Theater Review #16: Der Prozess
Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, dass er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen. „Es ist möglich“, sagt der Türhüter, „jetzt aber nicht.“
Eigentlich beginnt Der Prozess mit Josef K.’s Verhaftung. Die Marburger Aufführung öffnet mit der erst wesentlich später vorkommenden Parabel Kafkas Vor dem Gesetz, einem eigenständigen Prosatext, der jedoch als einziger Teil von Der Prozess von Kafka selbst veröffentlicht wurde. Dieser nicht ganz am Text klebende, nicht völlig chronologische Ansatz der Inszenierung tut der Geschichte aber keinen Abbruch und macht sie für Kafka-Neulinge möglicherweise sogar besser verständlich.
„Sie sind nur verhaftet, nichts weiter.“
Erst kam der Mensch, dann kam der Beamte. Kurze Zeit später wurde der 10:00-Termin erfunden. Während aus dem Off Vor dem Gesetz von einer angenehmen Frauenstimme vorgetragen wird, betreten seltsam deformierte Figuren die Bühne und beginnen durch präzise ausgeführte, abgehackte Gesten und dialogische Textpassagen, die Geschichte zu erzählen. Ihre Extremitäten sind in Anlehnung an verschiedene Laster überspitzt konstruiert. Irgendwann schält sich der erste Josef K. aus seinem Bürokratenkostüm und stellt sich seinen Anklägern und deren Gehilfen.
„Das beste wäre es, sich mit den vorhandenen Verhältnissen abzufinden.“
Am Morgen seines 30. Geburtstags wird Josef K. ohne Grund -zumindest ohne einen je genannten – verhaftet. Er ist sich keiner Schuld bewusst und auch die Wärter können oder wollen ihm den Grund für seine Verhaftung nicht nennen. Da die Verhaftung pro forma geschieht und K. weiterhin seiner Arbeit und seinem Leben nachgehen kann, macht er sich zunächst wenig Sorgen. Je weiter der Prozess aber voranschreitet und unerlässlicher Teil seines Lebens wird, desto mehr möchte er erfahren, was der Grund seiner Anklage und aktuelle Lage des kontinuierlich mehr oder weniger im Hintergrund geschehenden Prozesses ist. Dadurch gerät er immer tiefer in die Maschinerie des ominösen Gerichts hinein, das überall und doch nicht dort ist, wo man es erwarten würde: Die Angestellten des Gerichts leben in den Anklageräumen, aber nur, wenn diese nicht gerade benutzt werden; in irgendwelchen Dachgeschossen versucht K. sich zu verteidigen. Einen Gerichtssaal gibt es nicht, das Gericht ist überall und nirgends.
Ein Leben außerhalb seines Prozesses und der damit einhergehenden Umstände und Personen, naja, Bürokraten in diesem Leben unter den wachsamen Augen des Gerichts scheint zunehmend unmöglich. Josef K. verstrickt sich immer tiefer in den Verhandlungen und in Affären, die zum einen gang und gäbe zu sein scheinen und zum anderen Pflichtprogramm, denn das System kommt näher und näher, es geht unter die Haut, es will einen mit Haut und Haaren.
„Das Gericht hat eine eigentümliche Anziehungskraft.“
Mit großer Wahrscheinlichkeit haben wir alle Der Prozess gelesen, ob durch Lehrpläne erzwungen oder freiwillig. Es ist Kafka, klar, natürlich kennt man mindestens Die Verwandlung. Und wenn nicht, dann tut man eben so. Käfer, jaja. Es ist also beinahe selbstverständlich, naheliegend und logisch allemal, dass der gesamte Saal des Marburger Theaters im Schwanhof gleich zu Beginn so vernebelt ist wie Kafkas Geschichten und man zum Schluss mit geröteten Augen und einem großen Bedürfnis nach kalter, klarer Luft den Saal verlässt. Die Atmosphäre kann man sich aufs Brot schmieren, stimmungsgeladene, pointiert einsetzende Musik brummt wie im Film Noir und die ausnahmslos gut gewählte Besetzung gibt erfolgreich sehr viel Inhalt wieder – klar, es ist Kafka, kein Ponyhof.
Das minimalistisch-futuristische Bühnenbild, das sich den ganzen Abend nicht verändert, trägt ausreichend zur Geschichte bei: Es sind Schemen von schiefen Häusern und eine Art Rampe, um der Bühne mehr Platz, mehr Tiefe, zu verleihen. Ein interessanter Ansatz ist es, dass Josef K., in seiner dem Gericht ausgelieferten, verlorenen, nackten Form dem Publikum am nächsten ist, auch wenn er im Laufe des Stückes verlauten lässt:
„Ihr seid ja alle Beamte!“
„Was willst du denn jetzt noch wissen?“ fragt der Türhüter, „du bist unersättlich.“
„Alle streben doch nach dem Gesetz“, sagt der Mann, „wieso kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlass verlangt hat?“
Der Türhüter erkennt, dass der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an: „Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“
Das Theater Marburg schafft mit Kafkas Der Prozess den Spagat zwischen deprimierend und unterhaltsam. So zynisch es auch ist, gegen die Bürokratie gewinnt am Ende niemand: Wenn sie dich zu ihrem Opfer auserkoren hat, dann wirst du es auch bleiben. Nutzen wir die Zeit und machen das beste draus.
nächste Termine:
14.12.2017, 19.30 Uhr / 16.12.2017, 19.30 Uhr / 11.01.2018, 19.30 Uhr / 13.01.2018, 19.30 Uhr, Theater im Schwanhof.
Besetzung: Camil Morariu, Lisa-Marie Gerl, Maximilian Heckmann, Thomas Huth, Victoria Schmidt Regie: Philip Lütgenau Ausstattung: Yuqiao Wu Musik: Michael Lohmann Dramaturgie: Matthias Döpke
Weitere Informationen zu dem Stück gibt es hier.
FOTO: Andreas Maria Schäfer
Bin mir nicht sicher, ob das eine Theaterrezension sein soll oder einem Kafkas Werk näher bringen soll? Ist auch eigentlich egal. Der Text schafft weder Letzteres noch vermittelt er einen Eindruck von der gegebenen Theateraufführung.
Man muss nicht mal das Stück gesehen haben, um eine qualitativ bessere Review zu schreiben. Schade.