Sneak Review #200: Death of a Ladies‘ Man

Sneak Review #200: Death of a Ladies‘ Man

Regisseur Matthew Bissonnette (u.a. Who Loves the Sun, Looking for Leonard) schubst sein Publikum mit Death of a Ladies‘ Man mit einer vulgär-poetischen Hommage an den kanadischen Sänger Leonard Cohen in einen Strudel der Gefühlswelten. Inwiefern eine Wettkampf-Bodybuilderin mit Tigerkopf, ein Whisky trinkendes Frankensteins Monster und ein singender Mönch diese Dramedy bereichern, konnten die Besucher*innen der Sneak Preview am 15. März 2022 erleben. Hier könnt auch ihr einen Hauch des Zaubers von Death of a Ladies‘ Man erschnuppern.

Womanization

Erzählt wird die Geschichte von Samuel O’Shea (Gabriel Byrne), einem College-Professor der Poesie. Der virtuose Umgang, den er mit Worten und der Literatur pflegt, mangelt ihm allerdings beim Alkohol. Er ist sein ganzes Leben lang ein Trinker, das weiß er auch. Anfangs waren es fünf, sieben Gläser, dann zwölf, siebzehn Gläser. Seit der Trennung von seiner zweiten Frau (Carolina Bartczak) sind es siebenundvierzig, neunundfünfzig Gläser am Tag. Dabei hat er ein Talent für Frauen, das seinen literarischen Kenntnissen in nichts nachsteht. Er war ein Frauenheld und wäre das auch gerne noch. Er hält sich an jeder möglichen weiblichen Interaktion fest, wie an den Strohhalmen seiner Drinks. Sein biologisches Alter spricht aber eine andere Sprache als sein Kopf. Er ist 64 Jahre alt, gezeichnet vom Leben, Enttäuschungen und dem Alkohol.

Zumindest kann er sich mit seinem toten Vater (Brian Gleeson) darüber unterhalten. Richtig! Sein toter Vater, der ihm als Halluzination erscheint. Mit denen hat Samuel nämlich auch noch zu kämpfen. Er wird von immer kruderen Erscheinungen überrascht, mit denen er zu leben lernt, die ihm zumindest nach gewisser Zeit gar nicht mehr wunderlich erscheinen. Bis er nach der Diagnose eines riesigen Hirntumors im Endstadium, in der Region, die für die Sinnesreize zuständig ist, von einer weiteren halluzinierten Erscheinung inspiriert wird, seinen Traum zu leben. Laut Diagnose hat er höchstens noch ein Jahr zu leben. In der Zeit will er ein Buch schreiben; sein Leben und seine Erfahrungen aufs Papier bringen. Dafür reist er von Montreal an die Küste Irlands in sein Heimatdorf, bezieht eine kleine Hütte und reflektiert sein Leben an der Schreibmaschine, zusammen mit einer neuen Frau (Jessica Paré). Oder ist sie auch nur eine Halluzination?

Die Geister die ich rief

Der porträtierte Lebensabschnitt von Samuel O’Shea hat ähnlich tragische Züge wie der tägliche Newsticker auf unseren Smartphones. Die Nachrichten und Umstände scheinen sich immer mehr zu verschlechtern. Erst geht seine Frau fremd, dann nimmt seine Alkoholsucht schlagartig zu, die Frauen scheinen ihr Interesse an ihm verloren zu haben, dazu kommen schräge Halluzinationen und letztendlich noch ein Krebsgeschwür im Endstadium. Das wären eigentlich perfekte Zutaten, um ein herzzerreißendes Drama eines einsamen, verloren Mannes zu zeichnen, der nicht damit klarkommt. Mit schwerer Musik, dunklen Kulissen, langen und statischen Kameraeinstellungen. All das kriegen wir bei dieser Dramedy allerdings nicht aufgetischt. 

Im Gegenteil. Ganz nach dem Motto: „Lachen ist die beste Medizin“ oder auch „Was passiert denn jetzt wieder, hää?!“, wie eine Kinobesucherin in der Reihe hinter mir giggelnd verlauten ließ. Hauptsächlich wird mit dem Einstreuen der denkbar komischsten und wunderlichsten Gestalten gespielt, die auch das Publikum spätestens nach dem Einsatz Frankensteins Monsters mit einem Whiskey an der Bar als Halluzinationen erkannte. So erschien der darauffolgende Auftritt einer Kellnerin, die Samuel als Wettkampf-Bodybuilderin mit dem Kopf eines Tigers wahrnimmt, nicht mehr allzu verrückt für die Zuschauer*innen. Jedoch konnte auch hier ein Lacher im Kinosaal erzeugt werden. In einem eigentlich traurigen und offenbarenden Gespräch zwischen dem ehemaligen Frauenheld und seiner drogenabhängigen 18 jährigen Tochter (Karelle Tremblay) aus erster Ehe. In Momenten, wenn eigentlich niemandem zum Lachen zumute ist, kommt ein Geist – wie die Halluzinationen von Samuel selbst bezeichnet werden – um die Ecke, der qua seines bizarren Auftretens für Heiterkeit sorgt. Eine absolute Stärke dieses Films. 

Viva la Vulgär

Tragödie und Komödie liegen hier so nah beieinander, ja sie verzahnen sich, gar interagieren sie. Wir müssen auch bei Beerdigungen lachen und müssen weinen, wenn wir unsere Liebsten nach langer Zeit wiedersehen oder einfach einen witzigen Gag hören. Warum sollte ein Drama davor halt machen? Freude und Trauer, Lachen und Weinen in Kategorien wie Gut und Böse zu denken, das funktioniert nicht. Dass diese beiden Gefühle auch auf der Leinwand oder zumindest vor der Kamera funktionieren, hat zuletzt auch Ricky Gervais in seiner Netflix-Serie After Life unter Beweis gestellt. Die traurige Prämisse der Serie – Ricky Gervais Frau ist an Krebs erkrankt und er selbst will nun auch nicht mehr leben – wird durch den trockenen und primitiven britischen Humor untermalt und lässt seine Zuschauer*innen dadurch mit Tränen auf dem Sofa zurück, die zugleich aus Trauer und Freunde gespeist sind. Bei Matt Bissonnettes Film ist es womöglich zum Einen der mehr als vulgäre Humor – eher untypisch für die Kanadier, die ja doch eher für ihre Höflichkeit bekannt sind. So zu sehen, wenn sich die Familie um Samuels Ex-Frau beim Thanksgiving-Essen ungeniert und mit einer Selbstverständlichkeit die tight five der schlimmsten Beleidigungen an den Kopf wirft, wie man es sonst nur von Konfrontationen zwischen Marburgern und Gießenern kennt. Zum Anderen sind es eben die besonderen Halluzinationen, die der Tragik der Geschichte die Ernsthaftigkeit nehmen. Vergleichbar mit der Flucht in den Humor als Schutzschild vor dem Hagel an erdrückender Berichterstattung Rund um Putins Krieg. Vielleicht trifft Death of a Ladies‘ Man durch diesen Balanceakt zwischen Tragik und Komik genau den Zahn der Zeit und ist dadurch die Ablenkung vom Doomscrolling, die wir gebraucht haben.  

The Big Leonard

Eine weitere Lesart des Films kann ihn als eine Hommage an Leonard Conen betrachten. Der kanadische Musiker, der als einer der größten Songwriter aller Zeiten gilt und im Jahr 2016 verstorben ist. Der Film erinnert an einen bestimmten Abschnitt seines Lebens, das zwar in großen Teilen vom typischen „Sex, Drugs, Rock ‘n’Roll“ geprägt, aber auch von Depressionen überschattet war. Gewürdigt wird er im Film nicht nur durch die fantastische schauspielerische Leistung von Gabriel Bryne, sondern auch und vor allem durch die Songs, seine Songs. Dazu performen die Halluzinationen von Samuel, die in der Verknüpfung mit Leonard Cohen auch als die Dämonen, die Depression gedeutet werden können, die ihn wie eine dunkle Regenwolke begleiteten. Im Film sind es ein singender Mönch, der Sensenmann, eine Cheerleaderin, und ein Schamane, die Samuel und seine imaginierte Frau an der Küste Irlands, „Hallelujah“ singend und tanzend begleiten. Er selbst nimmt sie gar nicht mehr zur Kenntnis. Sie gehören dazu. Wie bei Leonard Cohen. „Wenn ich von Depressionen spreche, spreche ich von klinischen Depressionen, die der Hintergrund meines ganzen Lebens sind […]“, offenbarte er einmal dem „Guardian“. 

Im alkoholfreien Rausch der Inspiration

Egal, ob man den Film als Ablenkung und zugleich Bestätigung seines Seelenzustandes wahrnimmt oder die Hommage an Leonard Cohen herausliest (oder auch beides), er inspiriert und löst einen Strudel aus verschiedensten Gefühlen aus. So werde ich mir nun die Tränen unidentifizierbaren emotionalen Ursprungs aus dem Gesicht wischen und Leonard Cohens „Suzanne“ bis auf Anschlag aufdrehen. 

Death of a Ladies‘ Man erscheint voraussichtlich am 07. April 2022 in den deutschen Kinos.

Foto: Matthew Bissonnette/ ©MFA/DOALM Ontario Inc., Films DOALM Quebec Inc. and Port Pictures Ltd.

Macht irgendwas mit Medien (privat, freiberuflich & im Studium) und schnackt euch jetzt nicht mehr nur noch über die Radiofrequenz das Ohr über Themen ab, denen er wenig Wissen, aber viel Spaß beisteuern kann.

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