Hanf Runners
Hanf. Weed, Marihuana, Cannabis, Hasch, Kraut, Grünes, Mary Jane, Dope, Pot, Schwarzer Afghane, Gras. Die Liste ist lang. Aber bleiben wir bei Hanf. Dieser grünen Droge, die dich high macht. Oder eben stoned, je nachdem. Dabei kann Hanf noch so viel mehr, als deine Gedanken ins Delirium zu schicken. Aus Hanf werden zum Beispiel Klamotten produziert. Sogar richtig hochwertige. Auch Papier kann aus Hanf hergestellt werden und selbst der Bioenergie ist Hanf ein großartiger Nutzen. Hanf ist also etwas Gutes. Was richtig Gutes sogar. Das wusste auch ein kreativer Haufen aus aktionslustigen Menschen, die mit ihrem Hanflabyrinth die leider etwas in Verruf geratene Pflanze wieder zurück in die Köpfe der nachhaltigen Geister rufen wollen.
Vom Zug aus sieht das grüne Feld recht bescheiden aus. In Wahrheit sind es circa zweieinhalb Hektar, durch welche die Besucher*innen sich ihren Weg bahnen und dabei immer wieder mit einer Handvoll interessanter Informationen und aufwühlenden Fragen konfrontiert werden. Darunter wir, ich, die Journalistin und meine zwei Begleiter*innen, die heute das Hanflabyrinth mit mir besuchen. Mutig begeben wir uns in die Tiefe des wunderschönen Irrwegs und kommen auch direkt an der ersten Station an. „Was soll das gute Leben sein?“, fragt die erste große Schautafel. Mit dieser Frage im Kopf und von den Kassenleuten mit fünf Murmeln bestückt, darf man ein paar Meter weiter im sogenannten Glücksbarometer eine persönliche Stimme abgeben, was im Leben glücklich macht. „Meine Familie“, „Freundschaft und Beziehungen“ und „gesund sein“ halten sich derzeit weit oben. „Gutes Essen“ liegt mir persönlich ja noch ein bisschen weit unten und von „Bier“ ist überhaupt keine Rede. Naja.
Irrwege ins gute Leben
Weiter geht es mit Schautafeln zum Thema Bruttoinlandsprodukt (BIP), „Happy People Index“ (HPI) und „Bruttonationalglück“ (BNG), von dem ich noch nie was in meinem Leben gehört habe. Verständlich, zumal es das einzig im Königreich Bhutan (liegt in Südasien) gibt. Es misst den Wohlstand einer Gesellschaft anhand neun unterschiedlicher Bereiche und prämiert eine „ausgewogene Entwicklung nur, wenn materielle, kulturelle und spirituelle Schritte einander ergänzen und bestärken.“ Klar haben wir in Deutschland keine Ahnung davon. So geht es weiter mit den Schautafeln, allerlei Informationen erhalten die Labyrinthgänger*innen dabei. So erfahren wir auch, dass 1998 noch etwa 10 Prozent der Menschen das Internet nutzen. „Nur 17 Jahre später sind es schon 84 Prozent.“ Außerdem erfährt man, dass 90 Prozent unserer Wirtschaft direkt vom Erdöl abhängen und dass im kommenden Jahr 2016 gerade mal ein Prozent der Bevölkerung mehr Vermögen besitzen wird, als der komplette Rest der Welt zusammen. An einer weiteren Station sind mehrere Tonnen aufgebaut, auf die man sich unter anderem setzen kann. Mein Begleiter erschrickt wie ein aufgescheuchtes Huhn, als plötzlich eine Stimme aus einer der Tonnen ertönt: „In einer unbegrenzten Welt ist auch unbegrenztes Wachstum nicht möglich. Daran ändert auch nachhaltiges Wachstum nichts.“ Die Stimme spricht vom sogenannten „Rebound-Effekt“: Selbst durch Einsparungen spart man nicht viel, weil dadurch eine höhere Nutzung erfolgt. Also wenn etwas billiger wird, kauft man sich einfach mehr davon.
„Wie weit können wir noch gehen in unserer jetzigen modernen Gesellschaft aufgrund endlicher Ressourcen und eines endlichen Planeten?“ Das ist im Grunde die Hauptfrage, die sich die Organisator*innen des Hanflabyrinths gestellt haben. „Wir sind ein Kollektiv von verschiedenen Menschen, die einfach Bock hatten, das Thema Postwachstum – Grenzen des Wachstums aufzuarbeiten“, erzählt mir Chris, der neben seinem Master in Marburg bei Motivés e.V., einem Bildungsverein für Globales Lernen, arbeitet. „Die Idee hat sich quasi gemeinschaftlich entwickelt, an dem Konzept waren mit mir so vier, fünf Leute beteiligt.“ Seit November arbeitet die Gruppe, die sich aus Mitgliedern der Initiativen Motivés und Gartenwerkstatt zusammenstellt, bereits an dem Konzept, das dieses Jahr unter dem Motto „Irrwege ins gute Leben“ steht. Mitte April wurde schließlich das Hanffeld in Angriff genommen: „Das fängt damit an, dass wir zwei Meter tiefe Löcher in die Erde graben und sechs Meter lange Stämme versenken“, erzählt Chris. Bis ihr Werk dank vieler Ehrenamtlicher Helfer*innen stand, dauerte es drei Monate und kostete das Team nicht selten ihre Nerven: „Wir sind ja keine Bauprofis, wir haben quasi alles selber gebaut und es gab viele aufs und abs.“
Hanf ist geil!
Gelohnt hat es sich aber alle mal: Das inzwischen etwa drei Meter hohe Hanffeld begeistert die zahlreichen Besucher*innen. Darunter natürlich auch uns. Immer wieder geraten wir in Sackgassen oder drehen uns im Kreis. Irgendwo steht plötzlich eine rote Rutsche vor uns, auf die wir hoch krakseln und endlich sehen können, wie unfassbar weit das Labyrinth tatsächlich verläuft. Wir sehen sogar den Ausgang, trotzdem verlaufen wir uns abermals, kurz nachdem wir die Rutsche wieder verlassen haben. Irgendwas machten wir immer irgendwie falsch. Circa 45 Minuten soll die ganze Tour angeblich dauern. Wir brauchen am Ende geschlagene 80. Selbst als wir an ein Schild ankommen, auf dem wir von weiten „Ziel“ sehen, werden wir bitter enttäuscht. Ich mache schon die Siegerpose, als ich sehen muss, dass da „Wo ist das Ziel?“ steht und es dahinter nochmal weiter geht. Doch meine Stimmung steigt wieder, als wir plötzlich im „Garten der Vielfalt“ stehen, ein kleiner Garten mitten im Labyrinth voll mit diversen Kräutern, Rhabarber oder Mangold und vielem mehr. Eine Wonne für mein kleines Öko-Herz. Dazwischen sind überall Schilder aufgestellt, auf denen Ideen und Bündnisse verzeichnet sind, die sich mit umweltfreundlichen und nachhaltigen Aktionen beschäftigen. „Denn gemeinsam macht es am meisten Spaß, an neuen Lösungen und Rezepten für unsere Zukunft zu tüfteln“, steht auf dem erklärenden Schaubild am Eingang des Gartens.
Nächstes Jahr soll noch ein Hanflabyrinth folgen. Wo und wann genau wird aber noch geheim gehalten. Dass das Labyrinth aus Hanf ist und nicht aus Mais, wie so viele andere, hat natürlich seinen Grund. „Hanf ist eine ökologisch nachhaltige Nutz- und auch die älteste heimische Kulturpflanze“, erklärt mir Chris. „Sie hat ’ne sehr, sehr gute Wachstumsphase und ist ’ne anspruchslose Pflanze, mit viel Biomasse und ’ner super Pfahlwurzel. Der Bauer, der das hier quasi anbaut und auch die Lizenz dafür hat, Nutzhanf anzubauen, der profitiert total davon! Hanf braucht keine Pflanzenschutzmittel, wir brauchen nur Sonne und Regenwasser, haben‘s nicht gedüngt, auch nicht mal bewässert. Außerdem speichert Hanf während seiner Wachstumsphase mehr CO2 als andere landwirtschaftliche Nutzpflanzen.“ Und nicht nur das. Chris erzählt mir davon, dass die ersten Segelfahrer mit Hanfsegel geschippert sind und Seile und Textilien aus Hanf gemacht haben. Die erste Gutenbergbibel war auf Hanfpapier gedruckt, sogar die erste Levis-Jeans wurde auf Hanfbasis hergestellt. Doch dann wurde Hanf illegalisiert und geriet als Nutzpflanze in Vergessenheit. „Wir möchten gerne dazu beitragen, dass es wieder ein bisschen mehr ins Bewusstsein gerückt wird. Der Bauer wird aus dem Labyrinth später voraussichtlich Öl und Tee machen und der Samen wir als Saat für’s nächste Jahr genutzt.“
Die grüne Bühne
Also alles rausholen, was geht. „Das ist ’ne sau krasse Arbeit, wir haben da sehr viel Schweiß und Herzblut reingesteckt.“ Und das hat sich voll gelohnt! Meine Begleitung und ich schaffen es schließlich auch wieder raus aus den irren Wegen. Zur Belohnung gibt’s dann noch ein Programm-Special: Heute Abend wird inmitten der Hanfpflanzen geslammt. Auf der „grünen Bühne“, wie sie der Marburg-bekannte Poetry-Slam Moderator Bo Wimmer mit einem Grinsen nennt. Übrigens: Wer denkt, das Labyrinth wurde zuerst abgesteckt, und dann der Hanf gesät, liegt falsch. „Erst kam das Pflanzenfeld und dann mitten durch!“, erzählt Chris. „Wir haben dann die 2,5 Hektar abgespannt mit Schnur, so kleine Quadranten gebildet, uns dann mit ’nem Plan daran orientiert und mit ’nem Balkenmäher tatsächlich 3 Wochen, 10 Stunden pro Tag alle Wege einzeln abgemäht.“
AB ZUM HANF Alle Infos über und um das Hanflabyrinth findet ihr hier. Bis zum dritten Oktober könnt ihr euch den ganzen Spaß während der Sommerferien dienstags bis sonntags von 11 bis 19 Uhr, danach dann ausschließlich am Wochenende, auch noch live anschauen.
ÜBRIGENS Heute ist es möglich, mindestens 50.000 Produkte aus Hanf (aus deren Samen, Fasern, Schäben, Blättern) herzustellen. Darunter: Öl, Essig, Lebensmittel, Futtermittel für Vieh, Bier, Eis-Tee, Shampoo, Papier, Medizin, Creme, Textilien, Fliesen, sogar in der Autoindustrie wird Hanf für bspw. Armaturenbretter verwendet.
FOTOS: Sarah Askar und Leonie Ruhland
PHILIPP-Gründerin und Chefredakteurin von 2014 - 2017.