Politisch korrekt inkorrekt: Klassenfahrt mit Jean-Philippe Kindler im KFZ
Bild: Anna Badler
Um Morddrohungen aus den eigenen Reihen, psychische Probleme und vieles mehr geht es in Jean-Philippe Kindlers neuem Programm Klassenfahrt. Unser Redakteur Emil hat sich am 01.06. seinen Auftritt im KFZ angesehen. Was er daraus mitgenommen hat, lest ihr hier.
Die Bühne erstrahlt mit dem Vorschaubild der Show auf der linken und einem Bild aus dem Sylt-Video, in dem junge Menschen xenophobe Parolen auf den Beat von „L’amour toujours” singen auf der rechten Seite. So entsteht gleich ein Eindruck dessen, was mich an diesem Abend erwartet. Ich habe mich mit der Person Jean-Philippe Kindler bislang nicht auseinandergesetzt und konnte mich an diesem Abend daher nicht nur überraschen lassen, sondern staunte geradezu, was ich bisher verpasst hatte.
Ich erwartete einen seichten Abend mit satirischem Anspruch. Also besonders pfiffige Gedichtrezitationen mit einem politisch grünen Anstrich und einem Hauch von Gesellschaftskritik. Die Radikalität der gesellschaftlichen Forderungen, welche Kindler über den Abend verteilte, überraschten mich daher (positiv). Denn durch diese latente Spannung, was als nächstes kommen würde, wurden die leichten Momente auch zur Erleichterung.
Die Antithese zum Doppelhaushälftenkind
Kindler spricht in seinem Programm über Alltagsbegebenheiten, wie Gespräche mit alleinerziehenden Vätern auf dem Spielplatz, und schafft es diese, mit seinen klug-albernen Gedanken, in Geschichten zu verwandeln, die schallendes Gelächter erklingen lassen. Auch schreckt er nicht vor ernsten Themen zurück. Wer Kindler kennt, weiß, dass Politik einen unbedingten Platz in seinem Programm hat, wer ihn nicht kennt, wie ich, weiß es jetzt. Kindler bricht komplexe Phänomene, Streitigkeiten der linken Szene, sowie alltagspolitische Kämpfe auf ein Maß runter, dass sie für alle verständlich macht. Statt aber nur darüber aufzuklären, schafft er es, diese mit Witz so zu verpacken, dass sie zumindest für einen Abend in ihrer Tragik vergessen dürfen.
Die Ausgrenzung von Religionsgruppen mit einem Christian-Lindner-Witz zu überspielen ist nur ein Beispiel für die angenehme Form, diese komplexen Phänomene witzig ad absurdum zu führen. Dies mag sich lesen als würde Kindler Zusammenhänge simplifizieren, er tut jedoch das Gegenteil. Ein*e Jede*r wird durch ihn eingeladen, sich eigene Gedanken zu vorherrschenden Systemen zu machen, aber soll dabei bitte sich selbst nicht zu ernst nehmen. Denn Kindler nimmt weder sich selbst noch seine eigenen Positionen zu ernst, wodurch er es schafft, sympathisch zu sein. Er ist die Antithese zum so oft propagierten wohlstandsverwöhnten Doppelhaushälftenkind, das nach dem dritten Semester Gender Studies nicht mehr mit Opa in einem Raum sein kann, weil der nicht gendert.
Das Publikum (und Christian Linder) provozieren
Immer wieder deutet Kindler an, dass auch die fundierteste Kritik an herrschenden Verhältnissen ihre eigenen Probleme bietet. DIE Antwort gibt es nicht. Obwohl er die eigene Zuschauer*innenschaft provoziert wie niemand anderen, außer vielleicht Christian Lindner, sind ihm die Zuhörer*innen wohlgesonnen. Denn Kindler erzählt, wie es besser ginge, ohne dabei den Anschein zu vermitteln, besser zu sein oder es besser zu wissen. Der erste Schritt zu einer besseren Welt ist – wie immer wieder an diesem Abend angesprochen wird – das Abschaffen des Kapitals und eine Vereinigung des Proletariats. Gemeinsame Kämpfe von unten gegen oben, statt von Arbeiter*innen gegen Arbeiter*innen ist die Devise. Er ist gegen die Grabenkämpfe der politisch Linken und fordert, Gemeinsamkeiten statt Unterschiede zu betonen.
‚Politisch korrekt inkorrekt’ ist die Beschreibung, die das Programm am effektivsten zusammenfasst. Aufgrund von YouTube-Videos bekam er von linken, sexpositiven Läden Hausverbot. Hausverbot aus den eigenen Reihen sozusagen. Denn Kindler bleibt links und treibt trotzdem oder gerade deshalb Linke bis zur Weißglut.
Alle die einen entspannten Abend erwarten, an dem sie den Kopf ausschalten können, sollten lieber zuhause eine weitere Folge Reality-TV schauen, denn wer die Show verlässt, muss sich danach Fragen zu sich selbst und insbesondere zu dem System, in dem wir leben, stellen. In Anbetracht der Wahlergebnisse der AfD und Krisen wie dem Klimawandel einfach weitermachen wie vorher geht nun mal nicht, das macht Kindler sehr deutlich. Überzeugte Fans des freien Marktes werden wohl spätestens nach der Pause bemerken, dass dieses Satire-Programm nichts für sie oder für schwache Nerven ist. Persönliche Geschichten von Leid und Ausbeutung erzeugen Empathie beim Publikum, während auch an faktischen Beschreibungen nicht gespart wird. Immer dagegen, aber immer für die Verbesserung der Umstände lautet die Devise.