Sneak Review #69 Die irre Heldentour des Billy Lynn
Das Genre des Kriegsfilms erlebt momentan ein Comeback. Vor zwei Wochen sahen wir noch Mel Gibsons „Hacksaw Ridge“ mit seinen brutalen Bildern in der Sneak. Diese Woche schenkt uns Ang Lee mit „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ den ruhigen Gegenentwurf.
Ein beschnittenes Fernsehbild. Zu sehen: Der 19-jährige Soldat Billy Lynn (Joe Alwyn) erschießt während eines Feuergefechts zwei Terroristen und verpflegt seinen Vorgesetzten, während er einarmig weiter schießt. Das wirkt wie die Szene eines typischen Heldenepos und kommt daher der US-Regierung während des Irakkrieges gerade recht. Sie schickt daher die blutjunge Truppe auf Propagandatour durch die Heimat um Werbung für einen unbeliebten Krieg zu machen. Dass diese Tour alles andere als ein gewöhnlicher Betriebsausflug ist verrät schon der Titel.
Wie fühlt es sich an zu töten?
Ang Lee, der zuletzt durch Filme wie „Life of Pi“ oder „Brokeback Mountain“ durch kritische Töne großen Anklang unter amerikanischen Kritikern und Zuschauern fand, wagt nun die Generalkritik am amerikanischen Ideal des Hollywood Helden, am Prunk und Protz der Feierei und vor allem am Patriotismus. Das so etwas nicht gut ankommt ist klar, soll es aber auch nicht.
„Die irre Heldentour des Billy Lynn“ verzichtet auf schwere Bilder von erbitterten Feuergefechten und legt den Fokus auf die Folgen des Krieges für die Soldaten. Dabei liegt ständig die Frage in der Luft: Wie geht ein Land mit den Männern und Frauen um, die für ihre Flagge das eigene Leben riskieren? Eines scheint klar, alle sind stolz und patriotisch, aber selbst in den Krieg ziehen würde keiner von ihnen. Stattdessen die immer gleichen Fragen: „Wie fühlt es sich an zu töten? Welches Gewehr benutzt ihr? Warum bekommen die 72 Jungfrauen? Ich meine warum genau 72 ?“ Generäle erhalten in den USA zwischen 11 und 17 Salutschüssen zu ihrer Beerdigung.
Es gibt keine Wahl.
Die Geschichte springt immer wieder zwischen Irak und USA, manchmal sind diese Übergänge kaum zu erkennen, die Grenzen verschwimmen. Nach und nach wird auch die Heldentat von Billy offenbart und in ihm wächst der Wunsch, nach der Tour nicht zurück in den Irak zu gehen. Auch im Zuschauerraum wächst der Wunsch auf ein Happy-End. Der Krieg scheint falsch, der Patriotismus der Amerikaner wirkt entlarvt und Lynns Schwester (Kristen Steward) bietet genügend Gründe weshalb Billy der Armee den Rücken kehren sollte. Der Stoff für ein idealistischen Kriegsfilm, indem die Moral siegt. Doch welche Wahl hat ein Soldat? Richtig.
Reflektiert aber zu wenig Unterhaltung
Dass die Geschichte des heldenhaften Soldaten filmreif ist, wird im Film selbst durch den Tour-Manager der Soldaten (Chris Tucker) mehrfach erwähnt. Ego-Perspektive und direkte Zuschauer-Adressierung verstärken die Botschaften des Films zusätzlich. Hier ist auch die größte Schwäche des Films zu erkennen, er überanstrengt das Publikum. Die meisten schalten nach den ersten Szenen ab und suchen nach der kleinsten lustigen Stelle. Wie den weinenden Billy, der während er tränenreich zur Nationalhymne salutiert, an nichts anderes denkt, als an den Sex mit einer Cheerleaderin, den er nie haben wird, weil er im Krieg sein wird. Den Krieg haben da alle schon vergessen, sie vermuten wohl eher Freudentränen.
Ein weiteres Problem des Films ist das zu kurz kommen der Nebenfiguren. So blüht ein Vin Diesel zwar auf, in der Rolle des spirituellen Mentors, bekommt aber maximal 5 Minuten Screenzeit über die gesamten 117 Minuten verteilt.
Niemand im Publikum versteht vermutlich, wieso ein 19-jähriger nachdem er im Krieg war, wieder zurückkehrt. Genauso versteh auch niemand der Amerikaner im Film, wieso jemand nicht zurück kehren würde für sein Vaterland. Doch eines haben Kinopublikum und die patriotischsten Amerikaner gemeinsam: sie waren nie im Krieg.
“Die irre Heldentour des Billy Lynn” kommt am 02.02. in die deutschen Kinos.
FOTO: SONY
Chefredakteur von 2017-2018 aus Gründen.
Kann ganz gut mit Worten, halb gut mit Menschen.
Studiert nebenberuflich Medienwissenschaften.