Sneak Review #96 – The Killing of a Sacred Deer
Gibt es so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit? Ist ein solcher Gerechtigkeitsbegriff überhaupt gerecht? Und: Wer richtet? Ein Außenstehender, man selbst oder eine höhere Macht? Giorgos Lanthimos‘ Mysterythriller „The Killing of a Sacred Deer“ entscheidet sich für Letzteres.
Der Chirurg Steven Murphy (Colin Farrell) und seine Frau Anna (Nicole Kidman), ebenfalls Ärztin, sind beruflich erfolgreich, Eltern von zwei Kindern und bewohnen ein nettes Haus. Ein unkonventionelles Setting für einen Thriller. Doch es gibt da diesen einen Unruhepol: Martin (Barry Keoghan), der Sohn eines verstorbenen Patienten Steven Murphys. Murphy trifft sich zunächst heimlich mit ihm doch stellt ihn später der Familie vor. Sind da etwa Schuldgefühle im Spiel? Ist Steven Murphy für den Tod seines Vaters mitverantwortlich?
Auf eine wirkliche Handlung muss man zunächst warten. Es passiert lange nichts, bis Murphys Sohn Robert plötzlich an unerklärlichen Lähmungen leidet und Martin, der Halbwaise, immer aufdringlicher wird. Was dieser aber genau will, bleibt jedoch lange unaufgeklärt bis sich Martin plötzlich als eine Art Rachedämon outet, der ausgleichende Gerechtigkeit für den Tod seines Vaters will. Und so richtet dieser Rachedämon über die Familie des Chirugen. Steven wird vor die Wahl gestellt: Entweder tötet er ein Mitglied seiner Familie oder das Schicksal nimmt ihm Ehefrau, Tochter und Sohn. Ganz nach dem Motto: Wie du mir, so ich dir.
Der hilflose Kampf gegen den Rachedämon
Der bis dato souveräne Arzt und Familienvater wehrt sich von nun an vehement gegen sein prophezeites Schicksal. Schnell muss er aber einsehen: Er kämpft nicht bloß gegen den 16-Jährigen Martin, sondern gegen eine höhere Macht gegen die er machtlos ist. Collin Farrell personifiziert diese Hilflosigkeit sehr effektvoll. Einerseits erkennt man als Zuschauer wie furchtbar stur dieser erfolgreiche Chirurg doch ist, schließlich will er sich eine Mitschuld am Tod von Martins Vater nicht eingestehen, andererseits kann man dies durchaus nachvollziehen. Steven Murphy kämpft erbittert und starrsinnig mit allen Mitteln gegen sein Schicksal. Beispielsweise wirft er seinen gelähmten Sohn zu Boden oder zwingt ihn zum Essen. Solche Szenen sind tragisch-komisch und eindrucksvoll inszeniert. Sie sorgen für Lacher beim Zuschauen, die aber schnell wieder verstummen, weil man merkt wie hilflos der doch eigentlich so marklose Arzt doch ist.
Der Großteil der originellen und nüchternen Dialoge handelt von Banalitäten, von Pommes Frites über Armbanduhren bis hin zur Periode der pubertierenden Tochter. Alles Themen einer normalen bürgerlichen Familie für die es nun mal keine wichtigeren Themen gibt. Zeitweise hat man das Gefühl die Figuren wären Roboter und keine Menschen. Murphys Schuld bleibt dadurch lange verschleiert. Sie kommt nur beiläufig zur Sprache und versteckt sich hinter einer gutbürgerlichen Fassade. Umso größer ist die Überraschung, wenn diese scheinbar normale Welt durch das Auftreten des Halbwaisen auffliegt.
Packendes Konstrukt, verstörende Auflösung
Alles in allem ein großartiger Film, der eindrucksvoll die Hilflosigkeit und Uneinsichtigkeit eines schuldigen Menschen zeigt. Das macht ihn zu einem der besseren Filme in den Kinos. Einziges Manko bleibt das Ende und die Auflösung. Das Gedankenspiel des Filmes ist eigentlich so gut, dass es gar nicht hätte aufgelöst werden müssen. Weiterhin tut es dem Film nicht gut, dass er seine Zuschauer mit einer Langatmigkeit, gerade gegen Ende, ein wenig überstrapaziert. Irgendwann ist nämlich jede Aufnahmekapazität ausgereizt, auch die für gute Mysterythriller. Aber seht selbst.
„The Killing of a Sacred Deer“ kommt am 28.12.2017 in die deutschen Kinos.
Foto: The Atlantic