Sneak Review #223: Ein Mann namens Otto

Sneak Review #223: Ein Mann namens Otto

Credits: Sony Pictures Germany

Eine liebevoll erzählte Neuverfilmung

Am Tag vor der Sneak postet der Sneak-Instagram Account immer eine Grafik, die einen Hinweis darauf liefert, was für ein Film gezeigt wird. Das Bild, mit dem am Dienstag der Film angeteasert wurde, zeigt eine Reihe Erbsen und eine Hand, die nach diesen greift, um sie zu zählen. Vor sieben Jahren hat die Sneak dasselbe Bild schon einmal als Tipp für den anlaufenden Film benutzt. Damals lief Ein Mann namens Ove. Ein Mann namens Otto ist die amerikanische Neuverfilmung des sieben Jahre alten schwedischen Films.

Der Senior Otto (Tom Hanks) ist ein Erbsenzähler: Er ist kleinlich, geizig und unfreundlich. Zu spüren bekommen das vor allem seine Nachbarn, die er bei seinen täglichen Kontrollgängen durch die Straße zurechtweist, die Autos richtig zu parken und Haustiere aus seinem Vorgarten rauszuhalten. Otto hält sich gerne an Regeln: Sie sind es, was sein Leben nach dem Tod seiner Frau Sonya (Rachel Keller) noch zusammenhält. An ihrem Grab entschuldigt sich Otto dafür, dass er es nicht früher geschafft hat, zu ihr zu kommen. Damit meint er nicht nur als leiblicher Besucher, denn Otto versucht während des Films mehrfach zu sterben. Unterbrochen wird er dabei vor allem von seiner neuen Nachbarin Marisol (Mariana Trevino). Sie ist mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern neu in der Straße und es entwickelt sich eine unerwartete Freundschaft zwischen Otto und ihr. Im Laufe des Films kriegt der Zuschauer zu sehen, wie er durch Marisol lernt, Menschen wieder an sich heran- und sich erneut auf das Leben einzulassen.

Der Film spielt fast nur in Ottos Siedlung, die meisten Szenen in seiner Straße und die ist auch nicht mehr, was sie einmal war: Ein Bauunternehmen kauft langsam die Häuser auf und will die Anwohner rauswerfen. In den meisten Szenen ist es Winter und die Straße wirkt trüb, kalt und mit ihrer großen Schranke vor der Einfahrt nicht gerade einladend. Das ist Ottos Realität. In den Rückblicken und Erinnerungen an Sonya verlässt Otto diese Szenerie und erinnert sich an Reisen, Zugfahrten und Erlebnisse der Freiheit. Dorthin kehrt er langsam mit Marisol zurück, die ihn zum Beispiel durch Fahrstunden dazu bringt, die Siedlung hin und wieder zu verlassen.

Abrupte Stimmungswechsel

Ein Mann namens Otto ist nicht durchgehend traurig. Vielmehr sind es immer wieder sehr ernste und herzzerreißende Szenen in einem lustigen Film durch die die Stimmung ziemlich abrupt wechselt. Die düstere Atmosphäre wirkt vor allem wie etwas, dass nur in Ottos Kopf existiert: Seine Nachbarn sind alle gut gelaunt, laden ihn mehrmals zum Essen ein, grüßen ihn oder sind ihm gegenüber zumindest nicht unfreundlich, obwohl Otto kein nettes Wort für andere übrighat. Die Nachbarn reagieren nicht wie erwartet. Das liegt zum einen daran, dass sie nicht in Ottos „Negativitätsblase“ leben, zum anderen, dass sie seine wesentliche Eigenschaft wertschätzen: Trotz seines Hasses auf die Welt und sich selbst ist Otto ein sehr hilfsbereiter Mensch, wenn es darauf ankommt.

Kleine Dinge machen viel aus

Obwohl der Tod ein zentrales Thema im Film ist, wird besonders die Wichtigkeit der kleinen Dinge im Leben betont: Die Blumen, die im Angebot sind, schwedische Eclairs im Lieblingsrestaurant, das Auto, auf das man lange gespart hat, oder die eine Lehrerin, die einen respektiert und ermutigt. Das ist zwar keine neue Geschichte, aber was den Film dennoch auszeichnet, ist die liebevolle Art, mit der er Ottos Geschichte erzählt. Vielleicht liegt das daran, dass durch die vielen Adaptionen (von Frederik Backmans Roman über den schwedischen Film zum amerikanischen) mittlerweile die Details gut herausgearbeitet wurden. Das trifft zum Beispiel auf die Rolle von Essen im Film zu. Marisols und Ottos Freundschaft beginnt, als sie ihm selbstgekochtes Essen bringt, das erste Mal, dass er Marisol mehr von seiner verstorbenen Frau offenbart, ist in seinem Lieblingscafé. In der Nachbarschaft wird er mehrmals von Leuten zum Essen eingeladen (was er immer ablehnt) und als die Frage gestellt wird, wie eine Nachbarin Familie sein kann, ist die simple Antwort: „Ich esse immer bei ihr“. Das verursacht einen Lacher beim Kinopublikum. Doch bei näherer Betrachtung ist das vielleicht keine schlechte Definition für Familie. Otto braucht Familie nach Sonyas Tod, doch er muss sich erst wieder daran gewöhnen, Einladungen zum Essen anzunehmen.

Die Sneak-Bewertung des Films fiel sehr gut aus: 95 Prozent der Zuschauer*innen haben eine positive Bewertung hinterlassen, nur fünf Prozent eine negative. Was hängen bleibt, ist die Positivität mit der Marisol durchs Leben geht und der Optimismus den sie – fast stur – allen Menschen entgegenbringt.

Amerikanische Neuverfilmungen haben in der Regel den Ruf, ohne kreative Ambitionen eine schon erfolgreiche Story rein aus Geschäftsinteresse nochmal zu „ver–amerikanisieren“. Ein deutlicher Wert darauf, dass die Neuverfilmung in Amerika spielt, wird aber in diesem Film nicht gelegt. Auch sonst treffen nicht viele negative Stereotype von Neuverfilmungen zu. Beim Zuschauen merkt man dem Film an, dass allen Beteiligten die Geschichte am Herzen liegt. Es ist also keine schlechte Neuverfilmung, aber warum wurde Ein Mann namens Ove dann überhaupt wieder aufgegriffen? Und auch wenn einige Nebenstränge Repräsentation, Diversität und Geschlechteridentität deutlicher kommentieren als das Original, ist das Hauptthema um den Verlust einer geliebten Person keins, dass unbedingt ein Update seit 2015 brauchte. Die allgemeinen Bewertungen sind ähnlich gut für beide Filme: Ein Mann namens Otto steht dem Original in nichts hinterher, außer eben darin, dass es keinen richtigen Bedarf für eine Neuverfilmung gab und Ein Mann namens Ove nun mal zuerst da war.

(Lektoriert von let, lab und hab.)

ist 2002 in Berlin geboren und studiert Soziologie im Bachelor. Seit Januar 2023 beim Philipp Magazin in der Redaktion aktiv

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