Endgegner*in: Einsamkeit im Studium

Endgegner*in: Einsamkeit im Studium

Bild: Laura Schiller

Es ist Oktober 2017 und meine erste Woche an der Uni. Neue Stadt, neue Menschen, ein neues Kapitel im Leben. Trotz Nervosität und Aufregung erinnere ich mich vor allem auch an große Erwartungen und an Vorfreude auf die kommenden Monate und Jahre.

„Studieren wird die beste Zeit deines Lebens“, so wurde es mir versprochen – von Menschen in meinem Umfeld und auch in vielen anderen Erzählungen, die mir über die Studienzeit begegneten. In amerikanischen Filmen trinken Studierende literweise Alkohol aus roten Plastikbechern oder sitzen in perfekt diversen Gruppen auf grünen Rasenflächen. Sie hängen vor allem viel rum, in Vorlesungen, WGs, Cafés oder Kneipen, sie diskutieren, feiern und probieren sich aus. In den Semesterferien trampen sie durch ferne Länder oder sammeln sich an Seen oder Flüssen zum Entspannen. Egal wo, Studierende sind vor allem selten eines: allein.

Bröckelnde Erwartungen

Doch nach einigen Wochen, die ich in Vorlesungssälen und Seminarräumen verbrachte, musste ich feststellen, dass meine Realität deutlich anders aussieht. 

Obwohl ich mich bemühte alles mitzumachen – Infoveranstaltungen, Stadtführungen und die obligatorische Kneipentour – musste ich feststellen, dass sich Freundschaften nicht ganz von allein einstellen. Am Anfang meines Studiums verbrachte ich einen großen Teil meiner Zeit allein. Ich ging allein in die Mensa, zu Veranstaltungen, machte allein Kaffeepausen und Bibsessions. Dabei war ich trotzdem ständig unter Menschen. Ich traf mich sogar hin und wieder mit Kommiliton*innen, doch wirklich verbunden fühlte ich mich dabei selten. 

Ich war einsam. 

Diesen Satz auszusprechen (oder aufzuschreiben) fällt mir immer noch schwer, auch wenn mein Leben heute durchaus anders aussieht. 

Einsamkeit, gerade unter jungen Menschen, ist schambehaftet und nur schwer zu beschreiben. Die Autorin Olivia Laing versucht es, indem sie Einsamkeit mit Hunger vergleicht: „Man hat Hunger während sich ringsum alle den Bauch vollschlagen“. Auch für mich schien es, als seien alle um mich herum immer nur in Gruppen unterwegs und dass ich es nicht war, konnte ich auf nichts anderes als persönliches Versagen zurückführen. Dabei ist das Gefühl nicht selten: Laut einer Studie aus dem letzten Jahr fühlt sich fast die Hälfte der 16- bis 30-Jährigen zumindest ab und zu einsam. Es muss also doch etwas mehr dahinterstecken.

Individuelles Scheitern oder strukturelles Problem?

Klar, ich war jung und vielleicht etwas zu naiv. Mir fiel es schwer auf andere zuzugehen, doch rückblickend gibt es noch viele andere Gründe für meine Kontaktlosigkeit. Mein Studiengang war groß; einige Leute sah ich einmal und dann erst Wochen später wieder – wenn überhaupt. Viele Kommiliton*innen pflegten ihre Kontakte in der Heimat mehr als die in der Studienstadt und fuhren an den Wochenenden häufig zurück, andere pendelten weitere Strecken oder arbeiteten, um sich das Studium leisten zu können. Fast zwei Jahre Onlineunterricht durch Corona haben sicher auch nicht geholfen. 

In einer Zeit, in der Mieten und Lebensmittelkosten immer weiter steigen, ist es für die meisten Studierenden eben gar nicht mehr realistisch ein Leben zwischen Rausch und Hörsaal zu führen. Nebenjobs, Wohnsituation und der Druck, so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt einzusteigen, erschweren die Pflege sozialer Kontakte. 

Auch die soziale Herkunft spielt eine Rolle. Denn wer in den ersten Uniwochen erstmal BAföG beantragen, sämtliche Abkürzungen des Hochschulalltags verstehen und sich mit dem Erlernen von Akademikerdeutsch auseinandersetzen muss, kann deutlich weniger Zeit und Energie in die Kontaktsuche stecken. Kinder von Nicht-Akademiker*innen fühlen sich an der Uni zunächst oftmals fremd und nicht zugehörig, was das Gefühl von Einsamkeit befeuern kann. 

Zusammen ist man weniger allein

Auch ohne diese zusätzliche Hürde, steckte ich viel Energie in Erfahrungen, die mich – so hoffte ich zumindest – mit anderen in Verbindung bringen konnten: Ich trat einer Hochschulgruppe bei, meldete mich beim Unisport an, machte ein Auslandssemester. Mit der Zeit und wachsender Erfahrung lernte ich, offener auf andere zuzugehen und traf Menschen, durch die ich mich weniger allein fühlte. 

Mein Bild vom Studierendenleben hat sich geändert. Wenn ich anderen von meiner Erfahrung erzähle, stelle ich fest, dass ich bei Weitem nicht die Einzige bin. Trotzdem bleibt Einsamkeit im Unikontext weitgehend unsichtbar. „Einsamkeit ist privat, aber sie ist auch politisch“, stellt Laing in Die Einsame Stadt fest. Denn während sie ein Gefühl ist, das man allein trägt, das ja gerade durch Isolation geprägt ist, gibt es zahlreiche strukturelle Faktoren, durch die sie bedingt wird. Der Weg heraus kann daher nicht nur ein individueller sein.

(Lektoriert von jub und jap.)

studiert Soziologie im Master, wenn sie nicht gerade in Marburgs Cafes Kaffee trinkt oder irgendwo auf Reisen ist.

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