Inflation bis 2024? — ein Interview mit Prof. Hayo (Makroökonomie)

Inflation bis 2024? —  ein Interview mit Prof. Hayo (Makroökonomie)

Wirtschaft auf einer Serviette: 1974 hat der junge Prof. Arthur Laffer dem damaligen US-Präsident Gerald R. Ford mit der Zeichnung einer Kurve auf einer Serviette erklärt, warum der Staat die Steuer kürzen sollte. Die Wirtschaft war damals in einem Zustand von Stagflation (hohe Inflation und hohe Arbeitslosenquote). Maßnahmen dagegen waren notwendig. Anschließend ist die Arbeitslosenquote sowie die Inflationsrate gesunken, letztere von 12% zu 4,8%. Heute haben wir steigende Preise, doch keiner überreicht uns eine Serviette. Prof. Hayo, Professor für Makroökonomie an der Universität Marburg und Leiter der Forschungsgruppe für Makroökonomie gibt uns eine präzise Erklärung für die aktuellen Wirtschaftsphänomene.

Die Inflation (und der Verbraucherpreisindex)

Der Verbraucherpreisindex (VPI) misst, wie sich die Preise aller Waren und Dienstleistungen entwicklen, die private Haushalte für Konsumzwecke kaufen. Steigt der VPI langfristig an, spricht man von Inflation. Sinkt er langfristig, spricht man von Deflation. Die Veränderungsrate des Verbraucherpreisindex wird umgangssprachlich auch als Inflationsrate bezeichnet. Als Grundlage für den Verbraucherpreisindex dient ein repräsentativer Warenkorb, in dem Mieten, Nahrung, Kleidung, aber auch technische Geräte sowie Reise- und Gesundheitsleistungen enthalten sind.

Quelle: Bundesregierung

Im September hatte die Inflationsrate mit 10,0 Prozent bereits den höchsten Stand seit Jahrzehnten laut der Tagesschau: Wie ist das nachzuvollziehen?

Wir müssen erstmal zwischen der Inflationsrate und dem Phänomen der Inflation unterscheiden. Das Phänomen der Inflation bezieht sich auf einen mittelfristigen Anstieg der Preise. Die Inflationsrate misst den Preisanstieg zu einem bestimmten Zeitpunkt. Nun es ist ja so, dass wir steigende Inflationsraten seit Spätsommer 2021 beobachten, so dass jetzt genügend Zeit vergangen ist, um zu sagen: Ja, wir haben auf jeden Fall eine Phase ansteigender Inflation. In 2023 spricht Vieles dafür, dass die Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2% nicht erreicht wird, sondern die Inflationsrate höher sein wird.

Die EZB sorgt für die Preisstabilität. Die EZB setzt einen Leitzins, mit dem die Banken ihre Zinsraten setzen. Ein höherer Leitzins bedeutet weniger Inflation und umgekehrt bedeutet ein niedrigerer Leitzins mehr Inflation. Sind die Maßnahmen der EZB ausreichend?

Die EZB reagiert sehr spät. Ein wichtiger Grundsatz der Geldpolitik ist, dass man vorausschauend handeln muss. Die EZB ist davon ausgegangen, dass es sich um temporäre Preissteigerung von Energie handelt, die unter anderem durch Versorgungsengpässe bedingt sind. Durch unvorhergesehene Ereignisse wie dem Ukrainekrieg verschärften sich diese Entwicklungen. Die Regierungen vieler europäischer Länder sind verschuldet und wenn die Zinsen ansteigen, bedeutet das, dass ein erheblicher Teil der Staatseinnahmen nur für den Schuldendienst aufgewendet werden muss, also der Budgetspielraum enorm eingeengt wird. Das ist ein wichtiger Punkt zur Erklärung, warum die EZB Zinssteigerungen so lange hinausgezögert hat. Der andere Punkt ist der Blick der EZB auf die Konjunktur in Europa, die eben durch die Pandemie und jetzt natürlich durch den Ukrainekrieg negativ betroffen ist und man von daher gerne eine expansive Geldpolitik (=die Zentralbank erhöht die verfügbare Geldmenge) beibehalten hätte. Letztlich musste angesichts der starken Preissteigerungen die EZB aber aktiv werden, auch wenn die Leitzinsen mit zurzeit 1.25% noch nicht sonderlich hoch sind. Über einen aktiven Ausstieg aus den Folgen der Politik des Quantitative Easing, also des direkten Kaufs von Wertpapieren, wird bisher noch nicht einmal nachgedacht.

Wenn der Zinssatz steigt, verringert sich der Konsum und die Investitionen. Wie steht es um den Konsum und die Investitionen heute?

Was wir im Rahmen des Schocks durch die Pandemie sehen, ist eine Kombination aus Nachfrage- und Angebotschocks. In der Eurozone haben viele Länder den Nachfrageschock auf Konsumentenseite ausgeglichen durch expansive Fiskalpolitik (=Erhöhung der Staatsausgaben oder Senkung der Steuer). Die Stabilisierungsprogramme, die eingeleitet worden sind, um die Ausgaben der Haushalte zu stützen, tragen eben dazu bei, dass die Nachfrage sich nur wenig verringert hat. Der parallel stattfindende negative Angebotsschock führt dazu, dass sich die Produktion von Unternehmen verringert, d.h. weniger Güter werden zu höheren Preisen angeboten, was zur gegenwärtigen Situation der Stagflation führt. Das Problem ist, dass die Geldpolitik keine direkten Möglichkeiten hat, Angebotsschocks zu bekämpfen. Sie muss diesen über eine Drosslung der Nachfrage begegnen, was zur Folge hat, dass sie im besten Fall zwar erfolgreich die Preise senken kann, aber vermutlich nur durch Auftreten der Nebenwirkung einer Rezession (=Abschwung der Wirtschaft: sinkende Nachfrage, Gewinne, Produktion, Investitionen, Preise und Löhne, mehr Entlassungen, weniger Konsum). Auch deshalb ist die EZB zögerlich diesen Weg zu gehen, weil einige Ökonomien in Europa schon jetzt recht angeschlagen sind.

Die EZB kann den Staat nicht beeinflussen. Welche fiskalpolitischen Maßnahmen kommen daher in Frage?

Die Inflation wird von der Fiskalpolitik durch die staatlichen Unterstützungsprogramme beeinflusst. Ein Herunterfahren dieser Programme, ist, glaube ich, hilfreich, wenn es um die Bekämpfung der Inflation geht. Die bisherigen Entscheidungen in Deutschland lassen mich eher an der wirtschaftspolitischen Kompetenz unsere Regierung zweifeln.
Die Absenkung der Mineralölsteuer scheint völlig sinnfrei. Wir legen den Fokus auf den Klimawandel mit hoher Besteuerung von CO2-verursachenden Tätigkeiten, wozu Autofahren offensichtlich gehört. Aber ob jetzt der Benzinpreis ansteigt, weil die Ökosteuer erhöht wird oder weil die Energiepreise insgesamt steigen, spielt für den Anstieg der Kosten der Autonutzung keine Rolle. Gleichzeitig werden diejenigen durch die Steuersenkung bevorzugt, die große Autos mit hohem Verbrauch fahren, was typischerweise wohlhabendere Bürger sind. Zweitens die Ausgleichszahlungen für die gestiegenen Kosten in Form einer Pauschale in Höhe von 300 Euro, die an Arbeitnehmer*Innen ausgezahlt werden: Ich halte diese für Verschwendung, weil viele Haushalte von Besserverdienenden das gar nicht nötig haben. Es wird mit der Gießkanne ausgeschüttet, anstatt nur die Haushalte am unteren Rand der Einkommensverteilung zu berücksichtigen, die durch die steigenden Preise möglicherweise in die Armut gedrückt werden. Wenn man die volkswirtschaftliche Nachfrage aber auf breiter Front erhöht, dann wirkt das inflationssteigernd.
Das 9-Euro Ticket ist im Prinzip eine nette Idee, aber dieses in einer Situation einzuführen, in der die Deutsche Bahn sowieso schon an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit operiert, finde ich nur schwer nachvollziehbar. Wenn es darum geht, die Leute in die Bahn zu locken, dann wird man es nicht dadurch erreichen, dass die Leute nicht in den Zug reinkommen, weil der überfüllt ist, oder wenn sich eine Verspätung an die andere reiht.

Ist das Entlastungspaket der Bundesregierung von 3,5 Milliarde für Unternehmen für sie nachvollziehbar?

Es ist schwierig festzustellen, was passiert wäre, wenn die Subvention nicht gezahlt worden wären. In vielen Fällen hat man sogenannte Mitnahmeeffekte, d.h. die Unternehmen nehmen die Subvention mit, um Dinge zu tun, die sie getan hätten. Das bedeutet für Unternehmen an vielen Stellen so etwas wie ein unerwarteter Anstieg der Einnahmen. Das wirkt sich positiv auf die Unternehmensbilanz aus. Gleichzeitig hat das bei manchen Unternehmen aber dazu geführt, dass sie überhaupt die Krisensituation überlebt haben. Es ist sehr schwierig diese Art der Subventionen so gezielt zu verteilen, dass nur die etwas bekommen, die es wirklich nötig haben.

Nun die Konsumentenseite: Können die Preise sinken, wenn die Steuern steigen oder die Ausgaben des Staates zurückgehen?

Naja, es kommt darauf an. Es gibt drei Punkte, auf denen man aufpassen muss: erstens was es für Steuern sind, zweitens wie die Volkswirtschaft als Ganzes reagiert und drittens was der Rest der Welt macht. Wenn es jetzt eine indirekte Steuererhöhung in Form der Mehrwertsteuererhöhung gäbe, dann hätte das einen direkten Einfluss auf die Inflationsrate. Wenn wir die Mehrwertsteuer anheben, dann steigen die Preise ganz automatisch. Bei direkten Steuern, wie der Einkommensteuer, ist es nicht so klar. Da kommt es auf die volkswirtschaftliche Reaktion an. Typischerweise würde man erwarten, dass sich bei einer Steuererhöhung der Konsum reduziert. Aber wenn die Leute klare Konsumpläne haben, dann kann es sein, dass der Rückgang des verfügbaren Einkommens sich nicht in einer Reduktion des Konsums bemerkbar macht, sondern die Sparquote sinkt. Insofern hängt es ein bisschen von den Konsumplänen und den Zukunftsperspektiven der Haushalte ab.
Darüber hinaus ist es relevant was im Rest der Welt passiert. Ein nicht geringer Teil der Inflation ist auf steigende Energiepreise zurückzuführen. Deshalb sehen wir Inflation nicht nur in Euroländern, sondern auch in den USA und anderen außereuropäischen Ländern. Man muss aber beachten, dass sich sogenannte Zweitrundeneffekte bilden werden. Bei den nächsten Lohnverhandlungen in Deutschland werden die Gewerkschaften darauf hinweisen, dass der Nominallohn (=der Lohn, der auf dem Bankkonto landet) der Beschäftigten deutlich gesunken ist. Die Kaufkraft des Geldes ist durch den Inflationsanstieg gesunken, und in nominalen Größen müssen die Löhne sichtbar ansteigen (um die hohen Preisen) (zumindest weitgehend) auszugleichen. Das bedeutet für die Unternehmen, dass die Kosten ansteigen werden. Die Unternehmen legen die höheren Kosten auf die Preise um und damit erreicht die Inflation alle Bereiche der Volkswirtschaft.

Das Interview wurde am 26.06.2022 durchgeführt.

Foto: westend61.de

ist 21 Jahre alt. Studiert VWL im Bachelor. Kommt ursprünglich aus Lima, Peru und liebt Vanilleeis über alles.

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