Sneak-Review #5: A perfect Day
Und auch diese Woche fragen wir wieder: Haben sich die vier Euro Eintritt gelohnt oder greifen bereits die ersten Cineast*innen nach ihren Jacken? Diese Woche in der Sneak des Cineplex Marburg: A Perfect Day von dem Regisseur Fernando León de Aranoas.
Schon die ersten Sekunden sind rätselhaft. Anfangsszene: Ein schwarzer, ovaler Umriss, das Bild ist noch verschwommen. Bis sich ein Körper erkennen lässt, der leblos in der Schwebe hängt. „Oh nein, ist es ein Horrorfilm?“, fragt sich meine Sitznachbarin. Sie könnte Recht behalten, eine blauunterlaufene Wasserleiche zeichnet sich auf der Leinwand ab. Nur um kaum zwei Sekunden von trinkfreudiger Balkanmusik untermalt zu werden. Also doch ein unterhaltsamer Film? Die Einblendung offenbart den Filmtitel: „A Perfect Day“. Okay, klingt positiv.
Ohne Kriegsszenerie erzählt der Film vom Krieg
Die fiktive Geschichte spielt irgendwo auf dem Balkan im Jahr 1995 und damit mitten im Jugoslawienkrieg. Eine fünfköpfige Gruppe von freiwilligen Kriegshelfern, darunter auch die Protagonist*innen, nehmen sich der Aufgabe an, die Wasserversorgung im Kriegsgebiet zu leisten. Alphatier der Gruppe: Mambrú, der von Benicio del Toro gespielt wurde, manchen bekannt aus ‚Thor – The Dark Kingdom.‘ An Mambrús Seite: Seine Ex Katya (Olga Kurylenko), die unerfahrene Freiwilligenhelferin Sophie (Melanie Thierry), der Übersetzter Damir (Fedja Stukan) und B (Tim Robbins), für die es nun gilt, die fettleibige Leiche aus der Eingangsszene im Brunnen zu entfernen. Nicht leicht, denn beim ersten Mal reißt das Seil, sodass sie zusammen den schwabblig, vergammelten Körper aus dem Brunnen entfernen müssen. Dafür hilft nur ein Ersatzseil. Doch wie es in solchen schwierigen Zeiten eben ist, sind nicht nur Essen, Trinken, sanitäre Versorgung oder Zigaretten knappe Güter, sondern auch das simple Seil. Fortan bestimmt und begleitet die Suche die Truppe, die mit zwei Autos durch die schöne und idyllische Berglandschaft des Balkans fährt. Der Widerspruch zu den politischen Zuständen könnte nicht offensichtlicher sein. Im Gepäck befindet sich außerdem der kleine Junge Nicolas. Ihn haben die Fünf irgendwo am Straßenrand aufgesammelt, wo er zuvor seinen Fußball von anderen Kindern weggenommen bekommen hat. Als Mambrús Gruppe dem Kleinen helfen wollen, richtet sich bereits im nächsten Moment eine Waffe aus der Hand des etwa 14-jährigen Jungen auf sie.
Humor als wahrer Erzählstil inmitten der Apokalypsenstimmung
Mag man hier eher von Roadtrip sprechen, erscheint dieser nicht immer leicht. Grenzpunkte, Blauhelme oder tote Kuhkörper mitten auf den Straßen halten ihre Reise auf. Dazu lauert die tödliche Gefahr von Minen abseits der Straßen. So kommt es schon mal vor, dass sie auf begrenztem Raum vor Augen ihrer Kollege*innen das menschlich Notdürftige verrichten müssen. Der komisch-witzige Moment wirft Schatten über den eigentlich bitter ernsten Zustand des Jugoslawienkriegs. Diese Waage zwischen schrecklichen Ereignissen und lustiger Unterhaltung zieht sich die kompletten 106 Minuten lang durch: Regisseur Fernando León de Aranoas vermittelt in seinem Film einerseits absolute Apokalypsenstimmung, sorgt dann aber im nächsten Moment für eine humorvolle Erzählung. Schließlich ist ihm das geschickt gelungen, bedenkt man Filme mit Kriegsthema und Tränendrüsen-Effekt, die meist Ohnmacht beim Zuschauer auslösen. In „A perfect Day“ geht es um mehr: Es gilt Krisenzeiten zu verstehen, und vor allem wie man damit umgeht. Handeln anstatt Mitleid. Realitätssinn anstatt Wehmut. „Makaber“, hörte ich eine Kinobesucherin nach der Filmvorstellung sagen. Auch diese Empfinden trifft es vielleicht. Doch „A Perfect Day“ selbst erleben lohnt sich. Allein schon weil er das Denken vom Kino bis auf dem Heimweg und Stunden danach noch auf Trab hält.
Kinostart ist am 22.10.2015. Und hier geht’s zum Trailer.
FOTO: Fernando Marrero, Daily Telegraph