Gefahrengebiete und andere Hamburgensien

Gefahrengebiete und andere Hamburgensien

Die so genannten »Gefahrengebiete« wurden gesetzlich in Hamburg 2005 eingeführt, existieren aber schon länger. 2013 kracht es dann richtig. Rasmus Gerlach hat sich mit ihnen in seiner Doku »Gefahrengebiete und andere Hamburgensien« auseinandergesetzt.

Wenn es bei Aktionen auf der Straße mal drunter und drüber läuft, kommt schnell die Polizei. Damit haben vielleicht schon so einige unter uns ihre Erfahrungen gemacht. Eine ganz besondere Beziehung führt die sogenannte linksextreme Szene mit der Polizei, die durch ihren manchmal sehr speziellen Aktivismus nicht besonders beliebt ist bei gewissen politischen Entscheidungstragenden. Groß her geht’s dann insbesondere bei Demonstrationen, wo nicht nur der »schwarze Block« gerne mal die Fäuste reckt und seinen ganzen Frust auf die Straße bringt. Damit einher gehen dann Verletzungen, Tränengasattacken oder Festnahmen. Oder eben ganz radikal: Die Einführung der »Gefahrengebiete«.

Kontrolle ohne Verdacht

Gefahrengebiete, das sind Gebiete im öffentlichen Raum, die von der Polizei als solche festgelegt und in denen sie bestimmte polizeiliche Standardmaßnahmen ohne vorige Überprüfung durchführen darf. Dabei ist weder eine richterliche Anordnung noch eine zeitliche Einschränkung erforderlich. Das bedeutet: Bürger:innen können verdachtsunabhängig kontrolliert und Wohnungen ohne Vorwarnung durchsucht werden. Seit 2005 ist die Maßnahme Bestandteil im Hamburger Gesetz. In anderen Bundesländern ist das im Regelfall nur an vereinzelten Orten möglich.

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Diese Vorgehensweise wurde 2015 vom Oberverwaltungsgericht für ungesetzlich erklärt, nichtsdestotrotz hält die Polizei in Hamburg noch immer an ihren Gefahrengebieten fest. Anfang der 2000er vom CDU-Innensenator Udo Nagel eingeführt, galt es als »das schärfste Polizeigesetz Deutschlands«. Was als Mittel zur Verdrängung der Hamburger Drogenszene begann, ist inzwischen vor allem ein Einsatz gegen die linke Szene geworden. 2014 folgt der Höhepunkt in der Geschichte der Gefahrengebiete. Eingesetzt gegen die Demonstrationen für das autonome Kulturzentrum »Rote Flora«, erstreckte sich die Gefahrenzone zum bislang größten Gebiet: über die Stadtviertel St. Pauli, das Schanzenviertel und Teile Altonas. Hinzu kommt das Viertel St. Georg, das bereits seit 1995 als Gefahrengebiet gekennzeichnet ist.

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Die Gefahrengebiete St. Pauli, Schanzenviertel und Teile Altonas Anfang 2014. Bild: Radio Hamburg
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Das Gefahrengebiet St. Georg existiert als solches seit 1995.

2013. Was als »Klobürstenrevolution« in die Hamburgensische Geschichte eingeht, basiert auf Demonstrationen, die sich um den Aufruf zur Solidarität mit den Lampedusa-Flüchtlingen, dem Erhalt der Roten Flora sowie der Esso-Hochhäuser auf dem Kiez drehten. Kurz vor Weihnachten eskaliert die Situation: Demonstrierende liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei, Gefahrengebiete werden eingeführt. Zur Folge wird die Klobürste zum Symbol des friedlichen Protests, immer mehr Aktivist:innen rennen auf die Straße, um sich dagegen zu wehren. Rasmus Gerlach ist einer von ihnen.

Gentrifizierung und Gewaltbereitschaft

Gerlach, der sowohl als Betroffener als auch Sammler der Eindrücke einen intensiven Einblick in die Geschehnisse von 2013/14 gewährt, dokumentiert erschreckend manifest die Gewaltbereitschaft der Polizei. Mit Bildern des türkischen Nachrichtensenders TRT stellt er die Außensicht des Geschehens neben die Innenperspektive, die durch Aussagen Betroffener dargestellt wird. Dabei geht es um die Gentrifizierung der Stadt, von der Hunderte allein durch die Räumung der Esso-Hochhäuser betroffen sind, ebenso wie um die ungerechte und radikale Vorgehensweise seitens der Polizei. Gerlach zeigt ein Bild einer Stadt, die sich von Unternehmen leiten lässt, aber auch die fantasievollen und bunten Antworten von Menschen, die sich nicht ohne Widerstand aus ihrer Heimat vertreiben lassen.

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Die Klobürste als Protestsymbol. Foto: Mike Herbst, flickr.com, CC-Lizenz

Dabei bekommt der:die Zuschauer:in auch einen sehr privaten Einblick in Gerlachs Leben. Selbst von alldem betroffen, sehen wir Bilder aus seinem Auszug, als er gezwungen wird, seine Wohnung im Esso-Hochhaus zu verlassen. Eine Begründung für seinen zwanghaften Umzug erhielt der 53-Jährige bis heute nicht. Bei diesem Umzug entdeckt Gerlach alte Filmspulen, die beispielsweise die in die Jahre gekommene berühmte Hamburger Fotografin Rosemarie Pierer mit einem Tretroller durch ihre Wohnung fahrend zeigt. »Vier Sekunden«, sagt sie da stolz, brauche sie mit dem Roller den Flur entlang. Zu Fuß seien es 28. Diese und ähnliche Ausschnitte machen die Doku zu etwas extraordinärem, auch sehr amüsantem Zeitzeugnis. »Gefahrengebiete & andere Hamburgensien« ist damit eine sowohl privat als auch politisch eindrucksvolle Doku. Mitnichten interessant allein für Hanseat:innen.

AKTUELL sind die Gefahrengebiete wieder Streitthema. Der rot-grüne Senat hat eine Neuordnung vorgestellt, in der die Gefahrengebiete in Anlehnung an das bayerische Polizeigesetz zu »Gefährlichen Orten« umgetauft und die Hürden für solch eine Einrichtung höher gesetzt werden sollen. Dabei muss die Polizei eine höhere Kriminalitätsbelastung konkret nachweisen können. »Mit einer in Augenscheinnahme von Sachen auf Grund einer ‚konkreten Lageerkenntnis‘, also einer Vermutung, dass etwas passieren könnte, ist Schluss«, meint der verantwortliche Justizsenator Till Steffen (Grüne).
DOKU GUCKEN könnt ihr mit uns am Montag, dem 11. Juli im Traumakino. Um 20:15 öffnen wir für einen kleinen Solibeitrag die Türen, im Anschluss wird eine kleine Diskussionsrunde mit Rasmus Gerlach höchstselbst stattfinden. Hier geht’s zum Event. Und unter www.gefahrengebiete.info erfahrt ihr mehr über Rasmus‘ Projekt.

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