Max Uthoff, der alte Zerstörer? Auftritt beim 25. Marburger Kabarettherbst

Max Uthoff, der alte Zerstörer? Auftritt beim 25. Marburger Kabarettherbst

Verwendete Fotos: Michel Neumeister

Was die verbleibenden 8004 Tage, Altglascontainer und U-Boote mit Alice im Wunderland zu tun haben, wie Zeitunglesen zum Weinen und ein Kabarett-Abend zum Denken anregen kann, erfahrt ihr in diesem Bericht über den Auftritt Max Uthoffs im Rahmen des 25. Marburger Kabarettherbsts im KFZ.

Max Uthoff ist ein Meister seines Fachs. Das hat er bereits in der ZDF-Sendung Die Anstalt bewiesen. Nun geht der Kabarettist auf Tour mit seinem Solo-Programm Alles im Wunderland. Gerade jetzt ist es wichtig, die Shows guter Satiriker*innen anzuschauen, denn lang bleibt Max Uthoff uns nicht mehr erhalten.

Zur Zeit des Auftritts in Marburg hat Max Uthoff „nur“ noch 8004 Tage zu leben. Diese Zahl ist jedoch theoretisch zu verstehen, da die Lebenserwartung der männlichen Bevölkerung in Deutschland statistisch 78 Jahre beträgt. Max Uthoff scheint dies allerdings mit Humor zu nehmen. An diesem Abend bleibt mir ein Zitat besonders in Erinnerung: „Ich bin 56, mir bleiben noch 8004 Tage. Gut, es könnte auch länger dauern. Was bei meinem Lebenswandel bedeutet, dass der Rest ohne Geld vonstattengehen müsste. Dann lieber pünktlich Schluss. Könnte auch kürzer gehen. Ich könnte Pech haben und im Lotto gewinnen und irgendeiner überredet mich zu einer Tauchexpedition zur Titanic.“ Es dauert nicht einmal eine Minute, bis dieser völlig in schwarz gekleideten Mann die erste Erheiterung auslöst. Großes Leitmotiv dieser Veranstaltung: Die Identifikation mit Alltagsproblemen, wie die korrekte Befüllung von Altglascontainern. Kommt eine Weinflasche in den Grün- oder Braunglascontainer? So ganz genau weiß das wohl niemand.

Die Antwort ist (noch) 55

Erschreckend an der Performance Uthoffs ist, dass er sich nicht verstellt, wie es manchmal in der Anstalt den Anschein machte. Der Mann, den das beinahe ausverkaufte Erwin-Piscator-Haus und ich auf der Bühne sehen, ist vollkommen er selbst. Allerdings wirkt es nicht so, als würde er ein Programm spielen, sondern eher eine Totenmesse abhalten. Die Uhr tickt für jeden von uns. Aber ich muss zugeben, dass der Alters-Running Gag, bei dem Uthoff immer wieder die Zuschauer*innen in der ersten Reihe nach eben diesem fragt, bei mir nicht zieht: Ich bin 23 Jahre alt und habe damit statistisch gesehen noch 55 Jahre vor mir.

Eine Frage, die Uthoff in den Raum stellt, beschäftigt mich auch heute noch. Diese Frage wurde zu meinem persönlichen Leitfaden in allen Entscheidungen: „Glauben Sie, dass Sie in den verbleibenden 55 Jahren – gesetzt Sie wollen ein Leben voller sinnlicher Fülle, voller praller Schönheit führen –, dass es da Raum gibt für ein Interview mit Christian Lindner?“ Ich denke, seitdem viel darüber nach, meine Zeit sinnvoll zu nutzen und Max Uthoff offensichtlich auch, wenn er den FDP-Wähler*innen in Marburg freistellt, den Saal zu räumen und ihnen den Eintrittspreis zu erstatten. 

Wie absurd soll diese Welt sein? Ja.

Max Uthoff entfaltet seine gesamte Aura auf dem Parkett. Auf dieser Bühne präsentiert er dem Publikum die absurde und grausame Welt. Vielleicht am einschlägigsten war der Moment, als Max Uthoff – den Tränen nah – vom Schicksal der vielen Menschen spricht, die auf dem Weg über das Mittelmeer ertrunken sind. Ganz besonders, als er fast schon flüstert: „Auf dem Boot waren auch Frauen und Kinder. Die waren in einem Raum unter Deck untergebracht, aus dem es kein Entkommen gab. Deshalb gab es keine überlebenden Frauen und Kinder.“ Nicht nur mir dreht diese Meldung den Magen um. Uthoff sagt, er habe weinen müssen: „Vielleicht lag’s am Alter, vielleicht bin ich aber manchmal auch am Ende meines Sarkasmus angekommen.“ Auf der nächsten Zeitungsseite habe dann eine Auswahl an millionenschweren Immobilien aus München gestanden. Wie verrückt und gleichgültig diese Welt doch geworden ist, denke auch ich in diesem Moment. 

Nachwirkungen des Abends

Die zwei Stunden Programm fühlen sich nicht wie zwei Stunden an. Zum Schluss der Aufführung gibt Uthoff seinem Publikum noch die für sein Programm namensgebende Parallele der Menschheit mit Alice im Wunderland: „Alice landet in einem Land, in dem es nichts Eindeutiges gibt. Sie erträgt diese Ambivalenz, die Ambiguitäts-Toleranz eines siebenjährigen Mädchens. Uns regt alles auf, was nicht absolut eindeutig ist. Mein Gott, dann gibt’s halt jetzt 62 Geschlechterkategorien. Ich habe auch den Überblick verloren. Aber ich weiß doch: Ich bin ein weißer, heterosexueller Cis-Mann. Ich bin der Letzte, der leidet.“

Max Uthoff lässt nicht nur mich an diesem Abend nachdenklich zurück: Ich sitze nach dem tosenden Beifall für Uthoffs Meisterleistung noch eine Weile in meinem Stuhl und denke nach. Dieser Mann hat mir und vielen anderen Menschen aus der Seele gesprochen. Die Ambivalenz besteht darin, dass die, die seine Worte hören müssten, an diesem Abend nicht mit im Saal sitzen. Es ist diese Ambivalenz, die wir aushalten müssen. Wir sollten am Ende nicht vergessen, menschlich und mitfühlend zu sein. Eigenschaften, die viel zu wenige von uns besitzen. 

(Lektoriert von ror, hab und let.)

Ist seit Mai 2023 Mitglied der Redaktion des PHILIPP-Magazin. Studiert Geschichte im Bachelor. Könnte quasi ins Haus der Geschichte einziehen, so oft und lang er die Ausstellungen in Bonn besucht hat.

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