Gastro nutzt Studierende aus – Demo zum Ersten Mai in Marburg
Als die Erster Mai-Demo durch Marburg zieht, fällt auf, wie leer die Stadt ansonsten ist, denn alle haben ja frei. Fast alle. Am Montagmorgen wurde demonstriert, wie es am Ersten Mai, dem Kampftag der Arbeiterbewegung, üblich ist. Unter dem Motto „ungebrochen solidarisch“ haben sich die Demonstrant:innen in Marburg zusammengefunden und laufen von der Frankfurter Straße aus Richtung Oberstadt. Studis müssen nicht in die Uni, Arbeitende haben frei, die Sonne scheint und die Demonstrant:innen beginnen, die Internationale zu singen. Aber spätestens in der Oberstadt wird deutlich, dass in der Gastronomie der Erste Mai kein freier Tag ist: Kellner:innen balancieren ihre Tabletts und weichen dem Demozug aus, der sich durch die vielen Lokale in der Oberstadt hindurchschiebt. Gerade für diese Servicekräfte demonstrieren wir heute mit.
Ohne studentische Arbeitskräfte gäbe es keine Gastro in Marburg
Ich habe selbst schon in einem Lokal in der Oberstadt gearbeitet und die Arbeitsbedingungen dort waren einer der Gründe, aus denen ich an diesem Tag demonstriere. Wer einmal in einem Restaurant oder Café in Marburg zu Gast war, merkt schnell: Hier arbeiten vor allem minijobbende Student:innen. Viele Studis haben einen Job neben ihrem Vollzeitstudium – oft in der Gastronomie. Ohne studentische Arbeitskräfte gäbe es keine Gastro in Marburg und trotzdem sind die Arbeitsbedingungen für die Arbeitenden oft sehr schlecht.
„Die Nichteinhaltung von Arbeitnehmerrechten stelle bei studentischen Beschäftigten den Regelfall dar, heißt es in der Studie, die vom Institut ‚Arbeit und Wirtschaft‘ der Universität Bremen im vergangenen Jahr durchgeführt wurde“, schreibt der Kölner Stadt Anzeiger Anfang dieses Jahres. „Schätzungsweise gibt es der Untersuchung zufolge bis zu 400.000 studentische Beschäftigte in Deutschland. Es handele sich um eine tragende Säule des Wissenschaftsbetriebs, der ohne sie nicht funktionieren würde.“ Studentische Arbeitskräfte sind ohne Frage eine tragende Säule in Marburgs Gastronomie, sie halten den Betrieb sogar am Ersten Mai am Laufen. Dabei müssen viele von ihnen unfaire Bedingungen aushalten.
Die erste halbe Stunde ist unbezahlt
Ich habe mit Studierenden gesprochen, die in Marburg in einem Minijob arbeiten und sie nach ihren Erfahrungen gefragt. Alle drei freuen sich, Gehör zu finden, möchten aber lieber anonym bleiben.
Die erste Person, mit der ich spreche, erzählt mir, dass sie sich durch den Status, den man als studentische Arbeitskraft hat, oft unfair behandelt fühlt. „Die Arbeitgeber haben das Gefühl, dass sie die Grenzen ausreizen können, um zu gucken, wie weit sie gehen können. Dementsprechend wird man halt auch scheiße behandelt. [Mein Chef] hat mir einmal gesagt, weil er mir meinen Lohn gibt, muss er keinen Respekt vor mir haben.“ Machtspiele seien im Gastrobereich sehr präsent. „In einer Studentenstadt kann man alles mit Arbeitskräften machen, es gibt immer einen anderen Studenten, der einspringen kann“, erklärt sie. Ich frage nach weiteren Beispielen für ungerechte Arbeitsbedingungen, die sie erlebt hat. Sie erzählt: „Die Schicht fängt vor Ladenöffnung an, wird aber erst ab Ladenöffnung bezahlt. Also wenn die Schicht um 12 anfängt, muss man um halb 12 da sein, damit man auch pünktlich aufmachen kann, aber das wird einem nicht bezahlt.“ Damit habe ich auch an meinem ehemaligen Arbeitsplatz Erfahrung gemacht. Ich wundere mich, ob das in allen Lokalen in Marburg so läuft und frage eine weitere Studierende. Sie findet es vor allem problematisch, dass sich viele Strukturen normalisiert haben, die (studentischen) Arbeitnehmer:innen schaden.
Minijob soll höchste Priorität haben
Meine zweite Gesprächspartnerin betont, dass sie ihren Job eigentlich mag, aber trotzdem sehr unzufrieden ist mit dem, was in der Gastro (in Marburg) gang und gäbe ist. „In vielen Studi-Jobs wird zu viel einfach akzeptiert.“ Ich frage nach Beispielen aus ihren Erfahrungen. „Man muss permanent erreichbar sein und es wird auch erwartet, dass man immer auf Nachrichten antwortet, egal ob am Wochenende, am Abend oder während der Uni: Es wird erwartet das man die ganze Zeit für einen Minijob aufwendet. Zu Zeiten, wo das Team unterbesetzt war, wurde verlangt, dass man neben Vollzeit-Uni und [Freizeit-]Leben über 20 Stunden die Woche arbeitet – und viele machen das auch. Uns [den Minijobber:innen] wird vorgeworfen, wenn Schichten nicht besetzt werden. Dann werden Leute so lange bearbeitet, bis irgendjemand vielleicht nicht in die Uni geht, sondern arbeitet.“ Es wird Druck ausgeübt, um Minijobber:innen dazu zu bringen, zu arbeiten. Sie erinnert sich an Drohungen wie „Wir streichen euch das Perso-Essen!“, also die Möglichkeit für Mitarbeitende, das Essen des eigenen Lokals vergünstigt zu essen. Sie fasst zusammen: „Klar könnten sie [die Arbeitsgeber] das ändern und bessere Arbeitsbedingungen schaffen, aber das ist etwas, was sich einfach normalisiert hat in der Gastro und nicht unbedingt etwas, wofür man einzelne Lokale verantwortlich machen kann.“
Machtverhältnisse schaffen Raum für Erniedrigungen
Ich frage eine dritte Studierende nach ihren Erfahrungen in der Gastro. Sie erzählt mir vor allem von dem respektlosen Verhalten der Chef:innen, unter denen sie gearbeitet hat, und wie Minijobber:innen besonders in der Gastronomie oft Erniedrigungen und persönliche Beleidigungen durch die Arbeitgeber:innen hinnehmen müssen. „Ich habe bereits mehrmals am eigenen Leib erleben müssen, was es heißt, gedemütigt zu werden. Man ist nur Mittel zum Zweck und die Arbeit wird wenig bis gar nicht wertgeschätzt. Die schlimmste Situation, die ich miterlebt habe, ist die persönliche Erniedrigung eines Personalmanagers.“ Sie berichtet mir von einer Situation, in der ihr Arbeitgeber sie für ihre Körperhaltung kritisiert und beleidigend mit anderen Kolleg:innen verglichen hat. „Am darauffolgenden Tag wurde ich gefeuert und als ich mit ihm darüber reden wollte, wich er aus und befahl mir, das Restaurant zu verlassen.“
All diese Erfahrungen tragen dazu bei, dass wir am Montag auf dem Marktplatz stehen und faire Arbeitsbedingungen und internationale Solidarität fordern. Minijobs sind für viele Studis keine optionale Sache: Sie müssen schlechte Arbeitsbedingungen und unfaire Behandlung hinnehmen, um sich ihr Studium finanzieren zu können. Es wird eine Weile dauern, bis sich strukturelle Bedingungen in der Arbeitswelt ändern, aber es gibt vom AStA und dem Studentenwerk eine rechtliche Beratungsstelle für Minijob-Angelegenheiten, bei der man sich über seine Rechte als Minijobber:in informieren kann.
ist 2002 in Berlin geboren und studiert Soziologie im Bachelor. Seit Januar 2023 beim Philipp Magazin in der Redaktion aktiv