Vom digitalen Draufgänger zum Debütautor: El Hotzo’s Mindset – Eine Kritik

Vom digitalen Draufgänger zum Debütautor: El Hotzo’s Mindset – Eine Kritik

Die zunächst in Video- und Rollenspielkreisen geläufige Abkürzung ‚NPC‘ ist in den letzten Jahren zu einer weithin bekannten Bezeichnung avanciert. Sie steht für einen ‚Non-playable Character‘ (deutsch: Nicht-Spieler-Charakter), ein häufig dem Zweck der Umgebungsgestaltung oder der Lenkung der Hauptfigur untergeordnetes Konstrukt, bestehend aus wenigen Sätzen und Handlungsmustern. NPCs führen eine rein aufgabenorientierte Existenz, ohne das darüber hinausgehende Wirklichkeitszusammenspiel aus Ambitionen, Emotionen und Innenleben, das einen Menschen ausmacht. Sie haben keine Kontrolle, sie sind Schafe. Der in der IT-Abteilung einer Firma tätige Mirko ist ein solches Schaf. Neben seinem Beruf, der nur aus dem Lösen von einfachen technischen Problemen besteht, ist sein Leben eine einzige, antriebslose Routine. Bis ihm eines Tages eine Instagram-Werbung für ein Seminar namens ‚GENESIS EGO‘ angezeigt wird. Der Leiter, Maximilian Krach, verspricht die Schöpfung eines neuen, handlungsfähigen Ichs. Vom NPC zum Protagonisten, vom Schaf zum Wolf, alles ist nur eine Frage der Einstellung. 

Ich hustle, also bin ich

Der vor allem durch seine gesellschaftskritisch-bissigen Tweets unter dem Namen ‚El Hotzo‘ bekannte Sebastian Hotz hat mit Mindset nun seinen ersten Roman vorgelegt. Die Weltsicht, die das Fundament seiner Romanwelt bildet, knüpft an eine Arbeits- und Selbstoptimierungsmentalität an, die den Menschen als idealisierten Wolf verstehen möchte. Ein majestätischer Einzelgänger, der sich seinen Erfolg durch pure Anstrengung und Willenskraft erarbeitet hat, da selbstverständlich harte Arbeit immer mit einem dazu passenden Grad an Erfolg belohnt wird, und schließlich zu den Werten gelangt ist, die er als sein Lebensziel versteht: Dominanz, Unabhängigkeit, Reichtum. Zumindest auf Instagram. Auf dieser Plattform protzt Maximilian Krach mit seinen Autos, seinen vielen Privatjet-Flügen und seinen zahlreichen Business-Terminen. In seinen Seminaren verspricht er, die Teilnehmer – es sind nur Männer – zu trainieren, um sie auf denselben Weg zu führen. 

Sebastian Hotz erzählt – wobei diese Wortwahl etwas unpräzise ist – diese Geschichte aus der Sicht mehrerer Figuren, die sowohl von Kapitel zu Kapitel als auch innerhalb eines einzelnen wechselt. Die dadurch suggerierte Abwechslung und Vielseitigkeit wird leider nicht erreicht, da der Roman kein Gefühl für seine eigenen Figuren hat. Yasmin, eine Hotelrezeptionistin mit einer Affinität für ‚True Crime‘-Podcasts, trifft vor einem seiner Seminare auf Maximilian, der den Tagungsraum in jenem Hotel gebucht hat. Nachdem es ein Problem mit Maximilians Zahlung für den Seminarraum gab, verbringt Yasmin den Großteil des Romans damit, Maximilian regelrecht zu verfolgen, ohne dass die dahinterstehende Motivation jemals durch ihre Handlungen und Gedanken ergründet würde. Im Gegensatz dazu ist Mirko, die nächste relevante Figur des Romans, zu grell ausgeleuchtet, weil sie als Inbegriff einer Durchschnittsexistenz leider nur auftritt, um als bloßes Versuchsobjekt für die Weltsicht Maximilians zu fungieren. Maximilian selbst dagegen entwickelt sich nie über ein pures Symbol jener Weltsicht hinaus, trotz des vorhersehbaren Endes, wirkt seine Entwicklung unverdient. Selbst wenn es als legitimer erzählerischer Griff angesehen werden kann, durch diese Statik die Enge des damit verbundenen Weltverständnisses zu präsentieren, ist die Figurenzeichnung dafür viel zu oberflächlich und überzeichnet. Sie alle besitzen kein vielfältiges Inneres, sondern folgen nur den immergleichen Abläufen und Gedankenschleifen. Sie möchten als Protagonist:innen bezeichnet werden, bleiben aber NPCs.   

Ein Roman wie ein langes Seminar

Diese Starrheit findet sich auch in Hotz‘ Schreibstil. Obgleich der leichten Unterschiede, die durch die gerade perspektivierte Figur zustande kommen, ist der Grundton des Romans eine repetitive, forcierte Eloquenz. Der Text besteht aus überlangen, gequält gewählt wirkenden Sätzen, die keinen Raum für die interessanten Leerstellen der deutschen Sprache zulassen. Die Sätze selbst entfalten dabei keine Vielfalt an Sprachmelodien, die aus solchen langen Sätzen hervorgehen könnte. Sie bestehen entweder aus unbeholfen holprig nebeneinander platzierten Nebensätzen oder sind in ihrer Informationsgewichtung unbalanciert, weil sie alles immer erklären wollen. Es ist unwichtig, ob sich eine Figur gerade Kaffee macht oder durch eine Stadt geht, der dafür herangezogene Satz möchte betont alle möglichen Aspekte dieses Vorgangs in einen einzigen Wortstrom pressen. Es mag legitim sein, diese Sprache als Stilentscheidung anzusehen, jedoch entwickelt sie weder einen eigenen Rhythmus, der wiederum einen Lesefluss erzeugen könnte, noch ist sie hilfreich bei dem eigentlichen Erzählen der Geschichte. Mindset besteht nämlich nicht nur aus erzwungenen, langen Sätzen, sondern auch aus Wiederholungen. Diese erstrecken sich über die unterschiedlichen Figurenperspektiven, da der Roman es seinen Leser:innen nicht zutraut, die Grundinformationen einer Situation nach einem Perspektivwechsel noch im Kopf behalten zu können. Das geht sogar so weit, dass der Roman Maximilians Wolf-Weltsicht nicht im so schon nah an der Oberfläche situierten Subtext schweben lässt, sondern eine andere Figur verwendet, um seinen Leser:innen die Nachteile explizit zu erklären. Es wird nicht erzählt, nur beschrieben und erklärt, eine Sprache nur aus unbiegsamen, leblosen Zeichen.

Es stellt sich zuweilen das Gefühl ein, dass diese Übererklärung und -beschreibung jeglicher Situation mit dem Stil eines als ‚literarisch‘ (was auch immer das heißen mag) angesehenen Romans verwechselt wurde. Bei fortlaufender Lektüre bildet die Sprache nämlich eine Wand zwischen ihren Leser:innen und den flachen Figuren. Sie belebt ihre Charaktere und deren Aktionen nicht, sondern bleibt, trotz einiger Variationsversuche, immer trocken-deskriptiv, ohne dabei ein ästhetisches Programm zu verfolgen. Der allein durch Sebastian Hotz‘ Twitter-Präsenz evozierte Grad an Humor und Gesellschaftskritik ist zwar auch in seinem Debütroman präsent, schafft es jedoch nicht, die gleiche Präzision zu erreichen. Das mag dem neuen Format geschuldet sein, aber es mangelt dem Roman an humoristischem Biss, obwohl einige Passagen durch ihre Struktur ganz klar diese Wirkungsabsicht priorisieren. Auch hier ist das Verhältnis unbalanciert. Die gesellschaftskritischen Beobachtungen werden vom Humor nicht verstärkt, sondern negiert und dadurch entkräftet. Mindset verweist lachend auf einige Probleme unserer Gesellschaft, lacht sich dabei aber nur selbst aus. 

(Lektoriert von hab und lab.)

ist seit Mitte Februar 2023 Redaktionsmitglied. Studiert Literaturvermittlung in den Medien. Hat den Film "Babylon" acht Mal im Kino gesehen. 23 Jahre alt.

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