Theater Review #2: Atmen von Duncan Macmillan

Theater Review #2: Atmen von Duncan Macmillan

Atmen“ (im Original „Lungs“) vom britischen Dramatiker und Regisseur Duncan Macmillan ist ein Theaterstück über einen verhältnismäßig alltäglichen Verlauf einer Langzeitbeziehung. In den Hauptrollen „Frau“ und „Mann“ spielen Victoria Schmidt und Roman Pertl. Für das Theater Marburg führte Lilli-Hannah Hoepner Regie und 80 Minuten geht das Stück, ohne Pause. Die Zeit verfliegt jedoch auf angenehme Weise, keine Sorge.

Alles beginnt bei Ikea, einem guten Schauplatz für wichtige Beziehungsabsprachen, wie die Pärchen unter uns wissen und die Singles unter uns sicherlich beobachtet haben. Ein Ikea-Besuch kann Freundschaften zerstören, Scheidungen herbeiführen und manchmal geht man eben aus der Kinderabteilung raus und denkt über Kinder nach. So auch die namenlosen und einzigen Protagonisten von „Atmen“: Ein Paar, das schon länger in einer Beziehung zu stecken scheint. Sie wohnen zusammen, er ist Hobbymusiker und verdient sich irgendwie die Miete, sie Doktorandin. Gemeinsam halten sie sich für ökologisch korrekt und in den meisten Bereichen moralisch hochwertig. Wahrscheinlich gehen sie so auf die 30 zu. Bei Ikea also eröffnet er ihr, dass er unbedingt ein Kind wolle, ein eigenes. Sie ist ein extremer Kopf- und Monologmensch und weiß nicht, ob sie das auch will und denkt nach, muss nachdenken, laut und an ihn gerichtet. Wir geraten in den ersten Dialog darüber, ob es wirklich Sinn ergibt, Kinder in „diese Welt“ zu setzen. Sie reden. Und reden. Zwischenzeitlich passieren Dinge.

Wir sind doch gute Menschen!?!“

Actionszenen à la Michael Bay dürfen bei diesem Stück nicht erwartet werden. Feuer in einem Theater ist aber auch wirklich unpassend und für das Stück sowieso nicht notwendig. Der reine Inhalt des Stücks scheint vielleicht langweilig, aber durch die spannende Inszenierung ist es das nicht. Alles, was in dem Leben der zwei passiert und gefühlt wird, wird fast ausschließlich durch Worte mitgeteilt, denn es gibt beispielsweise weder ein wirkliches Auto oder eine Autoattrappe für die Szene auf dem Ikea-Parkplatz oder einen Küchentisch bei Frühstücksmomenten. Das sei nicht falsch zu verstehen: Es gibt nicht nur die zwei Schauspieler und eine völlig leere Bühne, aber die Bühnendekoration und Trennung der Räume, seien es die verschieden großen emotionalen Distanzen zwischen Mann und Frau oder wirkliche Räume, sollte man sich wirklich selbst ansehen. Denn genau das trägt viel zur gelungenen Inszenierung bei.

Na gut, ein Tipp: Die erste Notiz zum Stück war „Brottüten! :D“.

„Atmen“ ist extrem nah an der Realität. In ungefähr 1,5 Stunden kann man ein ganzes Erwachsenenleben mit seinen Hoch- und Tiefpunkten durchleben, vorausgesetzt man ist finanziell irgendwo in der Mittelklasse angesiedelt und hat studiert. Ergo ein Theaterstück, welches genau richtig gewählt für Marburg ist. Wir sind doch alle gute Menschen!?!

Es ist ein minimalistisches Stück, auf das Wichtigste reduziert. Hier und da ein bisschen Musik und Video-Projektionen. Natürlich sind auch die Kostüme weise gewählt und trotz der „alltäglichen“ Geschichte gibt es etwas, das auch der Theater-unerfahrene Besucher als Kostüm versteht. Bonus: Wenn man das Stück hinterher in seinen Gedanken Wurzeln schlagen lässt, wird einem der Subtext bewusst und man fragt sich ernsthaft, ob man Kinder in „diese Welt“ setzen will. Und ob man wirklich so ein guter Mensch ist, wie man denkt. Ob es überhaupt noch irgendetwas bringt, dem Untergang der Welt entgegen zuarbeiten und Bio-Kaffee zu kaufen.

„Atmen“ kann an folgenden Terminen im Theater Marburg angeschaut werden: 24.11., 27.11., 20.12., 21.12.. Weitere Informationen zu dem Stück gibt es hier.

FOTO: Jan Bosch

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