Sneak-Review #229: Inside
Der Psychothriller Inside ist eine beunruhigende Erkundung der menschlichen Psyche – inwiefern kann die Kunst als Mittel dafür dienen?
Kunstdieb Nemo (Willem Dafoe) ist in Inside (Regie: Vasilis Katsoupis) der Überlebende eines Berufsunfalls: Ein Einbruch in einer eleganten, avantgardistischen und ultramodernen Hochhauswohnung in New York, der schief geht. Unzählbare Tage bleibt er in der Wohnung eingeschlossen, die einer Kunstgalerie ähnelt. Der unbekannte Besitzer, der selbst Kunstsammler ist, nennt Werke von unschätzbarem Wert sein Eigen. In dieser Wohnung eingeschlossen zu sein bedeutet eine Erkundung seiner Denk- und Lebensweise für Nemo. Er amüsiert in 105 Minuten mithilfe seiner handwerklichen Begabung das Publikum, während er eine Fluchtmöglichkeit zu finden versucht. Der Film steht unter dem Motto: Never let them know your next move.
Make yourself at home
Der Film beginnt mit dem Einbruch von Nemo in die Wohnung. Zwei von den drei gewünschten Kunstwerken sind leicht zu finden, nur das Selbstporträt von Egon Schiele nicht. Sieben Minuten hat er, um den Auftrag zu erfüllen, doch das Selbstporträt ist nirgends zu finden. Plötzlich ist die Kommunikation über das Walkie-Talkie mit seinem Partner unterbrochen und die hypermoderne Wohnung, in der selbst der Kühlschrank ein Gespräch führen kann, aktiviert einen Sicherheitsmodus. Blitzende Lichter und ein ohrenbetäubender Signalton können Nemo kurz verwirren, aber er beruhigt sich, als er es schafft, die Kabelverbindung der Lichter und des Horns durchzuschneiden. Leider kommt das mit einem hohen Preis: Das Gerät, mit dem man die Sicherheitsanlage und alle anderen häuslichen Prozesse kontrollieren kann, geht kaputt. Zunächst wird die selbstregulierende Temperatur in der Wohnung sein Feind, aber der Kampf fängt gerade erst an.
Der Film ist kein Survival Kit, sondern eher eine Erkundung der riesigen Wohnung unseres unbekannten Sammlers. Das Jonglieren zwischen dem Überleben und der Selbstfindung nimmt sehr viel Raum in dem Film ein. Zwischen Delikatessen und Hundefutter kann Nemo problemlos zurechtkommen. Aber das teure Essen wird ab einem gewissen Punkt nicht mehr genügen und er ist verzweifelt. Hungrig wie er ist, kriegt er die Krise, als er die Skulptur einer geschimmelten Orange findet – und so fängt die Entdeckungsreise in seinem Bewusstsein an. Er beginnt zu zeichnen, um sich auszudrücken: Ungeduldig, die Wohnung zu verlassen, zeichnet er fleißig, was ihn bewegen. Gleichzeitig sind die Zeichnungen eine Verwirklichung seiner Gedanken und eine Botschaft an den Kunstsammler. Ist die geschimmelte Orange ein Beweis dafür, dass etwas, was schlecht ist, unsterblich werden kann, wenn man es will oder dass jemand so viele Ressourcen hat, dass er überreife Früchte als Dekoration benutzen kann?
All the time that will come after this moment
Unser Kunstdieb beobachtet die Werke an den Wänden ganz genau, ist aber nicht verwundert von der Existenz der allwissenden Werke. An der Grenze des Überlebens, wie viel hilft einem da noch ein Bild an der Wand? „All the time that will come after this moment“ – dieser Satz taucht mehrmals in Neonlichtern an der Wand auf. Doch was für eine Zeit wird kommen, wenn Nemo noch länger in der Wohnung bleibt?
Der Regisseur nutzt die körperliche Energie des Schauspielers konstant aus. Es gibt zahlreiche Unternehmungen, in denen Nemo kreativ sein muss. In dieser Richtung wird gezeigt, inwieweit der Körper seine Grenzen kennen kann. Wird darin die Verbindung zwischen Kunst und das Bedürfnis, unsterblich zu werden, deutlich? Kunst dient vor allem dazu, dass ein kulturelles Vermögen in der Gesellschaft bleibt. Sie kann zu einer universalen Sprache werden, weil unsere Sinne und Gefühle andere Mittel als Worte benutzen und die sind für alle verständlich. Die Bedeutung von Kunst wird erst dann deutlich, wenn Nemo inspiriert wird, eine Botschaft an den Besitzer, zu hinterlassen. Das heißt, wenn er aus Erschöpfung nichts körperlich Anstrengendes mehr schafft, zeichnet er. Dieser Ansatz ist nicht schwer auszulegen und das sollte früher passieren. Man kann nicht 90 Minuten zusehen, wie Willem Dafoe Eiswürfel isst. Er ist eingeschlossen in der Wohnung, muss also die Technologie der Wohnung meistern, um zu entkommen. Wenn das nicht geschieht, wird er höchstwahrscheinlich wegen der sehr niedrigen oder sehr hohen Temperaturen sterben.
„Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“ (Theodor W. Adorno)
In den 2000er Jahren wurden mit Filmen wie Castaway (Regie: Robert Zemeckis) oder Life of Pi (Regie: Ang Lee) Überlebensgeschichte in der Natur gezeigt. Wie der Mensch schrittweise seine Umgebung kennenlernt ist ein zentrales Thema in diesen Werken. Früher wollte man von einer Insel weg und jetzt aus einer ultramodernen Wohnung. Haben wir etwas falsch gemacht? Hier ist eine riesige Wohnung der Kampfplatz und die Technologie im Gebäude erfordert zum Überleben, dass man sich damit auskennt. Sollte man also lieber lernen, Feuer zu machen oder elektronische Raumthermostate zu deinstallieren? In diesem Sinne ist es einfach zu raten, dass fast das ganze Budget des Filmes in der Gestaltung der Wohnung steckt. Willem Dafoe war in anderen Filmen zu sehen, in denen er eine bemerkenswerte Arbeit geleistet hat, wie The Lighthouse (2019) von Robert Eggers oder als Grüner Kobold in Spider Man (2002) und sollte deswegen nicht nur nach diesem Film in Erinnerung bleiben. Trotzdem zeigen uns seine Gesichtsausdrücke, dass Erfahrung ohne eigene Überzeugung nicht gesammelt werden kann. Er ist vielseitig und kann uns unterhalten, während er Fluchtarten erfindet. Er trägt ein großes Gewicht auf den Schultern während des Filmes: Wir sehen einen Belastungskrieg, manchmal mit Humor und Spannung, manchmal dramatisch und überladen. Ergebnis dieses Krieges ist die Herstellung von Werken, die eine Auswirkung auf Nemo haben. Er will sein Bedürfnis, frei zu sein, äußern und sogar eine Botschaft an den egozentrischen Kunstsammler hinterlassen – weil Kunst immer in uns allen bleibt.
Inside erschien am 16. März 2023 in den deutschen Kinos.
ist 21 Jahre alt. Studiert VWL im Bachelor. Kommt ursprünglich aus Lima, Peru und liebt Vanilleeis über alles.