(Unsere) Rechte schützen Rechte 

(Unsere) Rechte schützen Rechte 

Am 28. Februar ging der Germania-Gerichtsprozess in die zweite Runde und wir waren vor Ort, um zu schauen wie sich die Burschis schlagen.

In den Prozess involvierte Verbindungen

Die Marburger Burschenschaft Germania ist eine schlagende und farbentragende Studentenverbindung in Marburg.
Die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn erlangte Bekanntheit durch den durch sie eingereichten Antrag auf die Einforderungen eines ,,Ariernachweis“ bei Anwärtern der Verbindung. Auch sie ist farbentragend und schlagend – mehr dazu hier.
Beide werden der rechtsextremen Szene zugeordnet und stehen in Verbindung zu der Identitären Bewegung, der NDP, der AfD und dieBasis.
Die Schwarzburgverbindung Frankonia Marburg ist eine liberale, nichtschlagende Studentenverbindung und ist aus einer Gegenbewegung zu den pflichtschlagenden Verbindungen entstanden.

Schon merkwürdig, Gesichter, die ich sonst nur aus veröffentlichten antifaschistischen Rechercheprojekten und der Zeitung kenne, stehen auf einmal vor und hinter mir in der Schlange des Gerichtssaals. Weniger Menschen als erwartet sind hier und niemand ist ganz schwarz gekleidet, das hatte ich anders erhofft. 

Im Saal angekommen suche ich mir einen Platz, auf dem die Angeklagten direkten Blickkontakt zu mir aufnehmen können, nicht als hätte ich lange suchen müssen, die meisten Stühle sind unbesetzt. Das Interesse, dem Prozess beizuwohnen, war trotz medialer Aufmerksamkeit wohl nicht so groß.

Dann stehen alle auf, die Richterin betritt den Saal. Der zweite Teil des Germania-Prozesses beginnt.

,,Wir sind einfach weitergelaufen, man rechnet
ja nicht damit, dass jemand zuschlägt‘‘

Nach und nach ergibt sich durch die Aussagen der Geschädigten und Zeug:innen ein Gesamtbild der Abläufe des Abends. Wie bereits in dem ersten Gerichtstermin beleuchtet, wurden die Mitglieder der Schwarzburgverbindung Frankonia zu Marburg, die sich gemeinsam zum „Bummeln“ aufmachten, um andere Verbindungen zu besuchen und Bier zu trinken, beim Zigarettenkauf von einer Gruppe Männer in Tracht abgefangen. Diese Männer trugen Schärpen in den ehemaligen Farben des nationalsozialistischen Deutschlands. Es handelte sich hierbei um Angehörige der rechten Burschenschaft Germania.

Da bei der Frankonia Kontaktverbot zu rechten Verbindungen besteht, entfernten diese sich, doch wurden verfolgt. Einer der Burschis, Nicolas K., solle das Handy in die Hand genommen und Verstärkung gerufen haben, denn es herrsche ,,Zeckenalarm‘‘. Eine Gruppe von knapp zehn Germanen habe die Frankonia eingeholt, sie geschlagen und homofeindlich und antisemitisch beleidigt. 

Wie eine Überwachungsaufnahme festgehalten haben soll, zogen sich die Burschis für eine kurze Besprechung zurück, sammelten sich und setzten zu einem weiteren Angriff an. Einer von ihnen solle eine Wehrmachtsuniform getragen haben.

Kurze Zeit darauf, stürmten sie vermummt das Haus der Frankonia und verwüsteten das Erdgeschoss stark. Es wurden Fenster eingeschlagen, ein Fernseher umhergeworfen, Wandbehänge abgerissen und auf einem Bild der abgebildeten Person die Kehle durchgeschnitten.

Als einer der Hausbewohner nach der Flucht der Angreifer versuchte die Polizei zu rufen, wäre er von Hans F. mit einem Schlagstock bedroht worden, welcher daraufhin von einem unbeteiligten Nachbarn entwaffnet und zu Boden geworfen wurde.

,,Du Judensau‘‘  

Schnell wird deutlich, dass diese Verhandlung nicht nur in der linken Filterblase für Aufsehen sorgt, sondern auch offiziell als politisch motiviert eingestuft wurde.
Nicht nur die Tatsache, dass es sich bei dem Angriff der allseits bekannten rechtsradikalen Burschenschaft Germania um einen auf die liberalere, sich selbst als ,,links“ bezeichnende Verbindung Frankonia handelte, sondern auch die Herangehensweise. Demnach sollen die Geschädigten bei dem Angriff als ,,Schwuchtel‘‘ und ,,Judensau‘‘ beschimpft worden und es soll sogar der Satz ,,Sowas wie dich hätte man früher an die Wand gestellt‘‘ gefallen sein. Auch Hans F. betonte angeblich gegenüber der Polizei, welche ihn auf dem Boden liegend vorfand, er wäre ,,von Linken‘‘ angegriffen worden.

Die mutmaßliche Konstellation des „Rechts gegen Links“-Konflikts im Saal führte jedoch dazu, dass hier nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch der Staatsschutz ermittelte. Diese Vorgehensweise verblüffte mich, denn dafür dass Staat und Recht in Deutschland doch meist auf dem rechten Auge eher schlecht zu sehen scheinen, machten die Kriminalbeamt:innen in ihren Aussagen mehrfach deutlich, dass es sich um einen rechtsradikal motivierten Angriff gehandelt haben soll. Diese Sicherheit mag wohl auch an den Beteiligten gelegen haben, denn auf der Anklagebank reihten sich bekannte Rechte zwischen erprobten Anwälten der Szene ein.

Burschenschaft Germania Flagge

Angeklagte

Heinrich M.   Mitglied der Germania und bekannter Identitärer, „Marburgs Vorzeige-Rechter“. Ein Bilderbuchwerdegang über die Ernennung als Regionalleiter der Identitären Hessen bis zu der Arbeit für einen Politiker, welcher aufgrund von Korruption aus der AfD ausgeschlossen wurde (das muss mal jemand schaffen).

Nicolas K.   Mitglied der Germania und Heinrich M.s ehemaliger ,,Leibfux‘‘ , ein stadtbekannter Rechtsradikaler und großer Fan der Identitären Bewegung, welcher zum Tatzeitpunkt Geschichtswissenschaften in Marburg studierte und auf dem Haus der Germania wohnte.

Hans F.  Kein Mitglied der Germania, sondern der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn, welche durch ihren Antrag auf einen ,,Nachweis der deutschen Abstammung‘‘ Bekanntheit erlangten.

Anwälte

A. Schoemaker  Soll auch Raczeks zu Bonn Mitglied sein und vertritt regelmäßig verschiedene Personen aus der Szene und der AfD. Gerüchten zufolge soll ihm selbst jedoch die Parteimitgliedschaft aufgrund rechter Aktivitäten verwehrt worden sein.

B. Clemens  Rechtsanwalt im rechtsextremen Umfeld, bekannt durch den Lübcke-Fall. Betreibt einen Telegram-Kanal, in welchem er nicht nur über die ungerechte Behandlung rechtsradikaler Straftäter, sondern auch über ,,Impfpropaganda‘‘ während der Corona Krise aufklärt.

M. Brauer  Soll auch Mitglied der Raczeks zu Bonn sein und vertritt laut Recherchen der TAZ und des Katapult Magazin die Identitäre Bewegung, rechte Burschenschaften und Po­li­ti­ke­r:in­nen der AfD.

M. Bartusch   Soll NPD-Unterstützer und selbst Burschenschaftler der Rugia Greifswald und der Raczeks zu Bonn sein.

,,Stadt, Land, Fluss

Immer wieder wurde die Frage gestellt, inwiefern die Kläger sicher sein konnten, dass es sich bei dem Anführer ihrer Angreifertruppe um Nicolas K. handelte, die Antwort einer der Geschädigten, welcher mehrere Schläge ins Gesicht abgekommen habe, war für die Anwälte der Täter wenig zufrieden stellend. Denn immer wieder wurde als Identifikationsmittel die Internetseite Stadt, Land, Volk genannt, eine antifaschistische Kampagne zur Aufdeckung rechter Identitäten.

Dies zweifelte der Anwalt des Beschuldigten an, denn eine Internetseite namens ,,Stadt, Land, Fluss‘‘, wie er sie zynisch nannte, sei keine Grundlage für eine valide Identifikation eines Tatverdächtigen.
Auch wurden die Polizisten, Kommandanten und Hauptkommisar:innen ebenso wie alle Zeug:innen befragt und in die Mangel genommen. Jedes Wort wurde gedreht und gewendet bis Fehler bei der Aufnahme der Zeugenaussagen gefunden werden konnten. Den Anwälten der Angeklagten, sowie diesen selbst, schien das Verfahren keinerlei Sorge zu bereiten. Kleine Scherze im Gerichtssaal, lockere Gespräche in den Pausen und ein abfälliges Schmunzeln, wenn sich Zeugen in ihren Aussagen verunsichern ließen. Einer der Angeklagten erschien in Sportkleidung und mit Sporttasche, es hätte mich nicht gewundert, wenn er gerade aus dem Training in den Saal geschlendert wäre.

Sie waren sich ihres Freispruchs sicher und leider wurde schnell deutlich, das konnten sie auch sein.
Denn von den sechs Tatverdächtigen, mussten sich überhaupt nur drei dem Gerichtsprozess stellen. Von diesen drei konnten aufgrund der Fehler der Polizei bei deren Aufnahme der Zeugenaussagen, Widersprüchen bei der Identifikation der Täter sowie die bei dem ersten Prozesstermin thematisierte Weitergabe der Polizei- und Verfahrensdokumente, zwei freigesprochen werden. Der dritte Täter, Nicolas K., welcher als Haupttäter ausgemacht wurde, erhielt eine Bewährungs- und Geldstrafe, welche aber angefochten werden kann. Dass dies noch getan wird, würde mich bei den hartnäckigen Vorgehensweisen der Verteidiger wenig überraschen.

Zusammengefasst sahen die Urteile wie folgt aus:

Nicolas K.
Vorwurf
: Gemeinschaftliche, gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 2), Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch. Hätte mit sechs Monate bis zu zehn Jahre verurteilt werden können. 
Wirtschaftliche Situation: Derzeit Minijob auf 450 Euro Basis.
Staatsanwalt schlägt folgendes Urteil vor: Acht Monate, die zu drei Jahren auf Bewährung ausgesetzt werden können. Kein minderschwerer Fall, aber für den Angeklagten spricht, dass die Tat lange zurückliegt und keine irreparablen Schäden zurück geblieben sind, außerdem eine positive Sozialprognose da er zum ersten Mal verurteilt wird. Gegen ihn spricht seine Vorbelastung, dass es keine Tatprovokation von Seiten der Frankonia gab sowie STGB § 46 Abs. 2 Gesinnung & Beweggründe.
Verteidiger: Merken an, dass die Ermittlungsakte in den Händen der Kläger waren, was die Aussagen zweifelhaft gestaltet. Weiterhin gibt es nicht genug Beweise, dass die Angeklagten anwesend waren.
Urteil: Acht Monate, die zu drei Jahren auf Bewährung ausgesetzt werden können, Zahlung von 1500 Euro an eine gemeinnützige Organisation, hat eine Woche Zeit das Urteil anzufechten.
Folgen: Nicolas K. musste aus dem Verbindungshaus ausziehen.

Hans F.
Vorwurf: 
Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, versuchte Nötigung und Körperverletzung.
Wirtschaftliche Situation: Arbeitssuchend, bezieht Bürgergeld.
Staatsanwalt schlägt folgendes Urteil vor: 160 Tagessätze á 15 Euro, für versuchte Nötigung. Freispruch für die Anschuldigung der Körperverletzung.
Verteidiger: Es konnte nicht bewiesen werden, dass und ob er bei der Tat anwesend war. Zwar wurde er im Polizeibericht identifiziert, jedoch war im Einsatzprotokoll keine Personalausweis-Kontrolle vermerkt, was die Identifikation entkräftet. Demnach hätte sich, laut Verteidiger, jeder als Hans F. ausgeben können.

Heinrich M.
Staatsanwalt schlägt folgendes Urteil vor: 
Freisprechen. 
Urteil: Freigesprochen.
Grund: Täterschaft lässt sich nicht zweifelsfrei bestätigen.

Quintessenz

Diese Gerichstverhandlung zeigt erneut auf, welche Kraft und welcher Zusammenhalt in den Strukturen und der Vernetzung der rechten Szene stecken und welche Bedeutung den Burschenschaften zuzusprechen ist. Liberale Verbindungen setzen sich einem hohen Gewaltrisiko aus, sobald sie sich klar von den politisch motivierten distanzieren. Besonders wenn nun wieder deutlich wurde, dass diese mit keiner Verurteilung zu rechnen haben.

Schon merkwürdig, Gesichter, die ich sonst nur aus Rechercheprojekten und der Zeitung kenne, plötzlich vor mir zu sehen und kein bisschen überrascht zu sein, welchen Ausgang dieser Prozess genommen hat.



Informationen von zu dem ersten Prozesstermin findet ihr bei der Antifa Frankfurt hier.

Und zum Rechercheprojekt zur Marburger Burschenschaft Germania gehts hier lang.

Seit Anfang 2023 Mitglied der Redaktion und schreibt gerne über alles, was politisch, albern oder am besten beides ist.
Nichtraucherin und vegan, in beidem jedoch erfolglos.

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