Sneak-Review #185: Die perfekte Kandidatin

Sneak-Review #185: Die perfekte Kandidatin

Diese Woche zeigte die Sneak des Cineplex Marburg den saudi-arabischen Film „Die perfekte Kandidatin“ von Regisseurin Haifaa Al Mansour. Das ist insofern etwas Ungewöhnliches, weil Kinos erst seit wenigen Jahren in Saudi-Arabien erlaubt sind. Doch ist der Film sehenswert? Das erfahrt ihr hier.

Worum geht’s?

Saudi-Arabien, 2019. Die junge Ärztin Maryam (Mila Alzahrani) beschwert sich regelmäßig bei ihren Vorgesetzten, dass die Zufahrtsstraße zum Krankenhaus nicht asphaltiert wird. So müssen teils schwer verletzte Patient:innen mühsam durch den Schlamm gekarrt werden, bevor sie behandelt werden können. Doch ihre Gesuche werden immer wieder abgelehnt, es sei kein Geld da. Als ihr schließlich eine Auslandsreise auf einen Kongress verweigert wird, weil ihr gesetzlicher männlicher Vormund – ihr Vater – seine Zustimmungsbescheinigung falsch eingereicht hat, entschließt sie spontan sich als Kandidatin für den Stadtrat aufstellen zu lassen. Seit 2015 dürfen Frauen an Kommunalwahlen teilnehmen und selbst kandidieren. Ihr Vater (Khalid Abdulrhim), der gerade mit seiner Band durch das Land tourt, betrachtet das Vorhaben seiner Tochter mit anfänglicher Skepsis, aber zunehmendem Wohlwollen. Auch von Kollegen und Freundinnen erfährt sie Zuspruch, doch vielerorts trifft sie mit ihrem „unerhörten Verhalten“ auch auf Ablehnung und Hass…

Haifaa Al Mansour und das Mädchen Wadjda

Die Regisseurin Haifaa Al Mansour konnte 2012 mit ihrem wunderbaren Debütfilm „Wadjda“ weltweites Aufsehen erregen. Denn es handelt sich um den ersten (!) saudi-arabischen Film. Dazu noch von einer Frau inszeniert und mit aufklärerischem Anspruch. Das junge und vorlaute Mädchen Wadjda kann und will sich nicht dem fügen, was die Gesellschaft von Frauen in Saudi-Arabien erwartet: Zurückhaltung und Unterordnung. Unbedingt möchte sie Radfahren, doch das ist Frauen hier verboten. Sicherlich auch aufgrund des großen Erfolges von „Wadjda“ ist das Fahrradfahren für Frauen nun seit 2013 erlaubt. Aber natürlich nur in Begleitung eines männlichen Verwandten.

Nach zwei Ausflügen in die amerikanische Filmwelt, einem Biopic über die Schriftstellerin Mary Shelley und dem Netflix-Film „Nappily Ever After“ kehrt Haifaa Al Mansour nun mit ihrem neuen Film in ihre Heimat zurück.

Kritik durch Humor

Schnell merkt man, dass sich die Tonalität im Vergleich zu ihrem Debütfilm geändert hat. Trotz ernster Themen wird der Film komödiantisch und warmherzig inszeniert. Mit Elementen der Visual Comedy werden Gesellschaftsstrukturen und vor allem das Zusammenleben bzw. Nicht-Zusammenleben von Männern und Frauen dargestellt und spielerisch kritisiert. So können auf einer Hochzeit mit strikter Geschlechtertrennung selbst einfachste technische Probleme, wie ein falsch eingestecktes Kabel, zur Hürde werden, weil man nicht miteinander kommuniziert. Auch wenn in einer Szene im Krankenhaus ein alter Mann sich trotz starker Schmerzen weigert von einer Ärztin behandeln zu lassen, wird das humorvoll inszeniert. Haifaa Al Mansour zeigt: Nirgendwo sonst liegen Mittelalter und Hightech-Moderne so nah beieinander wie in Saudi-Arabien. Maryam darf nicht ausreisen, weil ihr Vater als männlicher Vormund vergessen hat seine Zustimmung auch digital einzureichen. Und wie macht man vollverschleiert einen Wahlkampf mit Social Media? Die Regisseurin übt Kritik durch Humor.

Trotz der leisen Kritik merkt man eine tiefe Verbundenheit Al Mansours zu ihrem Herkunftsland. Saudi-Arabien ist wird nicht als Shithole Country oder frauenfeindliche Hölle dargestellt. Der Film nimmt sich viel Zeit, Traditionen und Kultur von ihrer positiven, sinnstiftenden Seite zu zeigen. Die Zuschauer:innen sehen bunte Hochzeiten, nehmen am traditionellen Essen teil und hören fantastische arabische Musik.

Unangebrachtes Wohlfühlkino?

Al Mansour setzt in „Die perfekte Kandidatin“ auf Harmonie und versucht Heimatliebe und Systemkritik unter einen Hut zu bekommen. Dieser Ansatz ist gleichermaßen bewundernswert wie heikel und geht leider nicht ganz auf. Die komödiantischen und versöhnlichen Elemente machen den Film kurzweilig und locker, aber ihnen fehlt der Kontrapunkt, das Tragische. Während die erdrückende Enge und Unfreiheit, die das extrem patriarchale System verursacht, in „Wadjda“ noch deutlich spürbar war, schafft es Al Mansours neuer Film nicht dieses Gefühl aufkommen zu lassen. Das liegt zum Beispiel daran, dass Gesetzesbrüche im Film dann doch folgenlos bleiben, dass die Hauptfigur aus einer Familie der Oberschicht kommt und deshalb mehr Ansehen genießt als andere Frauen und dass es für Maryam an keinem Punkt des Films so wirklich brenzlig wird.

Besonders gegen Ende gibt es zwei Szenen, die sehr negativ nachhallen. Zum einen eine sehr aufgesetzte – um nicht zu sagen vollkommen unglaubwürdige – Charakterwandlung, die den systemischen Charakter von Konflikten leugnet und auf dem Niveau von „Piep-piep-piep, wir haben uns alle lieb“ funktioniert. Zweitens eine Gesangsszene, die angesichts ihrer Vorgeschichte die Hauptfigur ihrer emanzipatorischen Kraft beraubt und sie lediglich als Opportunistin erscheinen lässt. Nicht immer müssen ernste Themen zwingend todernst verhandelt werden, doch hier fehlt einfach die soziale Härte. Man möchte Haifaa Al Mansour nicht unterstellen sich mit Minimalfortschritten – Hey! Frauen dürfen jetzt auch Auto fahren! – zufrieden zu geben, doch leider bietet „Die perfekte Kandidatin“ wesentlich mehr Wohlfühlkino als es die Situation in ihrem und anderen Ländern zulässt.

„Die perfekte Kandidatin“ startet am 12. März in den deutschen Kinos.

FOTO: Copyright Razor Film

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