Marbylon gibt zu: „Wir sind einfach voll die Opfer!“

Marbylon gibt zu: „Wir sind einfach voll die Opfer!“

Es ist mal wieder Zeit zu feiern! Für den dritten Teil unserer #Partyjournalismus-Reihe waren wir dieses Mal bei Marbylon zu Gast, dem erfolgreichen Marburger Partykollektiv, das in diesem Jahr ein Jahr alt wurde und sich dabei nach eigener Aussage irgendwie immer noch nicht so richtig ernst nimmt.

Der Buchstabe M ist überall. Als Sticker klebt er auf Autos, Straßenlaternen und auf Mülleimern, sogar in Hörsälen und Bussen ist er zu finden. Dazu in Handballgröße mindestens einmal im Monat auf zahlreichen Plakaten, die zu elektronischen Tanzveranstaltungen einladen. Hinter dem verschwörerischen M steckt ein Partykollektiv, dessen Name an nichts weniger als an eine der imposantesten Städte des Altertums erinnert: Marbylon. Seit knapp über einem Jahr nun schon, um genau zu sein. Und was macht ein Partykollektiv, wenn es Geburtstag hat? Genau. Es feiert.

Marbylon ist auch ein Süßigkeitengeschäft

8. Mai 2015, erster Geburtstag. Das Kind kann laufen und die Vorbereitungen zur großen Sause mit Melokind, Fennec&Wolf, Ramirez Son und Bellville vom Incroyable Music-Label laufen im Nachtsalon in der Bahnhofstraße 3a auf Hochtouren. Die Marbylonier, die insgesamt, alle Helfer*innen eingerechnet, aus etwa zwanzig Personen bestehen, dekorieren seit 13 Uhr, schneiden Obst und füllen die Süßigkeiteneimer mit Lutschern, die später am Abend die Gäste beglücken sollen und die irgendwie zum Markenzeichen der Marbylon-Feten geworden sind. Nicht umsonst labelt sich Marbylon auf ihrer Facebookpräsenz schließlich als „Süßigkeitengeschäft.“

Einige der Marbylonier haben sich „Birthday-Girl“-Anstecker angeheftet und trinken zum Warmwerden ihr Traditionsgetränk Asbach Uralt mit Cola, während sie unermüdlich das altbekannte Wohnzimmerambiente des Bahnhofclubs mit Masken, Bildern, aufblasbaren Tieren und natürlich ihrem Marbylon-M in allen möglichen Variationen ergänzen. „Wir haben uns heute für die Deko noch mehr Mühe gegeben als sonst“, sagt Jan grinsend, aktiver Teil von Aktiv&Anregend und einer der Marbylon-„Oberpeilos.“ Moritz, Helfer seit Anbeginn, formiert derweil alte Röhrenfernseher zu einem Turm, auf dem später, wie auch sonst immer, der Stummfilm Metropolis laufen wird. „Das wollen wir eigentlich mal ändern“, erzählt Alex, der anregende Teil von Aktiv&Anregend und philosophiert, dass sie eigentlich lieber ein Aerobicvideo laufen lassen würden, aber keiner wüsste, wie das so wirklich geht. Also doch wieder Metropolis.

Aktiv&Anregend fanden sich in der Schule scheiße

Der Ursprung für diesen Tag, an dem sich mal wieder auf eine fette Label-Night eingestimmt wird, liegt über zwei Jahre zurück und beginnt zunächst mit den Protagonisten Alex und Jan, den beiden, die zusammen Aktiv&Anregend sind. Aufgewachsen in Bad Wildungen, Nordhessen, gingen die beiden bereits auf die gleiche Schule. „Jan war ein Jahrgang über mir und ich war immer ’n Emo, da fand er mich scheiße“, erzählt Alex, „aber dann hatten wir zusammen Kung Fu und kamen aufeinander klar, weil wir beide Dub Step gehört haben.“ Als sie schließlich nach und nach in Marburg ankamen, war die Partyszene schnell ihr neues Zuhause und bald legten sie auch selbst auf. „Erst jeder für sich, aber irgendwann zusammen“, erzählt Alex und Jan ergänzt: „Ja und dann haben wir uns so gedacht, lass mal ’n bisschen was starten. Und dann hab ich Matze, der damals Freudentaumel organisierte, angeschrieben.“ Ein bisschen was starten heißt übrigens, dass die erste Marbylon noch im Deep stattfand.

Rückblick. Zehn Tage zuvor. Die vier Marbylonier Matze (28), Jan (25), Alex (25) und Micha (22) sitzen in einem WG-Wohnzimmer, trinken Bier und sind dabei, das Mysterium Marbylon zu entschlüsseln. Derweil packen die PHILIPP-Journalistinnen ihr Aufnahmegerät aus und munkeln, dass bei so vielen Personen ein Megafon nicht schlecht gewesen wäre. „Wir wollten eins mitbringen!“, sagt da Jan lachend und fügt hinzu: „Aber wir haben’s vergessen.“ Matze ergänzt grinsend: „Wir sind einfach voll die Opfer!“ Alle müssen lachen. „Das beschreibt uns eigentlich ganz gut“, stellt Alex schließlich fest. „Da können wir das Aufnahmegerät jetzt eigentlich auch ausmachen.“

Die hängenden Gärten

Doch so leicht kommen die Jungs nicht davon. Woher der ominöse Begriff „Marbylon“ denn nun kommt, wollen die Journalistinnen von ihnen wissen. „Naja wir haben ein Brainstorming gemacht und gedacht, wir machen irgendwas mit Marburg, weil wir uns damit identifizieren“, erklärt Alex. Irgendwann kamen sie dann auch auf Babylon, die mystische Stadt aus dem Altertum und ihre Hängenden Gärten, eines der sieben Weltwunder der Antike. Weil sie ja auch irgendwie so Hänger wären. Und dann hätte die Gesamtvorstellung gepasst, „halt dieses Babylonding, dieses Verschwenderische, die sündige Stadt. In der Offenbarung geht’s nur um Babylon, wie alles kaputt geht.“ Und dann erzählt Alex noch von den Reggae Leuten, die Babylon immer als Gegenteil und Feindbild sähen. „Und wir haben halt gesagt, warum soll’n wir nicht das Feindbild sein, wenn wir schon die Idioten sind.“

 

*

Sie nehmen sich nicht so ernst, sagen sie häufig von sich selbst. „Mir nach, ich folge euch!“, sei oft das Motto. Organisiert sind sie trotzdem irgendwie. PHILIPP-Recherchen fanden heraus, dass es tatsächlich eine Organisationsgruppe auf Facebook gibt, die da „Der Hohe Rat der sündigen Stadt“ heißt. Da sind so etwa 20 Leute drin. Laut Matze ist das „der Ring, mit denen wir alles bequatschen; die Menschen, die gerne bereit sind, was zu machen, aber die kein Bock haben, Verantwortung zu tragen.“ Nach seiner Ring-Logik gibt es neben des Gründerrings, bestehend aus drei Menschen, dann noch den „inneren Ring“, etwa sechs bis sieben Leute, die auch alles wissen und auch alles machen würden. Da gehört dann zum Beispiel auch Micha dazu, der „Sexy-Gauloise-Typ“, wie Jan ihn nennt, den sie beim Flyerverteilen vor der Mensa trafen und der auch einfach „Bock hatte, mitzumachen.“ Das Küken der Truppe ist schließlich Nico, auch bekannt als NICVD vom Partykollektiv CloudCuckooLand, die PHILIPP auch schon besuchte. Probleme verursache so ein doppeltes Engagement aber nicht, sagt er. Die Partyveranstalter*innen seien untereinander eben nicht immer nur Konkurrent*innen sondern oft auch Freunde.

Doch was machen sie anders? Marbylon ist, ähnlich wie ihr M-Symbol, dauerpräsent. In den sozialen Medien dominieren sie sowohl mit Veranstaltungserinnerungen als auch der Nachlese von Partys durch das Posten von Soundcloud-Sets. Dazu sind sie im Monatsprogramm des Nachtsalons mit ihren regelmäßigen Feten ein fester Bestandteil und auch überregional öfter mal in Kassel bei der WG der Liebe oder in Wiesbaden bald auch im New Basement am Start. Und neulich erst haben sie sich in die Freiluft gewagt. Zu ihrem Open Air an einem der zahlreichen Feiertage im Sommersemester kamen mehr Tanzfreudige, als die Crew erwartet hatte. Fast zwanzig Stunden lang ergötzte sich die Masse an den tiefen Bässen auf ihrer Freuobstwiese. „Da kamen so viele und wir waren irgendwann so fertig, dass wir morgens fast selbst die Polizei auf unsere Party gerufen hätten“, lachen sie, als sie ein paar Wochen später auf das Spektakel zurückblicken.

Neben der insgesamt sieben Resident-DJs ist im Nachtsalon aber auch vor allem eines immer mit dabei: Die farbenfrohe Kunst von der 22-jährigen Frau TurTur, die eigentlich Katha heißt. Auch sie macht seit der ersten Stunde bei Marbylon mit und beobachtet das „Elend“, wie sie mit einem Grinsen erzählt, während sie mit ihren Schwarzlichtbildern im Comicstil den Partys „ein bisschen Chaos und Buntes mit Liebe dazu“ gibt. Ihre Motive beschreibt sie selbst als lebensfroh, verstörend und hedonistisch, „ein bisschen wie Marbylon. Ansonsten aber auch etwas nachdenklicher.“ Man könnte vielleicht auch sagen, ihre Kunst ist ein bisschen erwachsener. Aber wer weiß, was die Zukunft für Marbylon noch so mit sich bringt. Das Kind ist ja grade erst eins geworden.

BY THE RIVERS OF MARBYLON Was die Regelmäßigkeit von Partys angeht, kann man sich auf Marbylon wirklich verlassen. Mit Ausnahme einer längeren Pause über die Sommersemesterferien veranstalten die Jungs ihre marbylonische Sause jeden zweiten Freitag im Nachtsalon. Manchmal auch unter der Woche. Feste Residents des Kollektivs sind seit „Anbeginn der marbylonischen Zeitrechnung“, wie sie selbst sagen, sowohl Aktiv&Anregend als auch vitus bachhausen und Feinheitsbrei. Seit Juli 2014 ist außerdem Plastikmusik mit von der Partie und seit März 2015 beglücken Deep Solution und NICVD die Stadt des Hedonismus. Da Marbylon aber auch gerne mal in andere Städte linst und sich in der Rolle als Gastgeber sichtlich gefällt, haben in den letzten zwei Jahren neben Melokind und den Incroyable-DJs an ihrem Geburtstag auch schon Chemical SurfJan OberlaenderThe Sorry EntertainersRey & KjavikBAAL und Matchy & Bott an den marbylonischen Decks gestanden.

* An dieser Stelle wurde am 19. Mai unter Rücksichtnahme auf Art. 5 Abs. 2 GG eine nochmalige Bearbeitung unternommen.

FOTOS: Luis Penner
VIDEO: Luis Penner
PODCAST: Jaqueline Ahuraian und Patrick Vogel

PHILIPP-Gründerin und Chefredakteurin von 2014 - 2017.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Wordpress Social Share Plugin powered by Ultimatelysocial
Instagram
Twitter