Vorlesungssaal und Bier im Strahl: Marburgs Bars für Erstsemester

Vorlesungssaal und Bier im Strahl: Marburgs Bars für Erstsemester

Fernando Botero, Three Women Drinking (2006) gettyimages.de

Triggerwarnung: Der Artikel thematisiert Alkohol und Erfahrungen mit Konsum.

Zwischen Fachwerkhäusern und Fachsimpelei

Marburg, ein pittoresker Ort mit seiner historischen Altstadt, geprägt von Fachwerkhäusern und einer lebendigen Studi-Szene, bietet mehr als nur idyllische Kulissen. Hier, wo sich Geschichte und Moderne treffen, findet sich auch eine Vielzahl an Bars, die als Treffpunkt, Rückzugsort und Quelle des Hedonismus dienen. Auch ich habe meine Jahre in Marburg bisher ausgiebig genossen und mich durch die verschiedenen Bars getrunken. Einen kleinen Ausschnitt der Bars, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind, findest du hier. Vielleicht hilft dieser zu enthüllen, welchem Etablissement du am ehesten zugeneigt sein wirst.

Jan Steen, Beware of Luxury (ca. 1663) gettyimages.de


Wo Erstis ihre Unschuld verlieren

Im Bann des Bermuda-Dreiecks – so bezeichnet sich der Bereich zwischen Frazzkeller, Tunnel und Spock. Hier versammelt sich insbesondere zu Beginn die junge Marburger Szene. Ähnlich wie bei Tekkens Choose Your Fighter steht dir hier die Qual der Wahl bevor.

Rostiger Nagel und Kinosessel

Der Frazzkeller, hier erwartet dich eine muckelige Kellerkneipe. Im unteren Bereich erklingt häufig Metal und Rock, während die begrenzten Sitzplätze um eine Ecke mit antiken Kinosesseln ergänzt werden. Wenn du ein Fan von Bier bist oder Lust auf interessante Shots hast, bist du hier genau richtig. Und natürlich wirst du früher oder später wegen des berüchtigten rostigen Nagels hier vorbeischauen – eine Tradition, der du dich in Marburg kaum entziehen kannst. Auch finden sich an der Bartheke häufig ein paar Marburger Originale, mit denen es sich anzustoßen lohnt. 

Bis ins Delirium: Direkt über dem Frazzkeller findest du das Deli(rium), eine Erweiterung des Gesamterlebnisses. Wenn du zu den wenigen Auserwählten gehörst, die dem Nikotin nicht verfallen sind, dann ist dies einer der seltenen Orte in Marburg, an denen du in einem Nichtraucherbereich trinken und Dart spielen kannst!


Zwischen Absinth-Bar und Tanz

Das Spock, der Ort, an den ich doch immer wieder zurückkehrte. Die liebevolle, etwas artistische Einrichtung ergänzt sich durch einen Tischkicker und eine schick urige Bar. Hier finden sich all die Dinge, die das Herz aller Nachtschwärmenden höher schlagen lässt. Die Atmosphäre ist liebevoll und herzlich, und es gibt genug Platz für Tischkickende sowie diejenigen, die es vorziehen, sich an der Bar, an Gruppentischen oder auf gemütlichen Sofas niederzulassen. Während der Woche bestimmen oft die ehrwürdigen Bargeister die Musikauswahl, was für entspannte Abende mit verschiedenen Musikstilen sorgt. Doch am Wochenende verwandelt sich ein Teil der Theke in ein Pult. Anders als in der ehemaligen Technolocation Cavete sind es hier oft dieselben Verdächtigen an den Decks, was dem aber nichts abtut. Wo unter der Woche gemütlich Bier getrunken wird, kann am Wochenende auch mal ein Tänzchen gewagt werden. 

Tipp: Absinth Tower, (zum Teil ) günstig und lecker.

Wenn du dich nach Großstadt sehnst, aber hier festsitzt

PHILIPP hat den Tunnel einmal (hoffentlich) scherzhaft euphemistisch als „Ein Hauch Berghain im Marburger Nachtleben“ bezeichnet – ob dabei auf die elektronische Musik oder die dunklen Wände angespielt wurde, bleibt wohl ein Rätsel. Meine wilden Zeiten verbrachte ich hier, aber bei meinen – heute seltenen – Besuchen wundere ich mich mittlerweile über das junge Publikum. Die alte Tunnel-Generation hat für die nächste Platz gemacht und das ist auch gut so. Vielleicht ist die Klientel gar nicht so jung, es könnte auch sein, dass ich einfach älter geworden bin. Vielleicht wolltest du eigentlich immer in Berlin studieren oder startest gerade dein erstes Semester in Kunst, Musik und/oder Medien? Im Tunnel kannst du die Zeit in der Kleinstadt gut überbrücken, die außerhalb der Sommerraves nur begrenzt Techno anbietet. Erwarte nicht, dass hier jeden Abend eine Party steigt. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die Person hinter der Bar ihren Lieblingssound auflegt – und wenn das statt Brutalismus3000 mal Shaggy ist, dann wird auch da mal mitgegrölt. Ist es jedoch ein klassischer Techno-Allnighter, halten die etwas abgelegenen Toiletten den Gästen auch gerne als Zufluchtsort her, um sich eine kurze Erfrischung in der langen Nacht zu gönnen. Steigst du abseits der 25er in dein Studium ein, zählst du hier eventuell schon zum alten Eisen, jedoch bewiesen die Location und die Barfeen in der Vergangenheit ein gutes Auge für Awareness und eine angemessene Nulltoleranzpolitik, was unangenehme Bargäste und Belästigungen angeht. 

Wichtiger Tipp: Centershots – absoluter Lieblingsshot nach Geheimrezept.

Francisco de Goya, The Drunken Mason (1786)
gettyimages.de


Wandel der Klänge

Noch vor wenigen Monaten hätte ich die Cavete ohne zu zögern als eine großartige Partylocation bezeichnet. Jedes Wochenende legten hier DJs auf und unter der Woche gab es auf der Newcomer-Bühne Raum für Neulinge, die sich an den Decks ausprobierten. Das Ambiente war eng, aber schön, das Personal süß und die Musik gut. Doch nun verabschiede ich mich mit Dankbarkeit von dieser Ära, da die Cavete der elektronischen Musik den Rücken kehrt und zurück zum Jazz und zur Lesebühne findet. Obwohl diese Entscheidung nicht ganz eigenständig getroffen wurde und vermehrte Beschwerden der Anwohnenden über lauten Bass und junge Männer, die sich in den Wohnhausgängen erleichtern, damit zusammenhängen, hat die Besitzerin in der Vergangenheit oft betont, dass sie den Fokus in ihren Räumlichkeiten schon lange wieder vermehrt auf Jazz lenken möchte. Ein Ort, an dem einst der damals unbekannte Kleinkünstler Felix Lobrecht auftrat, bietet nun regelmäßig die Bühne für all jene, die eigene Texte vortragen möchten sowie für Jazz- und Swing-Liebhabende, die hier nun wieder ihren Klangraum finden. 

Kleiner Tipp: Die offene Lesebühne jeden 2. Mittwoch im Monat – hier kann jede*r sich spontan oder mit Anmeldung dazu entschließen, einen eigens formulierten Text vorzutragen und in Lobrechts winzige Fußstapfen zu treten. Auch als Zuschauende lohnt es sich meistens, sich hierfür oder für die offene Jazzbühne mal einen Abend in das Gewölbe zu setzen.

Burschis ins Basalfeuer

Geständnis: Als ich dem Weltschmerz-Burnout entkommen wollte, suchte ich nach einem Ort, der der politischen Szene möglichst fern war. So landete ich – hangaufwärts Richtung Schloss – im Pegasus. Wer den Kampf hier hochgeschafft hat, kann sich mit der berühmten Schnecke belohnen – ein Spiel, bei dem per Würfel entschieden wird, ob ein Shot aus einem eigens dafür angefertigten Spielbrett/-tablett getrunken werden muss. Die Atmosphäre iim Pegi st besonders während des Semesters am Wochenende großartig, vielleicht so großartig, dass du Schwierigkeiten haben wirst, einen Sitzplatz zu finden. Hier feiern Jura- und Medizinstudis ihre überstandenen Prüfungen und die Bunte Liga und Fußballvereine ihre Siege, während Burschenschaftler und Verbindungstypen immer einen Grund zum Feiern finden – was auch immer dieser sein mag. Das Barpersonal, das oft auch in der zugehörigen Ramen Bar aushilft und dessen Handy die Musikauswahl bestimmt, trägt maßgeblich zur guten Stimmung bei. Wenn du bereits politisiert bist, ist dies vielleicht nicht der richtige Ort für dich. Doch wenn du ausgelassen feiern und trinken möchtest, bist du hier bestens aufgehoben. Anstatt auf Awareness und Systemkritik zu stoßen, triffst du hier auf betrunkene Typen, Fußballübertragungen und FDPler. Mein letzter Besuch markierte den Höhepunkt dieser Zeit und endete in einer Konfrontation mit betrunkenen Mützenträgern. Das war dringend nötig, denn sonst fühlt sich hier absolut niemand dafür zuständig.

Gut gemeinter Tipp: Lass die Finger vom Basalfeuer Shot, es macht seinem Namen alle Ehre.

Stattdessen: Ingo, ein hausgemachter Ingwer-Gurken Schnaps.

Inside of an inn with drunk fight, by Matteo Ghidoni detto Matteo dei Pitocchi, 17th Century, oil on canvas gettyimages.de

Party für diejenigen, die nichts erwarten

Bist du unter 20, hast wenig Ansprüche und Lust auf Musik und Party? Dann hopp, ab ins Shooters. Seitdem es nur noch einen einzigen Club in Marburg gibt, der auch noch am Bahnhof – nahezu abseits – platziert ist, hält das Shooters her, wenn mal mit unkompliziertem, jungem Publikum auf Charts getanzt, gebaggert und gesoffen werden soll. Ab und zu trifft sich hier auch der ein oder andere verlorene Ersti. Vielleicht findest du in deiner AStA-Tüte ein paar Gutscheine für Shots – die Auswahl dieser ist hier sehr groß, lass dir das nicht nehmen, ist immerhin umsonst. Ich war einmal da, alles, was ich davon hatte, war Covid. 

Mein Tipp: An Partyabenden versammeln sich vor dem Shooters und dem Campus oft betrunkene Männergruppen. Wenn du dich nach einer Prise Aggression und latentem Machogehabe sehnst, ist dies der perfekte Ort für dich. Und wer weiß, vielleicht bekommst du sogar die Gelegenheit, bei einer handfesten Prügelei live dabei zu sein, um deine Abendunterhaltung abzurunden.

Hinkelstein oder Stinkelhein

Das Hinkelstein – in einem Gewölbekeller und mitten in der Oberstadt. Mit seiner charmanten Steindecke und der Treppe, die an einem urzeitlichen Zigarettenautomaten vorbeiführt, bietet es eine entspanntere Alternative zum Pegasus um die Ecke. Hinter der Bar erklingt leise Musik, eine vielfältige Mischung von Rock bis Techno, die manchmal etwas zufällig, aber stets authentisch ausgewählt wird. Seit Jahren wird immer wieder gemunkelt, dass das Hinkelstein seine Türen für immer schließen würde, doch bisher hat es sich nie an diese Drohungen gehalten. Der Schall der Stimmen prallt hier von den steinernen Wänden ab, und wer sich davon nicht gestört fühlt, findet hier einen lockeren Ort für ein paar Biere. Das Barpersonal gestaltet sich als junger Gegensatz zu den versteinerten Gästen am Tresen, die dort wohl schon seit dem Mauerfall ihr Bier genießen. Vielfältig, sei es in Bezug auf Studiengänge oder Musikgeschmack. Ein Besuch lohnt sich vielleicht, um den Charme auf sich wirken zu lassen. 

Top Secret: Der sagenumwobene Hinkelstein, der über der Bar hängt und dem Namen alle Ehre machen soll, ist nicht echt, sondern aus Pappe und Kunststoff hergestellt. 

Riskanter Tipp: Bierbowle, für die einen ein Genuss, für die anderen eine schale Bier-Brühe versetzt mit Streuobst – aber definitiv eine Erfahrung wert.

Antonio Casanova y Estorach, Monk Testing Wine (1886)
gettyimages.de


Rente gegen Bafög

Das Quodlibet ist eine einfache, aber umso entspanntere Kneipe außerhalb der Innenstadt. Hier dreht sich alles um Bier, denn verschiedene Biersorten stehen zur Auswahl, die sich gut mit einer trockenen Brezel aus dem Biergarten kombinieren lassen. Hier ist es perfekt für diejenigen, die dem Trubel der Marburger Oberstadt entkommen möchten. Das Publikum im Quod ist vielfältig. Hier treffen sich vor allem Menschen jenseits der 40, die gerne in entspannter Atmosphäre trinken. Aber auch Psychologiestudis, die aus dem nahegelegenen Institut rüber stolpern und die Nähe zur Kneipe auskosten. Für Teerlungen gibt es einen separaten Bereich, was es für Rauchverweigernde angenehmer macht. Im Sommer öffnet der Biergarten, der nicht nur Nikotin, sondern auch Hunde herzlich willkommen heißt.

Tipp: Probier‘ dich mal durch die Bierkarte, besonders das Karmeliten lässt so manche Bierherzen höher schlagen.
Weiterhin: Gut versteckt im Raucher Bereich findet sich auch ein kleiner Raum mit einem Tischkicker.


Generell gestaltet sich die Clubsituation in Marburg schwierig, jedoch gibt es ein Paar Locations die eine Möglichkeit des Tanzens liefern

Konzerte, Latin-Abende und verschiedene Veranstaltungen findest du im liebevoll geführten Q am Oberstadt Aufzug. Im Nachtsalon findest du von Techno über Metal verschiedene Genre Partys im Dorfdisco-Flair. Im KFZ treten auch mal die großen Namen auf und mein Herzblatt, das Trauma, ist es immer Wert, mal vorbeizuschauen. Hier finden sich die coolsten Partys, Konzerte und allerlei Veranstaltungen.

Was du in Marburg nicht findest:
Trotz allerlei Möglichkeiten fehlt es wie so oft an Diversität – die Bars in Marburg spiegeln nicht ganz die bunte Vielfalt der Studierenden wider und schaffen so leider kaum Raum für Subkulturen. Auch Queerbars oder -Clubs findest du hier nicht – Riesenmarktlücke, besonders da Marburg inoffiziell als Hessens Lesben-Hauptstadt gilt. Verschiedene Gruppen organisieren immer mal wieder queere Veranstaltungen, sowie dieses Jahr die Premiere einer queeren Einführungswoche. Stay tuned.

Worauf du achten solltest:
Gelegentlich erlebst du wohl den Moment, in dem du dich in einer Bar umschaust und überall besoffene Typen mit Schärpen siehst. Wie du damit umgehst, liegt ganz in deinem Ermessen. Doch wenn die Barbetreibenden das zulassen, setzen sie damit (manchmal unbeabsichtigt) ein politisches Statement, das sicherlich nicht von jedem gutgeheißen wird.

Außerdem: Diese Bars sind nicht die Einzigen in Marburg, ganz im Gegenteil – es gibt ‘zig kleine und große Orte, an denen das Bier vielleicht noch besser schmeckt! Es lohnt sich, sich einfach mal umzusehen, auch abseits der Studi-Parallelgesellschaft. Vielleicht ergibt sich dadurch auch die Möglichkeit mal mit Menschen außerhalb dieser Blase ins Gespräch zu kommen, denn vergiss nie, Marburg ist nicht nur Uni.

Seit Anfang 2023 Mitglied der Redaktion und schreibt gerne über alles, was politisch, albern oder am besten beides ist.
Nichtraucherin und vegan, in beidem jedoch erfolglos.

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