Wollt ihr Ortsbeiräte in der Innenstadt?
Marburgs Bürger*innen werden befragt: Wollen wir Ortsbeiräte in der Innenstadt? Ähh, gute Frage! Licht ins Dunkel bringt unsere Autorin Susanna, die sich die neuste Bürger*innenbefragung mal angeschaut hat und erklärt, was Ortsbeiräte machen und warum man für und gegen sie sein kann.
Auf dem WG-Tisch von Lukas stapelten sich Anfang Mai sechs identische Briefe. „Bürgerbefragung der Universitätsstadt Marburg“ stand darauf, und darinnen waren sehr amtlich aussehende Bögen – inklusive Dienstsiegel und Berechtigungsnummer – und Rücksendeumschlag. „Ich bin dafür, dass in den Bereichen der Universitätsstadt Marburg, in denen es bislang keine Ortsbeiräte gibt, Ortsbeiräte eingerichtet werden.“ Ortsbeiwas? Weder Lukas noch seine Freunde wussten etwas damit anzufangen und so stapelten sich die Briefe auch noch Mitte Mai am Rand des Tisches.
Ortsbeiräte gibt es in Marburg bereits in 20 Außenstadtteilen, in den bekannten – Wehrda, Marbach, Cappel – und den eher außerhalb gelegenen, die dafür lustigere Namen haben – Schröck, Moischt, Dagobertshausen. Grob gesagt handelt es sich bei Ortsbeiräten um Gremien, bestehend aus drei bis neun Mitgliedern, die bei den Kommunalwahlen gewählt werden und dann in gewisser Weise die Interessen ihres Ortsbezirks vertreten. Das macht bei den Außenstadtteilen auch Sinn: Diese wurden nämlich erst 1974 durch „Eingemeindung“ ein Teil von Marburg. Durch die Einführung von Ortsbeiräten sollte sichergestellt werden, dass ihre Interessen gegenüber der Stadt nicht zu kurz kommen.
Ein Ortsbeirat soll schneller handeln können
Warum brauchen wir nun aber auch Ortsbeiräte in der Innenstadt? Im September 2014 hatte die „Bürgerinitiative Oberstadt“ eine Liste mit mehr als 500 Unterschriften übergeben, in der genau dies gefordert wurde. Es folgten weitere Listen von Anwohner*innen des Südviertels und Weidenhausens. Dahinter steckten altbekannte Probleme: Lärm, Müll, fehlende Wohnkonzepte. Von der Errichtung eines Ortsbeirats wird sich erhofft, dass dieser die Probleme schneller und unbürokratischer lösen und die Interessen des Ortsbezirks durchsetzen kann. Mehr Bürgerbeteiligung, direkte Demokratie, schnelle Problemlösung – das klingt ja prinzipiell gar nicht schlecht.
Die Krux an der ganzen Sache ist nun: Es gibt bereits Gremien, die sich für die Interessen der Anwohner*innen einsetzen, nämlich die Stadtteilgemeinden. Diese sind regelmäßig als Vereine organisiert, werden also nicht gewählt, sondern setzen auf ehrenamtliche Mitarbeit. Gerade deswegen wird insbesondere die Partei Bündnis90/Die Grünen nicht müde, zu betonen, dass Ortsbeiräte im Vergleich zu den Stadtteilgemeinden demokratisch legitimiert wären. Wer sich übrigens parteipolitisch orientieren will: Die Grünen sind klar für Ortsbeiräte in der Innenstadt, SPD und Die Linke unterstützen zwar die Befragung, äußern sich aber nicht ganz so euphorisch. Die CDU ist dagegen.
Stadtteilgemeinden haben Angst zu Feiervereinen abgestempelt zu werden
So richtig dagegen sind auch die Stadtteilgemeinden: Sie fürchten, zu „Feiervereinen“ degradiert zu werden, die sich nicht mehr mit den Problemen der Anwohner*innen beschäftigen, sondern nur noch einmal im Vierteljahr einen Flohmarkt oder Frühschoppen veranstalten dürfen. Außerdem ist da die Angst, niemanden mehr zu ehrenamtlicher Arbeit motivieren zu können. Ist auch nachvollziehbar, denn die Arbeit der Ortsbeiräte wäre steuerfinanziert, die der Stadtteilgemeinden ist es nicht. Am Richtsberg, wo 2007 ein Ortsbeirat eingeführt wurde, scheint die Zusammenarbeit mit der Stadtteilgemeinde aber – jedenfalls nach Aussage der dortigen Ortsvorsteherin Erika Lotz-Halilovic in der Oberhessischen Presse vom 25.3.2015 – bestens zu funktionieren. Anwohner*innen, die sich momentan ehrenamtlich in den Stadtteilgemeinden engagieren, steht es selbstverständlich auch frei, sich als Ortsbeiratsmitglied zur Wahl zu stellen. So könnte auch dem weiteren Bedenken der Stadtteilgemeinden, das zukünftig gerade nicht mehr im Sinne der Bürger*innen, sondern nur nach Parteiräson entscheiden würde, entgegengewirkt werden.
Fraglich ist allerdings, wie viel Einfluss die geplanten Ortsbeiräte tatsächlich auf die Politik ausüben könnten. Denn der Ortsbeirat hat – wie der Name schon sagt – zunächst einmal eine beratende Funktion. Nach der Hessischen Gemeindeordnung muss der Ortsbeirat angehört werden, er hat ein Vorschlagsrecht und darf Stellung nehmen. Aber: Die Entscheidungen trifft letztlich das Stadtparlament – und im Zweifel eben auch gegen den Willen des Ortsbeirats. Seine Beschlüsse haben keine Bindungswirkung, so nennt man das im Juristendeutsch. Natürlich soll an dieser Stelle die Möglichkeit der Einflussnahme durch Interessenvertretung und gezielte Argumentation nicht herabgesetzt werden – so funktioniert politische Arbeit ja idealerweise. Sowohl der linke OB-Kandidat Jan Schalauske als auch die grüne Kandidatin Dr. Elke Neuwohner fordern aber auch, die Kompetenzen der Ortsbeiräte zu erweitern, sollte es zu deren Einrichtung in der Innenstadt kommen.
Bürgerbeteiligung vor!
Aber unabhängig davon, ob man nun für oder gegen Ortsbeiräte in der Innenstadt ist, zeigt die aktuelle Diskussion eines sehr deutlich: Es gibt ein Bedürfnis für mehr direkte Bürgerbeteiligung in Marburg. Eine Bürgerbefragung wie es diese nun noch bis zum 1. Juni ist, könnte dafür ein ausgesprochen geeignetes Instrument sein.
Stellvertretende Chefredakteurin und Ressortleiterin Politik. Hat seit neustem ein abgeschlossenes Hochschulstudium - yeah! - und ist ein Fan von Katzen, dem Internet und Katzen im Internet.
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