Prof. Dr. Halbmeyer: Was man nicht sagen soll
Vor etwa zwei Monaten berichtete PHILIPP über den Fall des venezolanischen Studenten Carlos Eduardo Muñoz Bianchi, der angibt, von einem Mitarbeiter des Studentenwerks im Rahmen einer Auseinandersetzung als „Neger“ bezeichnet worden zu sein. Dessen Vorgesetzter soll sein Verhalten mit dem Argument gerechtfertigt haben, Ethnizitäten bezeichneten sich untereinander auch so. Ist diese Argumentation haltbar? Über diese Frage hat PHILIPP mit Prof. Dr. Ernst Halbmayer vom Fachgebiet Sozial- und Kulturanthropologie gesprochen, dessen Forschungsschwerpunkte unter anderem auf den Gebieten der Umwelt- und der Konfliktanthropologie liegen. Themen des Gesprächs waren neben der Problematik der Selbst- und Fremdbezeichnung auch Joachim Herrmann und Pippi Langstrumpf.
PHILIPP: Ende August hat der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) den Schlagersänger Roberto Blanco in einer WDR-Talkshow als „wunderbaren Neger“ bezeichnet. Auch wenn man Herrn Herrmann aus dem Kontext des Gesprächs heraus unterstellen konnte, dass dies nicht abwertend gemeint gewesen sei, ist er für seine Aussage stark kritisiert worden. Zu Recht?
Prof. Dr. Ernst Halbmayer: Ich glaube, dass es nicht adäquat ist, in der heutigen Zeit ein Label wie „Neger“ zu verwenden – schon gar nicht als deutscher Politiker in einer öffentlichen Debatte. Insofern ist es aus meiner Sicht überhaupt nicht verwunderlich, dass diese Kritik eingesetzt hat.
Wie erklären Sie sich, dass es dennoch zu einer solchen Äußerung kommen konnte?
Ich kann natürlich nicht in den Herrn Hermann hinein blicken. (lacht) Man trifft aber in Deutschland manchmal einen relativ unreflektierten Umgang mit solchen Begrifflichkeiten und dem, was sie mitimplizieren: Ihre Geschichte, die Sklaverei, die Rassismen – all das schwingt mit, auch wenn es der Sprecher nicht abwertend meint. Dies wird oft nicht gesehen und bedacht.
Würden Sie meinen, es fehlt das Bewusstsein dafür, welche Wirkung ein solches Wort hat?
An manchen Stellen sicher. An manchen Stellen wird es aber auch sicher ganz bewusst und gezielt eingesetzt. Das kann man nicht verallgemeinern.
In der Diskussion um politisch korrekten Sprachgebrauch wird oft argumentiert, er behindere eine freie Konversation. Was ist davon zu halten?
Ich glaube, es macht einen Unterschied, ob es sich um einen Dialog handelt oder ob man nur über andere spricht. Wird gemeinsam gesprochen, verhandelt und argumentiert, kann ein direkter Austausch durchaus frei und kernig sein. Es kann Verständnis dafür produziert werden, warum man sich selbst mit einem bestimmten Begriff bezeichnet oder welche Gefühle Fremdbezeichnungen auslösen. Wenn man aber andere nur klassifiziert, etikettiert, möglicherweise auch stigmatisiert, ist ein gewisses Ausmaß an politischer Korrektheit und Sensibilität in diesem Bereich nicht nur angebracht, sondern notwendig.
Sie haben die Begriffe Selbst- und Fremdbezeichnung benutzt. Was versteht man darunter?
Für „Wir“ und „Sie“-Gruppen gibt es immer Variationen von Bezeichnungen: Wie man sich selbst bezeichnet und wie die Gruppe von anderen bezeichnet wird. Die Bezeichnungen können aus der Sicht einer anderen Gruppe sehr unterschiedlich sein. Gerade in der Ethnologie finden sich oft lange Listen von verschiedenen Bezeichnungen für eine Gruppe in der Literatur. Der aktuelle Stand ist meist, die Selbstbezeichnung der Gruppe zu verwenden.
Wie kommen diese Differenzen zustande?
Angenommen man hatte mit einer Gruppe Kontakt aufgenommen, und diese Gruppe hatte von anderen Gruppen in ihrer Nähe erzählt, dann existierten zwar Namen für diese Gruppen, diese waren aber oft vorurteilsbeladen und entstammten einer Fremdperspektive. Möglicherweise stammte der Begriff auch von Feinden der Gruppe und war durchaus abwertend gemeint. Trotzdem wurden manche dieser Fremdbezeichnungen in der ethnologischen Literatur über Jahrzehnte hinweg verwendet. Man muss dies als Aushandlungsprozess verstehen. Ethnizität ist immer eine Relation, eine Beziehung zwischen verschiedenen Gruppen.
Können Sie für einen solchen Prozess ein konkretes Beispiel nennen?
Ein Beispiel wären die afroamerikanischen „postslavery“ Bevölkerungsgruppen in den USA und Kanada, aber auch in Brasilien. Bis in die 50er-Jahre war es völlig normal, diese Leute als „negroes“ zu bezeichnen und sie anhand einer vermeintlichen Rasse und ihrer schwarzen Hautfarbe zu etikettieren. Im Zuge des black american movements und der Bürgerrechtsbewegung ist aber klar geworden, dass diese Bezeichnung untrennbar mit Sklaverei und Rassismus verknüpft ist. Der Begriff des „negroes“ – und des deutschen „Negers“ – war daher politisch nicht mehr akzeptabel. Ihm wurde von den Aktivist*innen ein völlig anders konnotiertes „black is beautiful“ entgegengestellt. Gleichzeitig haben aber manche Gruppierungen den Begriff des „negroes“ in der Widerstandbewegung ganz bewusst wieder aufgegriffen, um an ihre Geschichte zu erinnern. Dies legitimiert die Mehrheitsbevölkerung allerdings nicht, den Begriff zu verwenden.
In Deutschland wird seit einiger Zeit die Bestrebung einiger Verlage, bestimmte Begriffe aus Kinderbüchern zu streichen, kontrovers diskutiert. So wird etwa Pippi Langstrumpf von der „Negerprinzessin“ zur „Südseeprinzessin“ gemacht.
Ich sehe nicht, wo das Problem liegen sollte: Wenn ein Begriff eindeutig problematisch ist, sollte er gegen einen nicht mit Rassismus, Kolonialismus und Sklaverei belasteten Begriff ausgetauscht werden. Wo die Grenze ist, darüber lässt sich natürlich gut streiten. Und es ist wahrscheinlich auch notwendig, einen Diskurs darüber zu führen, wie weit politische Korrektheit gehen sollte und wo sie möglicherweise überzogen ist.
Der Landesfilmdienst Sachsen empfiehlt, auch die Begriffe „Indianer“ und „Eskimos“ zu streichen. Können Sie erklären, warum?
Das kann ich schon erklären. „Indianer“ ist ein Sammelbegriff, der sich für alle Gruppen und deren Nachfahren, die vor der Ankunft der Europäer auf dem amerikanischen Kontinent gelebt haben, eingebürgert hat. Vor dem Kolonialismus gab es für ihn kein Äquivalent, weil auf dem amerikanischen Kontinent sehr unterschiedliche Gruppen gelebt haben: Von Hochkulturen wie den Inkas und Mayas bis zu einfachen Jäger- und Sammlergruppen. Insofern wird über solche Begriffe eine vermeintliche Homogenität konstruiert, die so nicht vorhanden war. Gleichzeitig bezeichnen sich viele Angehörige dieser Gruppen heute selbst als „Indianer“ bzw. als indigen und fordern damit auch Rechte auf politische, kulturelle oder soziale Autonomie ein.
Und bei der Bezeichnung „Eskimo“ verhält es sich ähnlich?
Auch „Eskimo“ ist eine Fremdbezeichnung. Die lokale Bezeichnung ist „Inuit“ oder eine Variation. Es handelt sich um das angesprochene Spiel zwischen Selbst- und Fremdbezeichnung. Letztendlich ist es schwierig, gänzlich politisch korrekt zu sein. Man muss es eher als einen Bewusstwerdungsprozess auf unserer Seite verstehen, in dem die Befindlichkeiten der anderen Seite ernst genommen werden müssen.
Eine Angst, die in diesem Zusammenhang immer wieder formuliert wird, ist, dass aus dem Bemühen um politische Korrektheit bloß Sprachlosigkeit und Verunsicherung entsteht. Wie kann man dies verhindern?
Ich sehe diese Sprachlosigkeit persönlich nicht. Ich glaube, dass es uns im Prinzip sehr gut tut, einen sensibleren und bewussteren Umgang mit solchen Begrifflichkeiten zu versuchen – auch im Wissen, dass wir es vielleicht nie völlig korrekt machen können. Das ist immer noch besser, als völlig unreflektiert Stereotype zu verwenden und Leute und Kulturen in Kategorien zu stecken, die aus einer Hierarchie des Westens gegenüber dem Rest der Welt heraus entstanden sind. Hier ein Stück reflexiv zu werden, macht das Sprechen vielleicht nicht einfacher, aber bewusster. Einen Grund zur Sprachlosigkeit sehe ich nicht.
FOTO: Christian Kadluba auf flickr.com, CC-Lizenz
Stellvertretende Chefredakteurin und Ressortleiterin Politik. Hat seit neustem ein abgeschlossenes Hochschulstudium - yeah! - und ist ein Fan von Katzen, dem Internet und Katzen im Internet.