Schon zu Zeiten von StudiVZ war die Musik im Unix scheiße

Schon zu Zeiten von StudiVZ war die Musik im Unix scheiße

Wir sind in unseren 20ern und leben in einer viel zu kleinen Stadt, in der rund 20.000 unserer Mitmenschen so ziemlich dasselbe tun wie wir. Vor allem in der OE-Woche. Es ist deshalb nur mehr als richtig, dass sich Michael Bausch in seinem Debütroman „Orientierungseinheit“ diesem Treiben mal angenommen hat.

Okay, jetzt alle mal die Hände hoch, die sich den Satz „Das Studium wird die beste Zeit deines Lebens!“ noch nie von – Achtung Kalauer – älteren Semestern quer durch alle Lebensbereiche anhören mussten. Joviale Onkel, die auch mit 55 noch nicht erwachsen werden wollen, sagen ihn. Lehrer, dessen Trauer über das Ende des Studiums in ihren bloßen Gesichtsausdruck abgelesen werden kann, sagen ihn. Und natürlich vermittelt ihn uns auch die Kulturindustrie, indem sie uns sowohl mit hedonistischen College- als auch (semi-)intellektuellen Coming-of-Age-Dramen überschüttet. Nicht zu vergessen die Poetry-Slammer:innen, die in mindestens drei von zehn Fällen über ihre dreckigen Mitbewohner:innen herziehen. But, no offense, bei fast 2,7 Millionen Studierenden allein in Deutschland bietet es sich ja auch einfach an. Noch dazu sind diese im Durchschnitt 24 Jahre alt und damit mitten in jenem Abschnitt ihres Lebens, der geprägt ist von Burj-Kalifa-hohen Selbstzweifeln bei gleichzeitiger Aufforderung zur Selbstverwirklichung.

Und genau da wären wir auch schon beim von Weltschmerz zerfressenen Paul und Protagonisten in Michael Bauschs „Orientierungseinheit.“ Schlecht geht es Paul vor allem zu Beginn der Geschichte, die an einem Karfreitag mitten in den 2000er-Jahren spielt, aber nicht nur, weil Karfreitag ist und er Karfreitag hasst. Vorrangig leidet Paul, weil ihn seine Freundin Stella just an diesem Tag vor über einem Jahr verließ und er sich dessen, weil Karfreitag, mal wieder bewusst wurde. Auch sonst kann ihn aber nichts so wirklich in seinem Anfang-20er-Studileben in Marburg begeistern. Die Stadt kennt er nach zwei Jahren fast in- und auswendig, die Seminare in seinem selbstredend geisteswissenschaftlichen Studiengang (Soziologie) sind langweilig und der eine nervige Referatspartner ist nicht nur nervig, sondern auch noch im RCDS. Pauls Leben wäre nicht Pauls Leben, wenn’s nicht immer noch schlimmer gehen würde: Mitten in der Sommer-OE, in der die gesamte Geschichte spielt, nachdem er Rentner angepöbelt und sich über sich aufspielende DJ’s aufgeregt hat, kündigt ihm seine beste Freundin Antje an, Marburg zu verlassen und nach Kiel zu ziehen. Life is a bitch.

Feministische Diskussionen, Lahnwiesen, Lagerkoller: Marburg

Wirklich wütend wird Paul auf Antje allerdings nicht. Letztendlich ist ihr Umzug schließlich der beste Anlass, es in der OE noch mehr knallen zu lassen als sonst. Resultat dieses alkoholischen Aufpäppelns der Hauptfigur: Der:die Leser:in wird sich auf den 164 Seiten des Buchs eigentlich fast immer in absolut typischen Situationen, wie sie in den Zeiten, in denen man weniger lernt und mehr feiert, wiederfinden: Vortrinken für Partys in der WG und im Deli, Bunte Liga-Spiele, Theolog:innenparty in der alten Uni und natürlich, es ist ja Anfang des Sommersemesters, Grillen mit viel Bier an den Lahnwiesen. Doch auch sonst ist Orientierungseinheit nicht arm an typisch Marburger Situationen. Da wären die Diskussionen um Sexismus und Feminismus, Ex-Mitbewohner, die nicht verstehen können, wie man noch in Marburg bleiben kann, nur weil sie seit einem Jahr in der Großstadt wohnen und natürlich die Erinnerungslücken, die sich vor allem nach Partys mit schlechter Musik einschleichen. By the way, bester Satz des ganzen Buchs: „Schlechte Musik kann ich auch im Unix hören.“ Für alle die es nicht wissen: Das Unix ist der Vorgänger der Shotzbar und jetzt wie damals vor allem von Mainstream-Prolls bevölkert.

Neben dem Unix, das sich anscheinend erstaunlich lange in Marburg gehalten haben muss, wird aber auch an anderen Stellen deutlich, dass in Orientierungseinheit von einem Marburg in ein bisschen früheren Zeiten erzählt, als der Großteil der Studierenden von heute noch die Schulbank gedrückt hat. So ist der Ministerpräsident noch Roland Koch, getanzt und getrunken wird in Lokalitäten, die da Kult, Zweibar und Funpark heißen und Paul hört seine Musik (Kein Electro!) noch standesgemäß auf 2-GB-MP3-Playern. WhatsApp, geschweige denn überhaupt Smartphones gibt es einfach nicht. Alles was es gibt ist StudiVZ. Was Paul durchmacht, die Trennung von seiner Freundin, die fast schon zwanghaft herbeigerufenen Ekstasen am Abend, im Grunde sein kompletter Alltag vom Unireferat über das Feiern bis hin zur lapidaren Frage „Was koche ich mir nur?“, die er schließlich mit einem Ausflug in die Pizzeria beantwortet, ist allerdings alles so zeitlos, dass das Identifikationspotential höher nicht sein könnte. Mit Pauls Geschichte hat Michael Bausch daher eine sehr exemplarische, humoristische und kurzweilige Dokumentation des studentischen Lebensstils, der, übereifrige Feuilletonisten würden nun „(Marburger) Generation Y“ schreiben, geschaffen. Nur mit einem liegt er in jedem Fall falsch: Die beste Pizza Marburgs gibt es definitiv bei Pizza Tony. Und nirgendwo sonst.

michaelbausch_orientierungseinheitMichael Bausch
Orientierungseinheit
CreateSpace Independent Publishing Platform, Charleston 2015
164 Seiten
7,99 € (Taschenbuch) / 3,99 € (Kindle)

ISBN-13: 978-1515235484

FOTO: Katharina Meyer zu Eppendorf

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