Sneak-Review #235: Evil Dead Rise

Sneak-Review #235: Evil Dead Rise

Es begann mit einer Hütte im Wald und einer außerordentlichen Menge an rot gefärbtem Maissirup. Nachdem Filmstudent Sam Raimi eher begrenzten Erfolg mit seinen humoristischen ‚Slapstick‘-Kurzfilmen erlangte, beschloss er, die affektive Reaktion des Humors in eine andere Richtung zu lenken und begann mit seinem Filmteam 1978 die Dreharbeiten an seinem ersten Horror-Spielfilm The Evil Dead (damals noch unter dem Titel The Book of the Dead). Die nach Veröffentlichung des Filmes im Jahre 1981 ausgelöste Kontroverse um die dargestellte Brutalität befeuerte den Erfolg und machte Evil Dead schließlich zu einem Kult-Klassiker. Wie viele andere Kult-Klassiker konnte auch Evil Dead nicht den ökonomischen Strömen der Filmindustrie entgehen. Nach der von Sam Raimi gedrehten Originaltrilogie, wurde Evil Dead zu einer Marke, zu einem Franchise, einem Namen mit spezifischen Merkmalen und Erwartungshaltungen. Dem ursprünglichen Kern-Trio der Filmreihe – neben Regisseur Sam Raimi noch der Produzent Robert Tapert und Hauptdarsteller Bruce Campbell – gelang es, die Rechte an dem Namen zu behalten und ihn, zumindest im Filmbereich, nur dann zu verwenden, wenn ihm der damit verbundene Film gerecht werden kann. So also auch Evil Dead Rise, der zweite, moderne Film der Franchise nach dem Remake aus dem Jahr 2013 und der kürzlich gezeigte Film in der Sneak des guten Geschmacks. 

Wiederauferstehung der Wiederauferstandenen

Evil Dead Rise, ist ein dicksehniger Film, hier fließt Blut in und aus definierten Adern. Entgegen den durch vorherige Teile etablierten Mustern befinden wir uns hier weder in einem von Nebelstreifen durchzogenen Wald noch in einer auseinanderfallenden Hütte. Nach ihrem, vom Film in der Schwebe gehaltenen, Schwangerschaftsverdacht möchte Beth (Lily Sullivan) Unterschlupf bei ihrer Schwester Ellie (Alyssa Sutherland) und ihrer Familie suchen. Beth und Ellie haben zwar seit längerer Zeit nicht mehr miteinander gesprochen, verstehen sich aber dennoch gut. Als ein plötzliches Erdbeben ein Loch in die Parkanlage ihres Apartmentgebäudes reißt, finden Ellies Kinder Bridget (Gabrielle Echols), Kassie (Nell Fisher) und Danny (Morgan Davies) ein ungewöhnliches Buch, das der Ursprung allen Übels wird. Dieses Buch, das in der Reihe bekannte, aber in jedem Teil gestaltwandlerische ‚Necronomicon‘ ist das eigentliche Drehbuch jedes Evil Dead-Films. Es handelt sich um ein lebendiges, blutaufsaugendes Seitenwerk, gebunden in Menschenhaut, gefüllt mit rituellen Gesängen und brutalen Illustrationen. Der deutliche H.P. Lovecraft-Einfluss bleibt paradox. Die so oft rezitierte menschliche Angst vor dem Unbekannten bildet gleichzeitig die Grundlage für die Neugier über die Abgründe der menschlichen Existenz, des Denk- und Wahrnehmbaren. Warum würden diese Figuren sonst immer wieder in dieses dämonenbeschwörende Buch schauen, Seite für Seite umblättern? 

Die Bestandteile eines gelungen Evil Dead-Films orientieren sich – ähnlich, wie die ebenfalls heute noch aktive Scream-Reihe – an den billig produzierten, amerikanischen ‚Exploitation‘-Filmen der 1970er und -80er Jahre: Eine dünne Rahmenhandlung mit kaum definierten Figuren wird akzeptiert, um mit viel Blut, guten Schockmomenten und einem rasanten Erzähltempo einen letztendlich unterhaltsamen Horror-Trip zu bilden. Evil Dead Rise erfüllt all diese Kriterien, ist dabei jedoch wesentlich ambitionierter. Thematisch fokussiert sich diese Fortsetzung des bekannten Namens, die jedoch keinerlei Vorwissen benötigt, auf Familienstrukturen. Beths mögliche Elternschaft wird durch die dämonische Übernahme einiger Familienmitglieder gegen die traditionellere Familienkonzeption Ellies ausgespielt. Die dadurch suggerierten Fragen über Familie, wie genau sie aussehen kann, was sie bedeutet, sind weder neu noch interessant gestellt, bieten jedoch ein metaphorisches Gerüst, das den darauffolgenden Horror erdet und verstärkt. Der Nachteil einer solchen metaphorischen Rahmung ist jedoch der damit einhergehende Essentialismus, der sich in Evil Dead Rise ergibt. Damit Symbole für unterschiedliche Familienkonstellationen überhaupt erst kreiert werden können, müssen ihnen Bedeutungen zugewiesen werden, die hier leider reduktiv sind. Der Film versucht, sich daraus zu retten, indem er eine allgemeingültig-abstrakte Fürsorglichkeit als Familiengefühl verhandelt, er nutzt in seiner Figurenanordnung aber hauptsächlich Mütter, die in ihrer Rolle als konventionelle Beschützerinnen dargestellt werden. Evil Dead Rise schafft es nicht, diese Konstellation zu subversieren, auch wenn der hauptsächlich weibliche Cast eine nötige Abwechslung im Horror-Genre darstellt. Ein wildes Erzähltempo, bei dem sich Momente des Horrors kohärent mit emotionaleren, ruhigeren Dialogen abwechseln, versucht, von dieser Oberflächlichkeit abzulenken. Dennoch gibt es in Evil Dead Rise keine komplexen Figuren, nur Überlebende. Das mag den Erwartungen entsprechen, ist jedoch enttäuschend, da der Film an mehreren Stellen versucht, mehr aus seinen Figuren herauszuholen. Es entsteht der Eindruck, dass das Gesetz des Necronomicons Evil Dead Rise zuweilen auch zurückhält. 

Überbordender Horror-Eskapismus

Der Großteil der Identität eines solchen Filmes ergibt sich aus der Inszenierung, der Architektur jedes einzelnen Schockmoments. Der bereits durch sein beeindruckendes Horror-Spielfilmdebüt The Hole in the Ground bekannte Regisseur Lee Cronin versteht es, die inszenatorischen Konventionen der Reihe mit seinem eigenen Stil zu verbinden. Dabei überfüttert er den nostalgischen Teil der Zuschauerschaft nicht, visuelle Reminiszenzen an Raimis Original – allen voran die berühmten, rasend-fliegenden Kamerafahrten aus der Sicht des abstrakten Übels – werden sparsam und effektiv eingesetzt, aber auch passend variiert. Cronin dreht Evil Dead Rise als klaustrophobisches Kammerspiel, die Zuschauenden bleiben nur in dem Apartmenthaus der Familie, ohne einen Ausweg. Die sich in dieser Enge ereignenden Horror-Sequenzen sind vielseitig inszeniert und erstrecken sich von nervenaufreibenden Verfolgungsjagden bis hin zu hautabreibenden Konfrontationen und blutüberströmten Kämpfen. Auffallend häufig wird bei der Bildkomposition zur desorientierenden Betonung der Enge das Bild in nahe Gesichtsaufnahmen auf der einen, auf den Hintergrund fokussierte Objekte auf der anderen Seite aufgeteilt. Dazwischen ein sich in der Unschärfe verlierender Übergang. Der Evil Dead-Horror speiste sich schon immer aus dem Zusammenfluss von übertriebenen Mengen an Blut sowie dem Ekel vor einer ebenso hohen Menge an Körperflüssigkeiten, da die Dämonen die menschlichen Körper nur als auszunutzende Gefäße zur Tortur anderer Menschen begreifen. Evil Dead Rise gelingt es in einigen Momenten, die Mischung aus Komik und Horror zu erreichen, die vor allem Evil Dead II auszeichnete. Manche Horror-Sequenzen werden so weit eskaliert, dass sie in eine sanfte, humorvolle Absurdität gleiten, die den Horror dennoch nicht zerstört. Evil Dead Rise überzeugt als in sich geschlossenes Horror-Spektakel, das hinter seinen Schreckmomenten doppelte Böden bereithält, die zwar wacklig sind, aber stabil genug ausfallen, um die Gesamtkonstruktion nicht zu gefährden. Es ist ein vielgliedriger Film geworden, bei dem jedes abgeschlagene Körperteil nachwächst, ohne zu enthüllen, um was für einen Körper es sich eigentlich handelt.  

Ein notwendiges Übel: Evil Dead Rise wurde zu 88% positiv und zu 12% negativ bewertet.

Evil Dead Rise läuft bereits in deutschen Kinos. 

(Lektoriert von hab und lab.)

ist seit Mitte Februar 2023 Redaktionsmitglied. Studiert Literaturvermittlung in den Medien. Hat den Film "Babylon" acht Mal im Kino gesehen. 23 Jahre alt.

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