Marburger Kamerapreis 2024: Sturla Brandth Grøvlen über War Sailor

Marburger Kamerapreis 2024: Sturla Brandth Grøvlen über War Sailor

Bild: Elija Ash Pauksch

Anlässlich des diesjährigen Marburger Kamerapreises wurden drei längere Interviews mit dem Preisträger Sturla Brandth Grøvlen geführt. Dabei stand jeweils ein Film aus seinem breiten Schaffen im Zentrum. Das erste Gespräch kreiste um den Film War Sailor (2022) und wurde von der Regisseurin und Darmstädter Filmprofessorin Bettina Blümner geführt. PHILIPP war für euch vor Ort, um zu berichten.

Sturla Brandth Grøvlen hat das Gesicht eines Welpen und halblange, silberne Haare. Dazu eine klare, aber schwebend-zurückgenommene Stimme, die zunächst überhaupt nicht zur Härte des besprochenen Filmes passt. War Sailor (org. Krigsseileren) erzählt die Geschichte des norwegischen Seemanns Alfred (Kristoffer Joner), der zusammen mit seinem besten Freund Sigbjørn (Pål Sverre Hagen) 1939 der Marine beitritt. In den Wirrungen des Zweiten Weltkrieges verliert er jeglichen Kontakt zu seiner Familie. Der Film zieht seine Energie aus dem Spannseilakt zwischen dem Überlebenskampf der Seemänner und dem von Alfreds Frau und seiner Kinder. 

Der eigentlich für intime, sich auf das Innenleben seiner Figuren fokussierende Dramen bekannte Grøvlen erhielt das Drehbuch zu War Sailor von Maria Ekerhovd, einer Produzentin des Films, die er bereits von seiner Arbeit an The Innocents (org. De uskyldige, 2021) kannte. Das erste Treffen mit dem Regisseur Gunnar Vikene bestritt Grøvlen noch zögerlich. Die erhebliche Zunahme an skandinavischen, unbeholfenen Kriegsfilmen – Grøvlen spricht sogar von einem eigenen Genre – löste Skepsis bei ihm aus. Ein solches Projekt passte eigentlich nicht zu ihm. Vikene gelang es jedoch, Grøvlen von seiner Vision zu überzeugen. Der Regisseur sprach von einer anderen, unkonventionelleren Bildsprache, die er für seinen Film entwickeln wollte. 

Dokument der Verluste

Auf den ersten Blick scheint nämlich auch die Budgetierung eher in Richtung Kriegsepos zu weisen. Mit seinen 12 Millionen USD ist War Sailor der teuerste norwegische Film, dadurch also auch eine große Unternehmung für den bisher an kleinere Produktionen gewöhnte Grøvlen, der so erstmals mit komplexen Spezialeffekten hantieren musste. Im Film selbst ist von dieser Unsicherheit jedoch nichts zu spüren. War Sailor beeindruckt genau dadurch, dass er weiß, wann ein großer Effekt – etwa in Form eines brennenden Riesenschiffes – eingesetzt werden sollte und wann ein gezielt eingefangener Blick genügt. 

Grøvlens Bilder verlieren inmitten der Produktionsaufwände und Genre-Erwartungen nichts von ihrer unaufdringlichen Unmittelbarkeit und verkommen nie zu bloßen Effektspektakeln. Laut Grøvlen war das ein Ergebnis der aufeinander abgestimmten Sensibilitäten von ihm und dem Regisseur. Vikene, der sich bereits als jugendlicher Fotograf für die Leben der norwegischen Kriegsseemänner interessierte, verfolgte eine eher an Dokumentationen orientierte Herangehensweise. Perfekt für Grøvlen, da er sich bereits in seiner Zeit als Filmstudent primär in Dokumentationen übte, bevor er sich an Spielfilmen versuchte. 

Wie in vielen anderen seiner Filme, steht auch in War Sailor eine Männerfreundschaft im Mittelpunkt. Auf die Frage, wie es ihm gelinge, eine solche Beziehung visuell einzufangen, fällt das Mittel, das sich bei Grøvlen nicht wegdenken lässt: die Handkamera. Sie erlaube ihm einen leichtfüßigen Startpunkt für die Entwicklung einer dem jeweiligen Film angemessenen Bildsprache. Seine Vorliebe für diese Art der Kameraführung kommt aus der Mischung aus Planung und Improvisation, die sie am Set ermöglicht. Trotz der Vorbereitungen und Besprechungen am Tag des Drehs, wird keine Szene zu Tode geplant. Die Kamera soll so reagieren, als ob sie die Ereignisse vor ihrer Linse zum ersten Mal sehen würde.

Last and First Men

Alfred liest die Mannschaftsliste eines gerade versenkten Bootes vor. Jede Namensnennung wird von einer kurzen Portraiteinstellung der bezeichneten Person begleitet, sie schauen dabei alle in die Kamera. Es handelt sich dabei um Figuren, die vorher nicht Teil der Handlung waren und es über diese Todeserwähnung hinaus auch nicht wieder sein werden. Grøvlen zieht das auch als Beispiel für die Arbeit am Set heran. Diese Portraiteinstellungen waren kein Teil des Drehbuchs, sondern seine Idee. Eigentlich sollte die Szene in einer Kneipe spielen, Alfred die Namen dort nur vorlesen, die Trauer in der Luft hängen. Doch Grøvlen fand die Gesichter der Statist*innen so interessant, dass er sie zeigen wollte, zum ersten und letzten Mal.

An anderer Stelle musste hingegen vollends improvisiert werden. In der zweiten Hälfte des Filmes findet sich Alfred mit zwei weiteren Figuren auf einem einsam dahintreibenden Floß wieder. Nach dem schmerzhaften Tod einer Figur verweilt die Kamera auf seinem Gesicht, vollzieht dann aber eine volle Drehung, von den Gesichtern weg zum Meer. Die Kamera schwankt im Wellengang, als ob die Zuschauenden mit auf dem Floß wären. Die Idee, die Kamera in ausgewählten Momenten von der Subjektivität der Figuren zu lösen, sie eigenständig driften zu lassen, stammt vom Regisseur. Das sollte jedoch eigentlich in einer statisch-kontrollierten Einstellung passieren. 

Da das Floß aber zu klein für die dafür notwendige Kamera war, musste Grøvlen, der bei seinen Filmen auch häufig selbst die Kamera führt und nicht nur das Bild gestaltet, auf eine kleinere ALEXA-MINI zurückgreifen. Für eine erleichterte Drehbewegung setzte sich Grøvlen dann noch auf einen drehbaren Stuhl. Szenen im Wasser waren dagegen wesentlich schwieriger, da dieses Kameramodell keinen separaten Bildschirm zur direkten Einsicht des aufgenommenen Materials besaß. Grøvlen sah also überhaupt nicht, was er gerade filmte. Wie er es dennoch schaffte, unter diesen Bedingungen gute Bilder zu kreieren? „Sometimes you just have to point and hope.”

(Lektoriert von nir und hab.)

ist seit Mitte Februar 2023 Redaktionsmitglied. Studiert Literaturvermittlung in den Medien. Hat den Film "Babylon" acht Mal im Kino gesehen. 24 Jahre alt, Tendenz steigend.

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