Sneak Review #138 – „Juliet, Naked“
Wie geht man mit Jahren um, die man gefühlt verloren hat? Sei es aus eigenem Verschulden oder weil Schicksaalsschläge jemanden in die Lebenssituation gedrängt haben. In dieser Woche zeigt die Tragikkomödie „Juliet, Naked“ von Jesse Peretz, wie sich zwei Menschen über das Internet kennen lernen und sich diesem Problem stellen.
Annie (Rose Byrne) und Duncan (Chris O’Dowd) leben seit 15 Jahren in der englischen Küstenstadt Gooleness in einer Beziehung, die mit den Jahren immer mehr an Leidenschaft verloren hat. Duncans wahre Leidenschaft gilt nämlich dem Musiker Tucker Crowe (Ethan Hawke). Was am Anfang ihrer Beziehung eine geteilte Leidenschaft für Musik und Filme war, ist mittlerweile nur noch eine für Annie ertragbare Obsession ihres Partners nach einem untergetauchten amerikanischen Rockstar. Auch ihre Arbeit im Museum ihres verstorbenen Vaters, die ihr immer mehr Kompromisse abverlangt hat, die sie selbst einschränken, ist Teil ihres Lebens geworden.
Als Duncan eines Tages überraschend ein neues Album von Crowe zugeschickt wird, verschafft Annie ihrem Unmut über das neue Album Ausdruck auf Duncans Musikforum für Crowe-Fans. Während Duncan ihr nur mit Unverständnis gegenübertreten kann, bekommt Annie eine Mail vom echten Tucker Crowe, der ihre Kritik teilt. Annie und Tucker lernen sich dabei über das Internet während eines Lebensabschnitts kennen, in dem sie beide versuchen, ihre aktuellen Umstände und ihre Entscheidungen aus der Vergangenheit aufzuarbeiten.
Also alles 0815 ?
Auch wenn sich einige Zufälle in der Handlung ergeben, die den beiden Hauptcharakteren ihre Annäherung ermöglichen, wirken die Charaktere und ihre Beziehungen nicht künstlich. Gerade die Aufarbeitung ihrer Lebenssituationen, die sie miteinander teilen, ermöglichen es den beiden, zueinander so ehrlich sein zu sein, wie sie es in ihrem gewohnten Umfeld nicht sein können. Das ermöglicht dem Film, auf Punkte einzugehen, die in den Gesprächen zwischen den beiden zum Vorschein kommen. Beispielsweise ist der Umgang mit Tuckers Kindern, die er kaum kennt, und sein eigenes Schuldbewusstsein als versagender Vater ein Thema, das ihn aus der klischeehaften Rolle eines abgehalfterten Rockstars hervorhebt.
Aber auch Duncan kommt nicht zu kurz. Auch wenn er als Idiot beschrieben werden könnte, so ist gerade durch ihn das Thema der Konfrontation von Fans mit ihren Idolen oder Stars ein wichtiger Bestandteil. Denn als er auf Crowe trifft, gerät er in einen Streit mit ihm und merkt, dass man als Fan nicht die selben Erwartungen an den Künstler wie an seine Kunst stellen sollte. Neben der Authentizität und den Gefühlen bleibt aber auch der Humor nicht auf der Strecke. Der Film weiß, charmant Situationskomik einzusetzen. Zum Beispiel als die Welt von Crowes Kindern und Ex-Frauen auf Annie trifft. Außerdem besticht hier auch Duncan, wenn es beispielsweise um seine Obsession geht oder um seine kurzsichtige Verhaltensweise.
Charmant und authentisch
Auch wenn „Juliet, Naked“ kein bahnbrechender Film ist, so weiß er dennoch zu überzeugen. Eine gut differenzierte Message geht leider verloren, da der Film sich auf viele einzelne Punkte konzentriert, aber diese nicht abschließend in einer zentralen Botschaft wieder miteinbringt. Nichtsdestotrotz steckt in ihm mehr Gefühl als der erste Blick auf den Trailer vielleicht vermitteln vermag. Der Humor ist angenehm und nicht anstrengend, die Besetzung passt sehr gut zu den jeweiligen Charakteren und außerdem schmiert der Film kaum Zuckerguss auf die Haupt- und Nebenhandlung und verkommt damit nicht zu einem klischeehaften Liebesfilm.
Juliet Naked ist ab dem 15.11 in den deutschen Kinos zu sehen.
Foto: Universal Pictures & Focus Features
studiert Politikwissenschaften, verbringt zu viel Zeit um sich über die BILD aufzuregen und isst süßes und salziges Popcorn gemischt.