Warum wir den internationalen Studententag (heute) brauchen

Warum wir den internationalen Studententag (heute) brauchen

Stellt euch vor, es gäbe einen Feiertag und niemand würde ihn feiern. So in etwa verhält es sich mit dem Weltstudententag, der heute, am 17. November, stattfindet. Ein historischer Tag, dessen Bedeutung leider allmählich aus unseren Köpfen verschwindet. Dabei brauchen wir ihn heute mehr denn je.

»Kondome haben wir früher nicht mal in den Mund genommen« sagt die alte Frau vor dem Hörsaalgebäude. Ich schmunzle. Sie predigt weiter: »Und damals, da sind die Studenten noch wegen allem auf die Straße gegangen. Kaum hat sich der Semesterbeitrag um 50 Pfennig erhöht, stand ganz Marburg still. Bildungsstreik!« Sie zieht weiter, ihre Worte bleiben hängen: Wann gehen wir Student:innen denn wirklich mal auf die Straße? Höchstens, wenn beim Döner-Laden morgens um fünf kein Platz mehr ist und wir die Falafel-Box auf dem Heimweg essen müssen.

Die Vernunft hat gesiegt

Und warum sollten wir überhaupt noch Protestieren? Wir haben doch alles erreicht: Es gibt keine Studiengebühren mehr, jeder kann seine Meinungsfreiheit im Internet ausleben und der Vietnamkrieg wurde auch schon lange beendet. Die großen Ungerechtigkeiten des 20. Jahrhunderts wurden längst überwunden, denen des 21. Jahrhunderts sind wir einfach nicht gewachsen. Lieber nochmal die neue Staffel Stranger Things verschlingen und sich in Kindheitsträume flüchten. Was feiern wir heute überhaupt? Die fünf Euro Rabatt auf unsere Spotify-Accounts? Unsere Freiheit vom Elternhaus? Oder einfach nur, wie sonst auch, uns selbst?

Tagesaktuelle Vergangenheit

Ende 1939. Die Nazis marschieren in die Tschechoslowakei ein. Studentische Münder und Banner stellen sich ihnen in Scharen entgegen. Am 28. Oktober wird der Medizin-Student Jan Opeltal bei einem Protest von der Polizei angeschossen. Am 11. November stirbt er. Seine Beerdigung entwickelt sich zu einem Protestzug aus mehreren Tausend Studenten. Die große Mehrheit von ihnen wird ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, einige können nach England fliehen. Neun der Studentenführer werden am 17. November 1939 von den Nazis erschossen. Den geflohenen Studenten gelingt es 1942 eben diesen 17. November zum Internationalen Studententag zu machen. Dies erzwang die Freilassung der verbleibenden Häftlinge und verhinderte weitere Morde.

Ganz schön abgefahrene Geschichte. Da möchte man doch gleich The Clash in seine Spotify-Premium-Playlist packen und sich so richtig abfeiern. Nazis und Diskriminierung sind dank Studenten Geschichte. Der 17. November sollte daher jedes Jahr eine große Party sein, auf der man sie feiert, die 39er, 68er und die Rudi Dutschkes der Geschichte. Wir könnten stolz auf das sein, was Student:innen erreicht haben. Doch ich habe gelogen. Der 17. November ist kein Feiertag. Es ist ein Gedenktag. Ein Tag der uns an das Erinnern soll, was auf dem Spiel steht:

Nazis sind nicht mehr Geschichte, Nazis sitzen im Bundestag. Wir haben die Rechte und Rolle der Frauen in unserer Gesellschaft zwar angepasst, jedoch zeigen Debatten wie #metoo, dass unsere Gesellschaft noch lange nicht so weit ist. Klar, gesellschaftliche Probleme löst man nicht immer auf dem Campus. Nur ist der Campus nun mal unsere Gesellschaft.  Ein Populist mit Lehrstuhl ist nicht weniger gefährlich als ein Populist mit Sitz im Bundestag. Wie das Beispiel aus Leipzig zeigt, reichen manchmal auch zwei Student:innen aus, um aktiv zu werden. Wir haben doppelten Grund für Protest. Aktuelle Missstände paaren sich mit der Gefahr alles zu verlieren, was wir in den letzten Jahrzehnten erreicht haben. Wir müssen verteidigen was uns wichtig geworden ist und bekriegen was wir hassen. Heute vor 78 Jahren starben neun Studenten, weil sie für ihre Überzeugungen einstanden. Heute muss in Deutschland kein Student mehr sterben, wenn er für etwas auf die Straße geht. Erinnern wir uns heute also, wie es dazu kam.

Chefredakteur von 2017-2018 aus Gründen.
Kann ganz gut mit Worten, halb gut mit Menschen.
Studiert nebenberuflich Medienwissenschaften.

3 Gedanken zu “Warum wir den internationalen Studententag (heute) brauchen

  1. Hallo,
    es gibt im Text ein Fehler. Es war der 17. November 1938 sondern 1939. Der 79. Jahrestag ist eben erst 2018. In Tschechien ist es ein Feiertag.
    Mit Grüßen
    Anna Milarch

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