Theater Review #3: See you on the other side
In „See you on the other side“ lässt Regisseur Matthias Mohr Motive aus dem Roman „Morels Erfindung“ (1940) von Adolfo Bioy Casares auf Arnold Schönbergs Zweites Streichquartett treffen. Das Ergebnis bot weniger klare Handlungsstränge als viel mehr Themen, Bilder und Klänge und eine Menge Interpretationsfreiraum. In der Hauptrolle spielte Christian Wittmann, musikalisch wurde das Stück vom Daphnis-Quartett getragen.
Der Hauptdarsteller steht bereits auf der Bühne als das Publikum den Saal betritt. Ein Mann in weißem Anzug mitten in einem ebenso weißen Bühnenbild. Das Weiß der Bühne wird nur von wenigen Requisiten durchbrochen. Ein Schallplattenspieler, eine gläserne Pyramide, ein altes Tonbandgerät und eine hölzerne Skulptur eines menschlichen Kopfes. Am rechten Bühnenrand sitzt ein Streichquartett und wartet auf seinen ersten Einsatz. Das Spiel beginnt als der Mann ein Stückchen Plastikfolie an den Ohren des hölzernen Kopfes reibt und dabei ein Geräusch wie das einer gestörten Telefonleitung erzeugt. Es kratzt an den Nerven des Publikums. Der Mann reizt die Situation aus, bis er plötzlich abrupt aufsteht, zu dem Tonbandgerät geht und sich für diese erste Szene entschuldigt. Man schmunzelt erleichtert. Dieses Schmunzeln kehrte in den 70 Minuten Theater an diesem Abend immer wieder. Beim Verlassen des Saals wich es jedoch bei den meisten Zuschauern einem etwas fragenden, unsicheren Gesichtsausdruck.
Eine Reise vom Stolz zur Verzweiflung
Die Uraufführung des Musiktheaters „See you on the other side“ am 18.11.2016 in der Blackbox des Hessischen Landestheaters Marburg, enttäuschte all diejenigen, die in Erwartung eines klassischen Stücks mit dem gewohnten Spannungsbogen gekommen waren. Wer unvorbereitet in den Theaterabend ging, benötigte eine ganze Weile, um überhaupt zu verstehen wer oder was der Mann da auf der Bühne eigentlich ist. Ein verschrobener Künstler? Ein einfacher Mitarbeiter in einem Museum? Ein verrückter Erfinder? Tot oder lebendig?
Das Einzige, was er dem Publikum zu Beginn verrät, ist, dass er etwas erfunden hat. Eine neue Art der Fotografie, die den abgebildeten Menschen augenscheinlich zum Leben erweckt, indem sie ihn eine bestimmte Handlung immer wieder vollführen lässt. Wie genau seine Erfindung funktioniert, erklärt er nicht. Stattdessen nimmt er das Publikum mit durch ein Labyrinth an Empfindungen, die er selbst mit seiner Erfindung verbindet. An dessen Beginn steht der Stolz darüber, dass er es geschafft hat, Menschen auf eine Art und Weise abzubilden, die sie für immer unauslöschlich festzuhalten vermag – dass er durch sie scheinbar unendliches Leben geschaffen hat. Dieser Stolz verliert sich auf dem Weg durch das Labyrinth, durch das er das Publikum führt, und endet in einer unausweichlichen Verzweiflung, als er einsieht, dass seine Erfindung nicht das echte Leben, sondern bloß leere Kopien erschaffen kann, deren Existenz ihn bald quält.
Viel Licht, viel Musik und ein paar kleine Fragezeichen
Er lässt das Publikum auf eine Art und Weise an seinen Empfindungen teilhaben, die Sprache in den Hintergrund treten lässt. Seine Gefühle werden stattdessen durch die Musik des Quartetts, Lichtspiele und Bilder transportiert. Immer wieder werden dabei die Motive des unvermeidlichen Scheiterns bei dem Versuch Leben zu kopieren, die unabdingbare Endlichkeit des Lebens und die verzweifelte Sehnsucht mit einer geliebten Person vereint zu sein, aufgegriffen.
Wahrscheinlich hatte jedoch jeder Zuschauer am Ende des Abends eine andere Interpretation des Stücks. Der unsichere, etwas verhaltene Ausdruck in den meisten Gesichtern ist wohl damit zu erklären, dass das Stück durch die vielen verschiedenen Sequenzen sehr durchbrochen und etwas konfus wirkte. Vor allen Dingen wer sich gänzlich unvorbereitet auf einen netten Theaterabend gefreut hat, dürfte sich in dem Stück ziemlich schnell verloren haben. Die Bilder und Eindrücke, die das Stück schafft, wirken nicht von alleine. Sie sind keine reine Unterhaltung für die Sinne, wenn sie nicht mit Hintergrundwissen aufgefüllt werden können.
Sicherlich ein Stück, das nicht jedermanns Geschmack trifft, aber dennoch ein Theaterabend mit wirklich guten musikalischen Elementen und mit Potential für angeregte Diskussionen im Nachhinein.
FOTO: Killa Schuetze
Studiert Geographie, reist gerne, tanzt gerne und liebt Theater.