Benedict Hegemann über das Leiden seiner Schauspieler:innen und „Die Suche nach Nyx“

Benedict Hegemann über das Leiden seiner Schauspieler:innen und „Die Suche nach Nyx“

„Ich bin kein ausgebildeter Schauspieler. Ich bin auch kein ausgebildeter Regisseur. Ich bin eigentlich nichts“, sagt Benedict Hegemann über sich selbst. Trotzdem bringt der 25-Jährige Ende März sein erstes Theaterstück „Die Suche nach Nyx“ in Frankfurt auf die Bühne. PHILIPP hat mit ihm gesprochen.

Ich treffe Benedict Hegemann – 25, Selbstbezeichnung „selbstständiger Künstler“, Poetry-Slammer, Schauspieler, Moderator – zehn Tage vor der Uraufführung seines Theaterstücks „Die Suche nach Nyx“ in der Marburger Oberstadt. Hegemann kennt sich hier aus: Er kommt aus dem Marburger Umland, hat auch Mal hier studiert und eigentlich mag er Marburg auch lieber als Frankfurt, wo er inzwischen größtenteils lebt und arbeitet. Einen Termin mit ihm zu vereinbaren, war trotzdem gar nicht mal so einfach. Beim ersten Versuch wurde ich versetzt – Hegemann hatte Samstag und Sonntag verwechselt. Ein zerstreuter Künstler: Schön, wenn sich Klischees erfüllen! Ein bisschen Schusseligkeit kann man Hegemann aber zurzeit wohl kaum vorwerfen, steckt er doch mitten in den Endproben. Im Frankfurter Theater „Die Katakombe“ wird sein erstes Theaterstück im nächsten Monat zu sehen sein. Ob er aufgeregt ist? „Tatsächlich“ – Hegemann macht eine lange Pause – „Ja.“

Wie das Stück endet, wissen nicht einmal die Schauspieler:innen

Für die Entwicklung des Stücks hat Hegemann eine eher außergewöhnliche Methode benutzt. „Die Suche nach Nyx“ sei seit eineinhalb Jahren in Planung und seit einem halben Jahr im Schreibprozess, erklärt er. Meine überraschte Frage, ob das Stück denn noch nicht fertig sei, verneint Hegemann erstaunlich gelassen. Zur Erinnerung: Wir sprechen zehn Tage vor der Uraufführung miteinander. Zu diesem Zeitpunkt gibt es noch keinen fünften Akt. „Ich lasse meine Schauspieler:innen ein bisschen leiden“, meint er und lacht. „Wir haben die erste Probe angefangen, indem ich ihnen einfach nur die erste Szene hingelegt habe.“ Stück für Stück hat er sich gemeinsam mit den Schauspieler:innen an die fertige Inszenierung angenähert. „Die Schauspieler:innen wissen jetzt noch nicht, wie es endet“, sagt Hegemann und dieses Mal muss ich unwillkürlich lachen. Wie gesagt: Zehn Tage bis zur Uraufführung.

Den Vorteil an dieser Methode sieht Hegemann darin, dass die Schauspieler:innen ihre Rollen unvoreingenommen spielen können und deswegen die Entwicklung ihrer Emotionen über die fünf Akte hinweg viel authentischer ist. „Wie ist es denn so im richtigen Leben? Am Montag fängst du ja auch an, die Woche irgendwie zu leben, weißt aber nicht, wie dein Samstag und dein Sonntag werden. Du lebst, ohne zu wissen, wie die Woche endet. Das Gleiche müssen die Schauspieler:innen auch durchmachen.“ Hegemann selbst – das erklärt er mir auf meine Nachfrage – weiß aber schon, wie das Stück endet. Wichtig sei für ihn auch die Erfahrung gewesen, dass die Schauspieler:innen – eben weil sie das Ende nicht kennen – ihm so viele Fragen gestellt hätten. „Als Autor kann ich noch darauf achten, diese Fragen zu beantworten, während wir proben, sodass für die Zuschauer:innen später keine Fragen mehr offen bleiben.“ Insgesamt ist er mit der Methode zufrieden: „Es ist natürlich ein bisschen anstrengend, aber es klappt ganz gut.“

Doch worum geht es in „Die Suche nach Nyx“ nun eigentlich? Sein Stück in drei Sätzen zusammenzufassen, fällt Hegemann nicht leicht. Auch als ich auf fünf Sätze erhöhe, hat er noch immer Schwierigkeiten. Besonders verwunderlich ist das nicht: „Die Suche nach Nyx“ lässt sich nicht gerade einfach in Worte fassen. Zentrale Figur der Geschichte ist Linus, gespielt von Sören Messing. Linus wird von seiner Mitschülerin Melanie (Annalena Storch) erschossen – und das gleich mehrmals. Den Zuschauer:innen ist dabei nie so ganz klar, ob das Gesehene nun gerade real ist oder im Traum passiert. Träumt Linus? Ist er wach? Was von dem, was gerade geschieht, ist echt und was nicht? Orientierung, aber auch weitere Verwirrung bringen zwei Traumgestalten, dargestellt von Sandra Lühr und Alexander Bussmann. „Das macht doch alles keinen Sinn!“, ruft Linus verzweifelt und wird von ihnen sogleich korrigiert: „Nein, nein, nein, das macht noch keinen Sinn.“

Alle Akte beginnen in Linus‘ Zimmer, immer wieder wacht er auf und denkt, er habe einen Albtraum gehabt. „Er hat ein Déjà-vu, ein Déjà-vu-vu“, erklärt Hegemann. Der letzte Satz, der gesprochen wird, bevor Melanie Linus erschießt, ist auch der erste, der in seinem Kopf nachhallt, wenn er wieder erwacht. Stilistisch interessant ist dabei: In den fünf Akten des Stücks durchläuft Linus die fünf Phasen der Trauer nach der Psychologin Elisabeth Kübler-Ross, nämlich Ablehnung, Wut, Verhandlung, Depression und Akzeptanz. Der traditionelle Dramenaufbau der Klassik wird also mit einer wissenschaftlichen Theorie verbunden. Die Idee dazu hat ihren Ursprung in Hegemanns eigener Erfahrung auf der Bühne. Ihn störte die Einseitigkeit einer Rolle, die immer nur traurig oder nur lustig ist. „Mir haben die breit gefächerten Emotionen gefehlt“, meint er. So wandeln sich Protagonist Linus und Antagonistin Melanie während des Stücks gleich mehrmals. „Je mehr man in dem Stück als Zuschauer:in versinkt, desto mehr lernt man die Charaktere wirklich kennen“, mutmaßt Hegemann.

Hegemann hat seine künstlerischen Wurzeln im Poetry Slam – und das spiegelt sich auch in „Die Suche nach Nyx“ wieder. Beeinflussen lassen hat sich Hegemann besonders vom sogenannten spoken word des amerikanischen Poetry Slams. Dabei handelt es sich um Texte, die nicht leise gelesen werden können, sondern auf der Bühne mit Leben gefüllt werden müssen. „Auch mein Skript würde überhaupt keinen Sinn ergeben, wenn du es leise lesen würdest“, meint Hegemann. Es komme dann eben nicht darauf an, alles bis ins letzte Detail zu beschreiben. „Es ist ganz schön zu sehen, dass man auf der Bühne eben nicht alles sagen muss, was man gerade fühlt oder tut, sondern es auch einfach zeigen kann.“ Hegemann hat sich bemüht, eine verknappte Sprache zu finden, die der modernen Kommunikation gerecht wird. Ein kleines Beispiel aus dem Stück: Wenn Linus und Melanie miteinander schreiben, sprechen sie die benutzten Emoticons mit: Der Unterschied in der Betonung von „Semikolon Minus Klammer zu“ und „Semikolon Minus Klammer auf“ ist enorm. Die Bühnencharaktere reden oft gleichzeitig, ineinander, aber nie durcheinander. Sie ergänzen ihre Sätze, sprechen im Duett, sind aber perfekt aufeinander abgestimmt. „Knallpoesie trifft auf das Theater der alten Schule“ steht auf der Pressemitteilung. Und das trifft es ganz gut.

Nach der Uraufführung wird es zunächst acht weitere Vorstellungstermine bis Ende April geben. Für den Herbst ist eine zweite Saison geplant. Gerne würde Hegemann auch Gastauftritte spielen – in Marburg zum Beispiel. Mehr Infomationen zum Stück gibt’s auf Hegemanns Homepage, beim Theater und auf Facebook.

FOTOS: Luis Penner

Stellvertretende Chefredakteurin und Ressortleiterin Politik. Hat seit neustem ein abgeschlossenes Hochschulstudium - yeah! - und ist ein Fan von Katzen, dem Internet und Katzen im Internet.

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