Die Zensur der Moralisten
Nach der großen und langwierigen #MeToo-Debatte wollen einige Feministen:innen sexistische Kunst aus den Museen und kulturellen Einrichtungen verbannen. Sie machen damit aber einen bewussten Umgang mit Kunst unmöglich.
Eines haben Feministen:innen geschafft: Sie haben eine Sensibilität für Sexismus in der Öffentlichkeit geschaffen, die längst überfällig war. Die Mehrheit der Menschen schaut nun viel genauer hin, wenn Werbeplakate anzügliche und veraltete Frauenbilder zeigen oder Frauen selbst in ihrer beruflichen Rolle schlicht als Flirtobjekte gelten. Eine Errungenschaft, die niemand missen will. Jetzt haben sich Feministen:innen die Künste vorgenommen, vor allem die Malerei.
Nackte Frauen sind tabu
Ende letzten Jahres forderten tausende Menschen in einer Online-Petition das New Yorker Museum Metropolitan dazu auf die Träumende Therese nicht mehr zu zeigen. Das Balthus-Gemälde zeigt ein junges Mädchen in einer, für manchen Betrachter, anzüglichen Pose. Eine vorpubertäres Mädchen würde dadurch sexualisiert. Ein Kunstzensur von unten soll nun solche Bilder, von denen es unzählige gibt, aus den Ausstellungsräumen entfernen. Diesmal ist es kein Despot, der Kunst verbietet oder verbrennen lässt, sondern Bürger:innen.
Die Welt ist den Feministen:innen nicht genug, nun ist die Kunst dran. Doch damit schießen die Moralisten unserer Zeit weit über ihr Ziel hinaus. Darf also kein Gemälde mehr ein nacktes Mädchen zeigen? Darf niemand mehr über den ersten Kuss mit einem 15-Jährigen singen? Und darf kein Roman mehr eine pädophile Figur entwerfen und behandeln? Bisher waren Künste aller Art die geeigneten und zurecht geschützten Antworten auf diese Grenzerfahrungen menschlicher Existenz. Sollte alles moralisch Verwerfliche, und diese Liste wäre lang, nun aus der Kunst verbannt werden? Wo sollten diese ihren Platz finden, wenn nicht in der Kunst? Nirgendwo, wenn es nach den Verfassern der Online-Petition ginge. Totschweigen und zensieren ist die Konsequenz. War der Feminismus in den letzten Monaten noch so gut darin Debatten zu entfachen, so macht er es sich nun zur Aufgabe, der Kunst eben diese Fähigkeit zu nehmen.
Bloß nichts Grenzwertiges
Ganz nebenbei traut eine solche Denkweise niemandem zu, er könne ein Kunstwerk jeglicher Art angemessen rezipieren. Mündige Bürger:innen müssen wir sein, um Sexismus und Rassismus in Kunstwerken zu erkennen. Eine Moral-Zensur soll uns das abnehmen. Die Kunst auf grenzwertige oder sexuelle Motive filtern. Was heißt das für einen Kunstrezipienten? Ihm wird eine genauere und tiefere Betrachtung eines Bildes abgenommen. Kein Sexismus. Kein Rassismus. Ah, schönes Bild. Aber eben keine Kunst mehr.
Doch es gibt immer eine Alternative zur Zensur. Ein bewusster Umgang mit Kunst ist eine. Jeder, der mit Gemälden, Gedichten, Liedern, Filmen oder Romanen konfrontiert wird, muss selbst erkennen und reflektieren können, was genau ihm eigentlich dargeboten wird. Ja, kulturelle Zeugnisse sind oft sexualisiert. Wer das für sich selbst erkennen kann, ist auf einem guten Weg Kunst zu verstehen. Wer glaubt Bilder wie die Träumende Therese oder Hylas und die Nymphen seien Ausdruck mangelnden Respekts gegenüber Frauen, nicht. Eine aufgeklärte Gesellschaft, die bewusst mit Kunst umgehen kann, braucht nicht nur keine Moralisten-Zensur, sie sollte sich auch entscheidend gegen diese wehren.
Foto: François Boucher: Ruhendes Mädchen. Gemeinfreies Werk.