Rostiger Nagel #5 – Kick Off

Rostiger Nagel #5 – Kick Off

Kneipe zu, Theater zu, Restaurant zu, Clubs zu, Stadien… auf? Von der Pandemie weitestgehend unbeeindruckt läuft das professionelle Fußballgeschäft weiter, während alles andere still steht. Doch in einer Ära, in der überbezahlte Millionäre noch mehr Privilegien als ohnehin schon erhalten und vor menschenleeren Rängen bessere Trainingsspiele abhalten, muss ich mir langsam aber sicher eingestehen: Ich habe das Interesse am Fußball, oder zumindest an diesem Fußball verloren.

Ich bin eigentlich seit meiner frühen Kindheit Fußball-Fan. Habe von der „Bambini“-Jugend bis zum sechzehnten Lebensjahr selbst alle Ascheplätze meiner Heimatregion erkundet, als Kind Panini-Alben gesammelt und die Kicker-Stecktabelle gepflegt, im Grundschulalter noch den Bayern und anschließend bis heute mit allen Höhen (selten) und Tiefen (häufig) dem Fünftligist TuS Koblenz die Daumen gedrückt.

Seit etlichen Jahren interessiere ich mich auch immer stärker für die Geschehnisse abseits des Platzes: die Fankultur mit all ihren faszinierenden und manchmal auch abstoßenden Gesichtern – ein Thema, über das ich sogar meine Bachelorarbeit geschrieben habe. Und nicht selten fand ich es nach einem Spieltagswochenende in den letzten Jahren spannender, mir die neuesten Choreographien, pyrotechnischen Ausschweifungen und Protestaktionen der Fanszenen anzuschauen, als das sportliche Geschehen an sich.

Von all dem bleibt im Corona-Fußball nichts. Klar, denn mit zehntausenden Anhänger:innen vollgepackte Ränge, die wie aus einer Kehle 90 Minuten lang schreien, toben und jubeln, wären momentan natürlich ein wahrer Aerosol-Alptraum. Doch damit ist all das weg, was diesen Sport für mich ausmacht. Die Emotionen rund um das Spiel wie aus den Arenen rausgesaugt. Und nach dem vergangenen Jahr habe ich endgültig realisiert: Fußball ohne Fans funktioniert für mich schlicht und ergreifend nicht.

Das einzige was so noch halbwegs funktioniert ist das, was scheinbar schon seit geraumer Zeit die Kernkompetenz des Profifußballs geworden ist: Profitmaximierung. Denn während unzählige Soloselbstständige, Kulturschaffende oder Gastronom:innen kurz vorm Ende ihrer Existenzen stehen, dreht sich das Milliardenkarussell im Fußball munter weiter und Profis dürfen – anders als z.B. Künstler:innen – auch in der Pandemie weiterhin für ein exorbitantes Gehalt ihrem Beruf nachgehen und dafür nach Lust und Laune in der Weltgeschichte herumfliegen. An Liga-, Turnier- und sogar unbedeutenden Freundschaftsspielen teilnehmen, während der Bolzplatz für Kinder, die ihren Helden am Ball nacheifern wollen, gesperrt ist.

Einige der bekannten Unsympathieträger im Fußballbusiness haben sich dabei offenbar bereits so weit von der Realität verabschiedet, dass ihnen diese extreme Ungleichbehandlung überhaupt nicht mehr auffällt. Und so ist sich ein Karl-Heinz Rummenigge (Chef des FC Bayern und des Freundeskreises der FFP2-Masken-unter-der-Nase-Träger) nicht zu blöd, öffentliche Tobsuchtsanfälle zu bekommen, weil die eigene Mannschaft mitten in einer globalen Pandemie ein paar Stunden auf ihren Flug nach Katar warten muss.

Apropos Katar, da war doch noch was: Ach ja, die nächste Weltmeisterschaft im Jahr 2022, für die in der Wüste riesige Fußballtempel von Halb-Sklaven errichtet werden, von denen bereits 6500 wegen der menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen gestorben sind. Tolle Aussichten. Dass in der FIFA Korruption ein noch größeres Thema ist als in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist schon seit Jahren nicht nur unter Fußballfans quasi ein offenes Geheimnis. Doch bei dem Niveau-Limbo, den diese Organisation seit langem tanzt, wird die Stange offensichtlich selbst dann noch weiter runtergelegt, wenn sie bereits längst am Boden angekommen ist.

Schon seit langem musste man sich angesichts all dessen die Frage gefallen lassen, warum man sich das moralisch fragwürdige Schauspiel dennoch weiterhin anschaut. Und in der Zeit der pandemiebedingten Geisterspiele und immer krasser werdenden Ungleichbehandlung kann ich mir selbst diese Frage zum ersten Mal nicht mehr beantworten.

Dass mein Interesse am Profifußball wieder neu entfacht wird, sobald die Fans irgendwann in die Stadien zurückkehren, kann ich mir momentan nur schwer vorstellen. Und vielleicht ist das auch gar nicht schlimm. Vielleicht war die Pandemie auch nur der Anstoß, den ich gebraucht habe, um von diesem zweifelhaften Profitzirkus des Profigeschäfts loszukommen. Wie jemand, der schon länger aufhören will, Fleisch zu essen, aber erst ein Schlüsselerlebnis braucht, um es auch wirklich zu schaffen. Wenn jedoch auch Nicht-Profis irgendwann wieder kicken dürfen und mein Lieblingsverein in der Oberliga wieder auflaufen kann, werde ich mit Sicherheit da sein. Und alle, die mit dem modernen Fußball ähnliche Bauchschmerzen haben, finden ja vielleicht in einer post-pandemischen Fußball-Welt wieder einmal den Weg zu ihrem lokalen Sportplatz – zu Menschen, die nur für ein bescheidenes Gehalt oder einfach einen Kasten Bier kicken. Wenn man mit dem Fleisch essen aufgehört hat, kann das der Veggie-Burger sein.

FOTO: Pexels

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