Theater Review #15: Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution

Theater Review #15: Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution

Schwarzlicht-Totentanz auf LSD. Am vergangenen Samstag fand im Theater am Schwanhof die Premiere von Heiner Müllers „Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution“ statt. Literarische Vorlage für das Stück ist Anna Seghers „Das Licht auf dem Galgen“ von 1961.

Die Revolution, an die sich erinnert wird, ist die Französische, diese mit Napoleon. Doch befinden wir uns nicht in Frankreich, wir springen irgendwo zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hin und her, bewegen uns irgendwo zwischen Leben, Tod, Jamaika und Peru.

„Kein Atem für Didaktik!“

Auf einer weißen Bühne, recht minimalistisch eingerichtet und so schief wie Marburgs Wohnungen, läuft leises, obskures Geklimper im Hintergrund. Es wandelt eine androgyne Person im Kreis und im Hintergrund sitzt still etwas, das aussieht wie das „The Ring“-Mädchen in Blond. Es ist unklar, ob es sich um eine Puppe handelt, oder ob es sich noch bewegen wird, aber zur bedrückten Stimmung trägt es in jedem Fall bei.

Die androgyne Person ist ein Matrose, der die Gegenwart mit dem Überbringen eines Briefes von Galloudec an Antoine betritt. Galloudec befindet sich vermutlich nicht mehr unter den Lebenden, denn der Matrose traf ihn in einem Krankenhaus, wo Galloudec bereits kurz vor dem Tode stand. Tod, das ist sowieso Thema einer jeden Revolution, und ebenso ein Kernthema von „Der Auftrag“. Damit ist also gleich klar: auch in der Marburger Inszenierung sollte man keinen Abend mit leichter, seichter Unterhaltung erwarten. Tatsächlich ist es – trotz zum Teil wirklich abstruser Kostümierung – schwere Kost.

„Ich bin Matrose. Ich glaube nicht an Politik!“

Galloudecs Brief erwähnt den obskuren Auftrag, und Sasportas‘ Tod. Die „Puppe“ bewegt sich, sie ist doch nicht nur Deko, reicht Brot und Wein. „Mit vollem Mund redet es sich leichter über eine verlorene Revolution“, sagt Antoine und gibt nach anfänglichem Leugnen zu, Galloudec doch zu kennen, doch der Auftraggeber gewesen zu sein. Dem Matrosen ist es egal, er hat seinen Auftrag erfüllt. Antoine liest den Brief immer und immer wieder, bis er das leise Flüstern Galloudecs hören kann, der aus dem Totenreich seinen Brief rezitiert.

Damit reisen wir in die Vergangenheit und erfahren etwas mehr über diesen Auftrag: Debuisson, Galloudec und Sasportas sind Gesandte der Französischen Revolution, welche nach Jamaika hinüber wandern soll. Dafür müssen die drei in andere Rollen schlüpfen und einen Sklavenaufstand anzetteln. Debuisson bekommt seine Rolle des Sklavenhalters ganz gut hin, die anderen haben Schwierigkeiten in der Rolle zu bleiben. Sie üben lange, rattern ihre Rollen herunter, um am Ende die Nachricht zu bekommen, dass der Auftrag gecancelt ist. Napoleon habe das Direktorium aufgelöst, die Revolution ist vorbei.

„Wir sind nicht gleich, eh wir uns die Häute abgezogen haben.“

Dies ist keine adäquate Zusammenfassung des Stückes, weil das den Rahmen sprengen und weil dann natürlich der Theaterbesuch obsolet wäre. Es gibt viele Monologe, der Aufmerksamkeit wird viel abverlangt, Heiner Müller halt. Es ist eindeutig klar, dass das Stück zwei Stunden Konzentration voraussetzt und eine nachhaltige Erinnerung an die nicht in Jamaika statt gefundene Revolution hinterlässt. „Der Auftrag“, vermutlich ganz gleich in welcher Form er rezipiert wird, ist ein Abend-Programm, das gerne von einigen staubtrockenen Flaschen Rotwein – oder nehmen wir gleich Whiskey – begleitet werden kann. Im Vorfeld vielleicht noch ein Nickerchen. Wer Lust darauf und Spaß daran hat, über Leben, Tod und Fahrstuhlfahrten im Rahmen der Pünktlichkeit nachzudenken und zu diskutieren, wird auch an der Marburger Version von „Der Auftrag“ Gefallen finden. Abgesehen von schweren Themen kann man sich dann zusätzlich ein gelungenes Kostümbild ansehen und musikalische Begleitung von Multifunktionskünstler Jan Preißler hören, die die insgesamt gelungene Inszenierung an Konzerte von den Einstürzenden Neubauten denken lässt. Wer sich nur ein bisschen die Gedanken vertreiben will, sollte vielleicht etwas anderes unternehmen.

Nächste Termine: 07.11.2017, 19.30 Uhr; 10.11.2017, 19.30 Uhr; 21.11.2017, 19.30 Uhr; 20.12.2017, 19.30 Uhr im Theater am Schwanhof.

Besetzung: Jan Preißler (a.G.), Sebastian Muskalla (a.G.), Oda Zuschneid, Tibor Muth (a.G.) Regie: Oda Zuschneid Ausstattung: Daniel Angermayr, Musik: Jan Preißler, Dramaturgie: Franz Burkhard

Weitere Informationen zu dem Stück gibt es hier.

Illustration: Steve M. Clements

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