Zu wenig Geld, zu viele Bewerbungen & die Schönheit der Mathematik: Die Fachschaft des FB 12 im Gespräch

Zu wenig Geld, zu viele Bewerbungen & die Schönheit der Mathematik: Die Fachschaft des FB 12 im Gespräch

Bild: H. Benner

Gestern, am 14.03., war der Internationale Tag der Mathematik. Bei PHILIPP haben wir das zum Anlass genommen, um einen kleinen Einblick in das Mathestudium an der Philipps-Universität Marburg zu bekommen. Dafür haben wir uns mit Luca von der aktiven Fachschaft des Fachbereichs 12 zusammengesetzt und ihn gefragt, was ihm die Mathematik bedeutet und wie er die Fachschaftsarbeit erlebt.

Dann würde ich vorschlagen, dass du zum Einstieg einmal kurz erzählst, wer du bist und was du studierst.

Okay, also ich bin Luca und studiere aktuell Mathematik im Bachelor. Ich war von Jugend an immer ein großer Fan der Mathematik. Je mehr ich über die Naturwissenschaften gelernt habe, desto klarer wurde mir, dass die Mathematik diese Wahrheit dahinter ist, die eigentlich alles andere möglich macht. Deshalb bin ich nach meinem Abitur direkt in das Bachelor Studium hier an der Philipps-Universität Marburg gewechselt. Man muss dazusagen, ich habe während der Corona-Pandemie angefangen, also Wintersemester 2020/21. Meine ersten zwei Semester waren vollkommen online.

Das ist sicherlich kein leichter Start.

Für mich war es ein erleichternder Start. Ich habe das Glück, dass ich ein sehr unterstützendes Elternhaus habe. Dadurch konnte ich mich vollkommen auf die Inhalte des Studiums konzentrieren. Ich habe in den ersten Semestern 60 Stunden pro Woche gearbeitet, was natürlich nicht unbedingt für den Erfolg im Studium notwendig ist. Wahrscheinlich bin ich einer der Wenigen, denen die Pandemie beim Studieneinstieg geholfen hat.

Gearbeitet im Sinne von gelernt?

Genau. Ein zentraler Bestandteil des Mathestudiums sind, neben den Vorlesungen, die wöchentlichen Übungsaufgaben. Man hat für jedes Modul Übungsaufgaben, die man bearbeiten muss, alleine oder zu zweit. Diese werden dann im wöchentlichen Tutorium besprochen. Wenn man Vorlesungen besucht, Zettelaufgaben macht und die Vorlesungen dann noch vor- und nacharbeitet, dann kann man da genügend Zeit reinstecken, auch unter dem Semester.

Was sind so die gängigen Reaktionen, wenn du sagst, du studierst Mathe?

Ich fürchte die häufigste Reaktion ist: „Kann ich überhaupt nicht, warum tust du dir das an?” Dann gibt es noch diese Leute, die sagen: „Ja, davor habe ich Respekt. Wir brauchen mehr Mathematiker*innen.” Die dritthäufigste Reaktion kommt interessanterweise von Medizinstudierenden. Ich habe mit sehr vielen gesprochen, die meinten: „Ja, Mathematik war so meine Zweitwahl, aber dann bin ich in Medizin reingekommen und dachte mir, das muss ich jetzt doch machen”.

Und wie ist das für dich, dass Mathematik für viele eine abgehobene Geschichte zu sein scheint?

Es macht mich zugegebenerweise etwas traurig. Mathematik füllt einen Großteil meines Lebens aus. Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Matheunterricht einem nicht immer die Schönheit der Mathematik beibringt. Mathematik ist viel mehr als nur Ausrechnen. Ich persönlich habe auch nicht wirklich viel Spaß daran, irgendwelche Sachen auszurechnen, Divisionen und Algorithmen durchzuführen. Für mich ist Mathematik viel mehr das kreative Denken hinter den Problemen und das Finden von Lösungen zu abstrakten Problemen. Ich kann aber auch verstehen, dass, wenn einem das abstrakte Denken etwas schwerer fällt und man lieber etwas Konkreteres machen will, man Mathematik nicht ausstehen kann.

Man merkt auch innerhalb des Mathestudiums, dass es immer noch eine Differenzierung zwischen Leuten gibt, die Abstraktes präferieren und denen, die sagen: „Ja, also Mathematik ist natürlich schon irgendwie spaßig, aber ich will schon sehen, wofür ich das am Ende eigentlich brauche.” Und ich denke, dass viele Leute eher in diese zweite Sparte fallen. Das kann ich vollkommen verstehen. Ich mag allerdings das Abstrakte und war zumal auch etwas verwirrt, wenn dann gefragt wurde: „Ja, wofür wendet man das noch an?” Mein erster Gedanke war: „Aber das ist doch als eigenes Konstrukt richtig interessant. Dafür brauche ich doch keine Anwendung.”

Du hörst dich richtig begeistert an. Mit welchen Erwartungen bist du in das Studium reingegangen und inwiefern wurden die erfüllt?

Zum Anfang meines Studiums war ich noch sehr unsicher. Eine meiner größten Erwartungen oder Ängste war, dass es extrem herausfordernd ist und ich das nicht packe. Nachträglich muss ich sagen, es ist ein anspruchsvolles Studium, aber für mich war es immer wie ein Spiel. Es ist ein Spiel mit einer sehr hohen Lernkurve. Man muss sich ein bisschen reinfuchsen und auch dranbleiben, aber sobald man drinnen ist, macht es sehr viel Spaß.

„Der Matheunterricht bringt einem nicht immer die Schönheit der Mathematik bei.“
– Luca von der FS MatheInfo (Foto: privat)

Und warum hast du dich für Marburg entschieden?

Ehrlich gesagt, weil ich mich nicht getraut habe woanders hinzuziehen. Ich komme aus Biedenkopf, dem zweiten Teil von Marburg-Biedenkopf, von dem niemand aus Marburg jemals gehört hat. Ich hatte aber auch nicht wirklich einen Anlass wegzuziehen, da ich woanders nicht besser hätte Mathe studieren können. Bevor man das Mathestudium gemacht hat, kann man nicht wirklich gut einschätzen, woran an der Uni gerade geforscht wird. Im Bachelor muss man sich auch nicht so große Gedanken darüber machen, da ein Großteil aus Pflichtmodulen besteht. Man kann im Master immer noch wechseln, wenn man sagt: „Okay die Fachrichtung, woran an meiner Uni gerade geforscht wird, gefällt mir nicht so.” Für mich hat das sehr gut gepasst. Der Fachbereich ist relativ klein, aber zufälligerweise haben wir eine der größten Arbeitsgruppen für Differentialgeometrie in Deutschland.

Merkt man das an der Stimmung innerhalb des Fachbereichs, dass alles so klein ist?

Definitiv! Vielleicht nicht in den ersten Semestern. Da ist man dann schon noch mit 50 Leuten oder so im Hörsaal. Aber sobald es in den Wahlpflichtbereich geht, nimmt diese Zahl deutlich ab. Für gewöhnlich sind es so zehn Leute und man hat dann auch insbesondere untereinander ein gutes Verhältnis. Die Interaktion innerhalb des Hörsaals ist etwas größer. Außerdem hat man dann den Vorteil, dass einen die Professor*innen deutlich mehr fördern können. Ich bin jetzt auch bei einer Arbeitsgruppe häufiger im Forschungs- und Lernseminar. Das ist ein deutlich angenehmeres Gefühl als wenn man in so einem unpersönlichen Hörsaal mit 200 Leuten sitzt und einen Prof, der einen nichtmal kennt, nach einer Bachelorarbeit fragen muss.

Jetzt hast du schon gesagt, was du cool findest an deinem Studium. Gibt es irgendwas, was dich stört?

Ich bin relativ zufrieden. Ich würde aber sagen, es ist etwas blöd, wenn man nicht genau das studieren will, was ich gerade studiere. Ich habe das Glück, dass ich gerade eine Vorlesung von einer Arbeitsgruppe höre, die recht groß ist und auch ein etwas breiteres Angebot hat. Aber vor allem wenn man in die angewandte Mathematik gehen will, ist das Angebot nicht so groß, weil wir sehr viele unbesetzte Stellen haben. Das Problem bei angewandten Matheprofs ist, dass Leute, die die Qualifikation dafür haben, sehr viel Geld in der Wirtschaft verdienen könnten. Da konkurriert die Uni sehr stark mit der Wirtschaft. Wir haben aktuell zwei Professuren, die seit ein, zwei Jahren offen sind, weil sich dafür keine geeigneten Kandidat*innen finden.

Ich glaube, das ist ein ganz guter Übergang zur Fachschaftsarbeit, weil ihr da ja auch in Gremien und bei der Stellenbesetzung engagiert seid. Was gefällt dir vor allem an der Fachschaft?

Was ich am meisten mag, ist die Möglichkeit sich weiterzubilden. Ich war anfangs immer extrem unsicher, wie ich an Dinge rangehen kann. Die Fachschaft hat mir sehr dabei geholfen, mich mit anderen Leuten in Sachen einzuarbeiten und mich im Organisatorischen zu bessern. Ich konnte eigene Projekte durchführen und meine Kompetenzen als Ansprechperson ausweiten. Für mich ist die Fachschaft immer eine Möglichkeit, mich selbst in meinen Fähigkeiten weiterzubilden und etwas über meinen eigenen Schatten zu springen und die Angst davor, Verantwortung zu übernehmen, loszulassen.

Bezüglich der Gremien, in denen ihr seid: Wie ist es für dich, diese universitäre und administrative Arbeit mitzubekommen?

Die Gremienarbeit ist vor allem gegenwärtig sehr wichtig. Ich mache das immer sehr aus Pflichtgefühl, weil wir derzeit in immer mehr Probleme kommen und ich denke, dass es da umso wichtiger ist, dass studentische Positionen vertreten werden.

Kannst du mir ein Beispiel nennen?

Ein gutes Beispiel dafür wäre, dass die Uni derzeit ein bisschen Geldmangel hat. Da ist natürlich die Frage, wo man das Geld am besten streichen kann. Wir als Fachschaft setzen uns ganz stark dafür ein, dass das Geld auf keinen Fall bei Tutorien gestrichen werden sollte. Aus unserer Sicht wird der Lernprozess innerhalb des Studiums, vor allem in den ersten Semestern, sehr stark von den Übungszetteln und Tutorien vorangetrieben. Falls in diesem Fall Kürzungen vorkommen sollten, hätte das einen sehr negativen Effekt auf den Lernerfolg der Studierenden. Wir sind da wirklich sehr ernst und engagiert, was das angeht, weil wir uns in diesem Fall auch sehr Sorgen machen.

Man muss natürlich bedenken, dass Gremienarbeit leider nicht immer eine Fachschaftspizzaparty ist. Es gibt nicht so viele Sachen, wo ich sagen kann: „Das hat jetzt richtig Spaß gemacht mich mit den Profs zwei Stunden lang über Budgetsachen zu unterhalten”, aber gleichzeitig merke ich auch, wie wichtig es ist und was passieren würde, wenn keine studentische Stimme da wäre. Für mich ist immer wichtig, die Studierenden zu unterstützen. Deswegen ist es für mich auch wichtig, in Gremien vertreten zu sein, um die Probleme des Fachbereichs auch ansprechen zu können und die studentische Perspektive dazuzugeben und dann, was man sehr häufig vergisst, als beratende Person da zu sein. Wir bekommen gelegentlich auch Studierende, die zu uns kommen und mit uns reden: „Ich schaffe das irgendwie nicht so. Wie gehe ich damit am besten um?” Dann sehe ich meine Rolle natürlich darin, den Studierenden zu zeigen, wie sie mit diesem Stress umgehen können.

Was sind so die häufigsten Anliegen mit denen Leute zu euch kommen?

(lacht) Das allerhäufigste Anliegen ist natürlich, dass Leute uns wegen der Altklausuren anschreiben. Vor OEs ist es dann die Frage, wie man eine Wohnung finden und sich am besten auf das Studium vorbereiten kann. Unsere Studienstruktur ist manchmal etwas komisch. Wir müssen uns für keine Module anmelden, was sehr viele Leute verwirrt. Daher müssen wir sehr häufig Feedback dazu geben, wie die organisatorischen Aspekte des Studiums ablaufen. Und dann kommen natürlich die Probleme mit Beeinträchtigungen. Vielleicht war man krank, konnte deswegen nicht gut dem Studium folgen und muss jetzt klären, wie man das am besten nacharbeiten kann.

Aktuell kämpfen wir auch etwas mit Visaproblemen. Wir bekommen sehr wahrscheinlich nächstes Semester sehr viele ausländische Studierende, weil wir jetzt einen englischen Master eingeführt haben, und da müssen wir dann auch ein bisschen verweisen, wie man am besten damit umgeht, wenn man kein Visum bekommt, um hierher zu kommen. Und letztendlich ist ein Großteil unserer Arbeit auch delegieren und den Studierenden sagen, an wen sie sich mit ihrem Problem am besten wenden können. Einzelne kommen dann auch zu uns: „Ja, Informatik ist doch nichts für mich. Wie gehe ich damit am besten um, was mache ich jetzt?”

Und was würdest du sagen, ist bei euch am Fachbereich momentan die größte Herausforderung?

Ich sehe gerade zwei Herausforderungen, die sich gegenseitig … okay, also ich habe ein Bild im Kopf, wie zwei Kräfte gegeneinander drücken und sich hin und her schieben. Erstmal der finanzielle Mangel, wodurch dann Tutorien potenziell gekürzt werden könnten. Und zum anderen eine unglaubliche Anzahl an ausländischen Bewerber*innen. Wir haben 2000 Bewerbungen auf den englischen Master bekommen. Damit müssen wir jetzt erstmal umgehen. Wie überprüft man die Bewerbungen und wie geht man damit um, wenn tatsächlich so viele Leute kommen? Was natürlich den Nebeneffekt hat, wenn tatsächlich so viele Leute kommen, haben wir keine Geldprobleme mehr, aber dann haben wir halt Personalmangel.

Da ist auch kein NC auf dem Master oder eine begrenzte Studierendenzahl?

Gegenwärtig nicht. Wir haben überhaupt keine Begrenzung, weil es bisher so war, dass das Interesse nicht groß genug war als dass wir alle Plätze füllen könnten.

Spannend, das ist ja eine ganz neue Situation für euch am Fachbereich. Weißt du, wie die Studierenden am FB 12 auf die unterschiedlichen Studiengänge verteilt sind?

Der ganze Fachbereich hatte Stand Sommersemester 2023 ungefähr 1600 Studierende. Davon grob gerundet 75% in Informatik, Wirtschaftsinformatik und Data Science, 10 % Lehramt und 15 % Mathematik und Wirtschaftsmathematik.

Was würdest du sagen, ist der größte Unterschied von eurem Fachbereich zu anderen Fachbereichen?

Hm … der größte Unterschied ist schwierig. Ich sehe viele kleine Unterschiede. Wir haben sehr gute Literatur. Ein Großteil, den man im Mathestudium lernt, wurde vor ein-, zweihundert Jahren entdeckt. Wir haben eine unglaubliche Anzahl an Lehrbüchern, in denen wir eigentlich immer alles nachschlagen können, was man im Studium braucht. Das ist bei vielen anderen Fächern nicht immer der Fall. Die brauchen immer wieder neue Materialien, weil es ja immer wieder neue Interpretationen und Entdeckungen gibt. Und dann natürlich die Tatsache, dass wir keine Anmeldung für irgendwelche Module brauchen, was sehr viele Leute bei uns verwirrt.

Und ich tippe unsere enormen Ausgaben für Tutorien. Studentische Hilfskraftstellen sind eine der größten Beschäftigungen für die meisten Studierenden hier, weil eigentlich jedes Modul Tutor*innen braucht. Die Anfangsmodule brauchen bis zu zehn. Das heißt, die Tatsache, dass wir jede Woche Übungszettel bearbeiten und abgeben müssen, ist dann natürlich ein enormer finanzieller Aufwand, den wir stemmen müssen. Bei den Physikstudierenden wird es jetzt nicht anders sein, aber verglichen mit den Geisteswissenschaften vielleicht schon. Gut, ich hätte jetzt vielleicht noch das Gebäude angesprochen, aber ich glaube ein Großteil der Gebäude hier sind marode.

Und was würdest du dir für euren Fachbereich wünschen?

Für den Fachbereich … mein größter Wunsch ist, dass der Fachbereich … wahrscheinlich wäre es das Geld. Dass der Fachbereich die Mittel hat, all das Angebot, das theoretisch da sein könnte, auch umzusetzen. Wir haben sehr viel freien Platz. Wenn wir das Geld hätten, könnten wir sicherlich noch mehr Professuren berufen. Wir könnten uns fachlich nochmal etwas verbreitern und müssten uns keine Sorgen um Tutorien machen.

Okay und dann nochmal zurück zum Mathestudium. Wem würdest du denn so ein Mathestudium empfehlen?

Ich persönlich würde das Mathestudium vor allem Personen empfehlen, die Spaß daran haben ein bisschen zu rätseln, Probleme zu lösen und sich auch potenziell einfach für Naturwissenschaften interessieren. Ich sage immer gerne: „Ich studiere Mathematik, weil ich wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält.” Der Vorteil des Mathestudiums ist, dass man abstraktes Denken lernt und wenn man Spaß daran hat, dann würde ich das definitiv empfehlen. Und man muss auch kein Genie sein, um das zu schaffen. Man muss einfach nur dranbleiben und Spaß daran haben, Probleme zu lösen. Warte, wir haben dafür eine Formulierung … ah! Eine Person, die auch etwas toleranter gegenüber Frustration ist.


Mehr zur Fachschaft des FB 12 findet ihr auf der Webseite der Uni, der Webseite der Fachschaft oder auf Instagram.

(Lektoriert von hab und let.)

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