Marburger Kamerapreis 2024 – Sturla Brandth Grøvlen über Beautiful Beings

Marburger Kamerapreis 2024 – Sturla Brandth Grøvlen über Beautiful Beings

Bild: Elija Ash Pauksch

Anlässlich des diesjährigen Marburger Kamerapreises wurden drei längere Interviews mit dem Preisträger Sturla Brandth Grøvlen geführt. Dabei stand jeweils ein Film aus Grøvlens breitem Schaffen im Zentrum. Das zweite Gespräch kreiste um den Film Beautiful Beings (2022) und wurde von der Münchener Filmkritikerin Dunja Bialas geführt. PHILIPP war für euch vor Ort, um zu berichten.

Beautiful Beings (org. Berdreymi) ist nach Herzstein (2016) die zweite Langfilmkollaboration zwischen Sturla Brandth Grøvlen und Regisseur Guðmundur Arnar Guðmundsson. Ähnlich wie in letzterem, erzählt auch Beautiful Beings eine Geschichte von jugendlichen Eskapaden und Selbstfindungsversuchen inmitten einer alles andere als dafür förderlichen Umgebung. Balli (Áskell Einar Pálmason) wird in der Schule gemobbt, von seinen Eltern vernachlässigt und verlässt sein Haus am Rande einer Wohnsiedlung nur selten. Addi (Birgir Dagur Bjarkason), Scheidungskind eines Alkoholiker-Vaters und einer esoterischen Mutter, nimmt sich seiner eines Tages an und bindet ihn in seine bestehende Freundesgruppe aus dem stillen Siggi (Snorri Rafn Frímannsson) und dem zu Gewalt neigenden Konni (Viktor Benóný Benediktsson) ein. 

Zunächst nimmt Balli innerhalb der Gruppe noch die Rolle einer tolerierten Zielscheibe ein, ein Ventil für die ziellose Aggression der anderen Mitglieder. Nur langsam verschieben sich die fein gespielten Gruppendynamiken, um die Entwicklung eines ausgeglicheneren Miteinanders zu erlauben. Addi ist dabei der Einzige, der ihm von Beginn an mit Mitgefühl begegnet, wodurch Beautiful Beings unter anderem als weitere Grøvlen’sche Ode an die Freundschaft betrachtet werden kann.  

Kamerafreundschaften und Traumverwandtschaften

Die Harmonie, die zwischen Regisseur und Bildgestalter herrscht, lässt sich im Film anhand seiner leichtfüßigen Sprünge von Stimmung zu Stimmung erkennen; mal überraschende Brutalitätseinbruche, häufig das sinnlose Streunen und versteckte Rauchen und Herumalbern vierer Jungs. Die Zusammenarbeit zwischen Grøvlen und Guðmundsson begann bereits zu ihrer Studienzeit an einer Kunstschule. Ein Freund des Regisseurs schlug Grøvlen als Bildgestalter für Guðmundssons vierten Kurzfilm Ártún (2014) vor. Bereits in der Vorbereitung zu diesem Projekt glichen beide ihre ästhetischen Sensibilitäten aneinander an. Guðmundsson zog eine eher statisch-beobachtende Kamera vor, Grøvlen setzte sich für die nahbare Handkamera ein. Es kam zur Aushandlung eines Mittelweges, bis der Regisseur im Schnitt bemerkte, dass die Grøvlen’sche Handkamera mehr Spielraum für unterschiedliche Nuancen erlaubte. Beautiful Beings ist das abwechslungsreiche Ergebnis beider Stile, ohne dass sie je miteinander in Konflikt geraten würden. 

Zusammengehalten werden diese beiden Tonlagen von einer durchweg träumerisch-surrealen Bildgestaltung – der Originaltitel lässt sich grob in Luzides Träumen oder Die Wahrheit Träumen übersetzen –, die bereits die ersten Minuten des Filmes durchzieht: die auf einen Arm fallenden, krisseligen Schatten von Blättern, mäandernde Einstellungen eines pastellfarbenen Himmels, während Addi von einem Vogel erzählt, der nirgendwo zu sehen ist. Die laut Grøvlen im Drehbuch abstrakt beschriebenen Sequenzen stellten für ihn die größte Schwierigkeit dieses Projektes dar. Den Dreh begleitend, gab es zwischen ihm und der Crew viele Gespräche darüber, ob diese Traummomente eine völlig eigene, losgelöste Bildsprache besitzen oder sich an konkreten Ereignissen aus der Geschichte orientieren sollten. Das Ergebnis ist erneut eine produktive Mischung beider Herangehensweisen. Die Bilder verweisen auf bestimmte Handlungen der Figuren, wobei sich diese Verbindungen erst im Laufe des Filmes aufschlüsseln lassen, besitzen aber auch eine ganz eigene Wirkung und Symbolik, für die kein Korrelat aus der Geschichte notwendig ist. 

Grøvlen legte Wert darauf, dass die Träume, ungeachtet der inhaltlichen Bezüge, die sie entfalten sollten, ein anderes Gefühl kreieren. Die verwendeten Sets wurden unter anderem von allen Möbeln befreit, um eine desorientierende Leere in eigentlich banale Alltagsräume zu bringen. Dazu wurde mit anamorphen Objektiven gedreht, die im Unterschied zu den gängigen Objektiven eine ovale Form haben und dadurch das Sichtfeld in die Breite zerren. Dem Film gelingt es dadurch, diese leeren Räume noch stärker der Realität zu entheben. Den Abschluss der traumeigenen Ästhetik bildete schließlich die trist zerfließende Farbwelt der Gemälde des norwegischen Malers Edvard Munch, der sich Grøvlen vorsichtig annäherte, ohne sie gänzlich kopieren zu wollen.

Vorsichtige Hände

Eine Art neugierige Vorsicht lässt sich in nahezu allen Arbeiten Grøvlens spüren. Vielleicht ist sie der Ursprung des empathischen Blickes auf die vor seiner Linse platzierten Figuren. „A scene is like a present”, sagte ihm ein Professor. Diese Logik lässt sich auf viele Szenen Grøvlens anwenden, sie folgen dem Rhythmus eines langsamen Ausbreitens, eines wissbegierigen Beobachtens, um sich dann in die neuen Verhältnisse zu stürzen. Vielleicht rührt auch daher seine Faszination für die agile Handkamera, imitiert sie doch die Direktheit eines in die Hand genommenen Geschenks, das sich beim Auspacken aber nie wirklich identisch anfühlt.

Auf die Frage, ob sich ein System hinter seiner Kamerachoreographie verberge, entgegnet Grøvlen, dass es ihm mehr um ein gut trainiertes Körpergedächtnis gehe. Er setze auf eine Improvisationsfähigkeit, die sich jedoch erst nach gezieltem und ausgiebigem Üben und Wiederholen einstelle. Wie um die Überbetonung eines wiederkehrenden Traumes zu vermeiden, schließt er mit dem Satz: „If you overthink it, then you miss it.”

(Lektoriert von nir und hab.)

ist seit Mitte Februar 2023 Redaktionsmitglied. Studiert Literaturvermittlung in den Medien. Hat den Film "Babylon" acht Mal im Kino gesehen. 24 Jahre alt, Tendenz steigend.

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