war so schlecht. Ich wollte damals einfach nur provozieren. So als junger wilder Kerl die Leute schocken.

Hast du dich ausgezogen?

Ne, nicht ganz. Aber ich hab‘ mich von der Bühne fallen lassen, so dass ich aufschlage, in der Hoffnung, dass ich mich spektakulär verletze, bin schreiend aus dem Raum gerannt und nicht mehr zur Veranstaltung zurückgekehrt. Ich wollte eigentlich nur alles kaputt machen.

Das Telefon klingelt. Lars entschuldigt sich und verlässt das Bottega kurz. Nach drei Minuten ist er wieder da, begrüßt die Journalistin erneut mit einem: Hi.

Hi. Du hast grade erzählt, dass du damals schreiend von der Bühne gerannt bist… Heute stehst du trotzdem hauptberuflich auf der Bühne.

Ich nehme aus finanziellen Gründen nicht mehr wirklich an regulären Wettbewerben teil. Wie früher, als man für wenig bis gar kein Geld sehr lange gefahren ist. Das war ’ne Zeit lang nötig, weil wenig Publikum und wenig Förderung und folglich wenig Geld da war. Heute können die Poeten ein bisschen bezahlt werden. Trotzdem kann ich es mir nicht mehr leisten, so einfache Wettbewerbsauftritte zu machen, sondern mache nur noch bezahlte Auftritte. Ich bin eine richtige Hure, ich mache alles für Geld. Geld ist mein Freund.

Lars, was ist denn dein Lieblingswort?

Ein festes habe ich nicht. Aber jetzt gerade, wo ich so lang auf Tour bin, ist es wohl “zu Hause“.

Die Frage hat man dir sicher schon oft gestellt: Es gibt da eine blonde Slammerin, die mit ihrem Slam im letzten Jahr ziemlich, wie sagt man so schön: „viral gegangen ist“. Wie hast du das aufgenommen?

Ich war voll neidisch. Weil der Text natürlich viel schlechter war, als die meisten, die ich und meine Kollegen bis dahin geschrieben hatten. Außerdem dachte ich: Die Aufmerksamkeit haben ich und mindestens 50 andere Slammer verdient, die alle schon bessere Texte und Auftritte hingelegt haben, die alle schon mehr für den Slam in Deutschland getan haben. Aber: Ich fand’s auch irgendwie cool, besonders die Diskussion der Slammer darum. Und klar, Poetry Slam ist bekannter geworden dadurch. Das Gute ist, dass die, die Julia Engelmann bei ’nem Slam erwarten, dann zu ’nem Slam gehen und dann enttäuscht sind. Die kommen dann auch nicht mehr wieder, weil sie merken, dass da was ganz anderes passiert als dieses hygienische Yolo-Gequatsche. Oder sie bleiben, was auch cool ist. Das reinigt sich schon wieder selbst.

Also hat auch Poerty Slam seinen Trend-Zenit erreicht?

Poetry Slam war nie Trend. Man nimmt das nur selber gar nicht wahr, weil man es selbst kennt und viele Leute kennt, die es kennen. Aber Slam ist nie sonderlich groß geworden. Die da kennt keinen Slam, der da kennt keinen Slam. Er zeigt auf zufällig vorbeilaufende Passant*innen vor dem Bottega, während er das sagt. Die hören alle Musik und kennen alle Till Schweiger und mögen diese Plastikschuhe, Clocks. Das sind Trends. Slam ist kein Trend, sondern immer noch eine Randerscheinung.

Woran liegt das?

Weil es Slam schon so lange gibt. Wenn der jetzt noch mal trendy wird, dann wäre das fast schon retro.

Grenzt sich denn der Slam vom, sagen wir, „institutionellen Literaturbetrieb“ ab?

Wenn wir uns abgrenzen, dann nur als Schutzreaktion oder aus Zickigkeit gegenüber den Ausgrenzungen des Literaturbetriebs. Wir wären ja alle froh über mehr Wertschätzung, weil: da sitzt das öffentliche Geld! Da wollen wir auch hin. Nur für Eintrittsgelder auftreten nervt ja. 2000 Euro Festgage für einen Auftritt in der Cavete wären mir natürlich lieber als auf Eintritt zu spielen. Aber das wissen die Literaturbetriebsleiter auch und das finden die doof, weil dann immer mehr Leute das Geld wollen, das da ist. Die haben Angst.

Angst vor eurem Können?

Ja, weil manche auch total lame sind. Ist ja ’ne Schande, was sich da Literaturpreisträger schimpft. Vor allem sind’s immer die gleichen.

Also ist die deutsche Literatur am Scheitern?

Nicht die deutsche Literatur, aber das System dahinter. Die Kulturförderung ist ein Witz. Und so ungerecht.

Weil die großen Opernbetriebe so viel Geld bekommen und die kleinen Künstler*innen nicht?

Ja, weil die freien Künste beschnitten werden und dann ein Literaturpreis für eine Person so hoch dotiert ist, dass wir damit eine deutschlandweite Slammeisterschaft für sechzig junge Poeten und Poetinnen finanzieren könnten, wovon so viel mehr Menschen etwas hätten.

Aber, wenn du, und andere Poetry-Slammer*innen jetzt Bücher veröffentlichen, ist das dann nicht auch irgendwie ein Zeichen, dass ihr in diesem Literaturbetrieb partizipieren wollt?

Der Begriff Buch ist ja nicht von „dem“ Literaturbetrieb geschützt und von ihm reserviert. Jeder Idiot bringt heute ein Buch heraus. Der gebundene Text ist halt einfach praktisch. Man kann’s zum Beispiel seiner Mutter schenken, die stellt’s dann hin und zeigt’s ihren Freundinnen. Das ist einfach schön. Aber das ist kein Versuch in die klassische Literaturszene zu gelangen.

Ihr seid mit euch selbst also glücklich genug?

Ich wäre mit noch mehr Leuten im Publikum und auf der Bühne vielleicht noch glücklicher, aber ja.

Fehlt dir denn irgendwas in der Poetry-Slam-Szene?

Bewusstsein und Relevanz. Dass man sich dessen bewusst ist, dass das, was man macht, tatsächlich eine Bewegung repräsentiert und dass man sich dieses Privilegs bewusst sein sollte, das auf der Bühne vor so vielen Leuten machen zu dürfen. Weil da auch viele junge Leute sitzen, die davon was lernen könnten. Viele Leute bleiben an der Oberfläche und sind sich der Möglichkeit gar nicht bewusst, was Wichtiges zu sagen. Was wirklich Wichtiges. Und nicht: „Meine Mitbewohnerin ist heute morgen in meinem Bett aufgewacht, also steige ich auf ein Hochhaus und nutze den Tag“. Sondern eben mit politischer oder sozialer Relevanz.

Es wird nicht genug kritisiert?

Manchmal nicht, nein. Außerdem nerven die testosterongesteuerten, mainstreamhumorigen, prolligen Texte, die nur bewirken, dass Frauen gar nicht mehr auf Slams auftreten wollen.

Das Genderverhältnis könnte besser aussehen.

Es liegt vieles im Argen. Auch die Inklusion von Menschen mit Behinderung. Oder, dass das Publikum zumeist aus weißen, akademischen Männern und Frauen im Alter von 20 bis 29 besteht. Es sind kaum Menschen mit Migrationshintergrund auf oder vor der Bühne. Dabei ist Poetry-Slam so eine offene Veranstaltung, die das Licht der Gesellschaft eigentlich auch richtig widergespiegeln könnte. Sind ja nicht alle 25, heißen Nora und studieren Lehramt.

Okay. Unterhalten wir uns mal über Marburg. Was findest du denn hier so richtig cool und was so richtig kacke?

Ich liebe den Herbst in Marburg. Ich bin mir sicher, dass Marburg im Herbst gebaut wurde und auch im Herbst fallen wird. Traurig ist wiederum das Schloss. Das ist echt der toteste Punkt der Welt. Die ganze Stadt dreht sich um ein riesiges Nichts, und das steht ganz oben.

Sonst noch was?

Marburg entwickelt sich baulich unfassbar positiv. Hier wird so viel gemacht und es verbessert sich so viel. Klar kann man sich fragen, ob die alte Frauenklinik nicht schöner war oder als Freiraum erhalten bleiben sollte, aber es passiert unfassbar viel und das wird relativ harmonisch umgesetzt. Ich finde die ganzen Pohl-Investitionen auch nicht schlimm. Man kann doch froh sein, wenn die ganzen Wirtschaftseliten Geld geben! Die sollen noch mehr Geld geben! Die sollen der Kultur Geld geben! Schließlich nehmen sie es uns ja auch hinterrücks ab und die Stadt lässt die walten und behalten! Es gibt zu viele Banditen unter den Eliten. Es funktioniert glaube ich nicht mehr, darauf zu hoffen, dass der Staat genug Geld einnimmt um Kultur, Bildung und dergleichen zu finanzieren. Das sollen ruhig die Reichen machen, die vom Kapitalismus so profitiert haben, dass es vielen anderen schlecht geht.

Aber durch so ein Mäzentum ergibt sich ja schnell die Gefahr, dass Kultur ökonomisiert wird und sich dann nur noch die Kultur hält, die gewollt ist.

Genau das passiert doch momentan auch? Natürlich müsste ein Verteilungsschlüssel für private Gelder gefunden werden.

In New York sieht man doch ganz gut, was dieses Mäzentum ausrichten kann. Da wird am Broadway dann gespielt, was denen passt.

Wer am Broadway Avantgarde sucht, der sucht auch die Kirche auf der Reeperbahn. Die „ungewollte Kunst“ von der du sprichst sucht sich ihren Raum und würde sich auf dem Broadway doch gar nicht wohlfühlen. Deswegen will doch jeder nach Berlin. Weil man da recht leicht die Kunst findet, die kein Geld bekommt. Weil Berlin das wenige Geld, das es hat, in die Opern steckt.

Ein letztes noch: Wenn Marburg eine Person und dein bester Freund wäre, welche Geschichte würdet ihr euch heute noch erzählen?

Bis um 14 Uhr ausschlafen, einen Kaffee an der Wasserscheide trinken, ohne das Gefühl zu haben, die Stadt wäre einem böse. Diese Stadt ist für Taugenichtse gemacht.

Die beiden unterhalten sich noch ein bisschen über den Affenfelsen, von dem Lars sagt, dass er wie eine Kakerlake im Gesicht einer schönen Frau sei. Und dann natürlich auch über Berlin. Da gäbe es auch eine Marburg-Connection, erzählt Lars. Außerdem sprechen die beiden noch über ihre Lieblingsautor*innen. Erich Kästner und Bertholt Brecht sind es auf Seiten von Lars, Böll und Bukowski auf seiten der Journalistin. Das Gespräch, mittlerweile so abgeschwiffen, dass sie sich über Katzenvideos im Internet unterhalten, endet schließlich, als Bo Wimmer das ehemalige Bottega betritt. Die beiden Freunde sind zum Mittag verabredet.

ILLUSTRATION: Leonie Kunkel

PHILIPP-Gründerin und Chefredakteurin von 2014 - 2017.

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