Sneak Review #199: Küss Mich, Mistkerl!

Sneak Review #199: Küss Mich, Mistkerl!

Unter der Regie von Peter Hutchings (u.a. Then Came You) wird uns mit Küss Mich, Mistkerl! eine kitschige, romantische Komödie serviert. Ob das Genre bereits durchgekaut ist oder die Zuschauer*innen der Sneak-Preview im Cineplex Marburg am 01.03.2022 den Film verschlungen haben, wie einen Döner bei Mr. King um 3 Uhr Nachts, erfahrt ihr hier. 

Verlag was in der Luft

Im Verlag Bexley & Gamin konkurrieren die engagierte und kreative Lucy Hutton (Lucy Hale) und der gestriegelte und effiziente Joshua Templeton (Austin Stowell) um eine Beförderung. Durch ihre gegenüberliegenden Schreibtische im Büro des Verlags stehen sie unter ständiger gegenseitiger Beobachtung und haben in ihrer Arbeitsweise in etwa so viel gemeinsam, wie Marburg und Gießen. Lucys Seite des Büros ist bunt, einladend, kreativ – ja sie hat sogar Cupcakes für die Belegeschaft dabei. Hingegen ist Joshuas Hälfte grau, einfältig, geometrisch und alles hat genau an seinem Platz zu liegen. Sogar die Hemden sind auf die Wochentage abgestimmt, um einen möglichst effektiven Workflow gewährleisten zu können. Es ist früh zu erahnen, dass der Hass zwischen den beiden Erzfeinden, wie sie sich gegenseitig sehen, früher oder später in sexuelle Anziehung wandeln wird. Es war allerdings nicht zu erahnen, dass die beiden nach kürzester Zeit in einem stecken gebliebenen Fahrstuhl ihre Zungen ineinander stecken. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war auch der Rest der Handlung vorhersehbar. Vielleicht einer der Gründe, wieso gleich mehrere Zuschauer_innen bereits nach 15 Minuten kopfschüttelnd den Saal verließen. 

The Imitation Game – Ein leicht vorhersehbares Spiel

Joshua Templeton, das Objekt des Hasses und zugleich der Begierde Lucys, erfüllte zwar seine Rolle als effizienter Perfektionist, der bei den Frauen durch sein Aussehen punktet, allerdings endet dort auch sein charakterlicher Horizont. Eine Stimme aus dem Publikum taufte ihn um auf Ken die Puppe und Freund von Barbie. Das schien auch das Vorbild für diese Figur gewesen zu sein. Der nach kommerziellen und westlichen Maßstäben perfekte, durchtrainierte Körper, die geleckte Frisur, die markanten Gesichtszüge. Ken und Joshua weisen auch charakterlich eine verblüffende Ähnlichkeit auf – und das spricht angesichts des Faktes, dass es sich bei Ken um eine Puppe handelt für sich. 

Man wartet vergeblich bis zuletzt auf einen Twist im Plot, eine weitere Ebene, ein tieferer Charakterzug des umgetauften Ken, der etwas Würze und Spannung bringt. Hingegen ist bei Lucy keine Wendung zu erwarten, da ihre Naivität und Motive den Zuschauer*innen transparent über ihre Gedanken mitgeteilt werden. Dagegen wird Joshuas Charakter weniger transparent und – mit viel Wohlwollen – mysteriös gezeichnet. Aber die Hoffnung war vergebens. Das Potenzial war da. Es hätte in einen Psycho-Thriller münden können, es blieb aber bei einem unangenehm kitschigen Liebesbeweis. „Unser“ Ken demonstrierte seine aufrichtige Liebe zu Lucy dadurch, dass er seine Schlafzimmerwand in der Farbe ihres Kleides gestrichen und dort ein  abstraktes Kunstwerk in ihrer exakten Augenfarbe hängen hat. Diesen selbstverständlich unwiderlegbaren Beweis seiner Liebe unterfüttert er mit Details zu ihren Gewohnheiten und Klamotten, die er in Form von Codes, täglich in seinem Notizheft hinterlegt. Hier wurde die einmalige Möglichkeit verpasst, die Handlung umschlagen zu lassen: Joshua entpuppt sich als Stalker, Lucy will fliehen, wird eingesperrt und die Geschichte nimmt endlich richtig Fahrt auf. Aber nein, Lucy findet das natürlich super romantisch und gar nicht creepy. Der Liebes-Beweis wirkt, kein Plottwist, es passiert das Erwartbare.

Diesem Umgang mit dem Film liegt eine Sichtweise zugrunde, die Küss Mich, Mistkerl! rein als Unterhaltung betrachtet, die gar nicht viel will. So könne der Romanze zwar mit viel Güte, krampfhaft eine Message angedichtet werden à la „Never judge a book by it’s cover“ oder „Kommunikation ist die Nabelschnur zur Liebe“. Allerdings liegt dies ferner, da sich der Plot eindeutig auf die sexuelle Spannung zwischen Lucy und Joshua fokussiert, die immer wieder durch vermeidbare und ungelenke Konflikte zu reißen droht, dadurch aber stets anwächst – und daher sehr plump und abgedroschen erscheint.

Lagerkoller-Effekt

War der Schock über die miese Story, die einfallslosen Dialoge und eindimensionalen Charaktere erstmal überwunden, begab sich das Publikum im Kinosaal auf eine Meta-Ebene, die Küss Mich, Mistkerl! vermissen ließ. Aus der Verwunderung wurde Spott, Zynismus und Schadenfreude. Bietet der Film keine Unterhaltung, muss man sich eben selbst zu helfen wissen. Die Dynamik, die sich zwischen den Zuschauer*innen entwickelte, sorgte dafür, dass sich sogar die Reinrufe in Dialog-Szenen nach dem Geschlechtsverkehr zwischen Lucy und Joshua gegenseitig ergänzten, hochschaukelten und einen größeren Lacher verursachten, als der unangenehme und plumpe After-Sex-Talk auf der Leinwand. „Noch ’ne Runde!“ gefolgt von „Ken kann nicht mehr!“ und Gelächter. Ja sogar in den banalsten und scheinbar unlustigsten Situationen prustete das Publikum kollektiv, als würde die Eröffnungsrede von Ricky Gervais bei den Golden Globes laufen. So wurde ein nicht besonders innovativer Vergleich einer Menstruationstasse mit einem Shotglas To Go von Joshua zu einem absoluten Brüller hochironisiert. Ja, das Publikum war besoffen vom Zynismus. Ein Lagerkoller sondergleichen. 

Nach der Vorstellung war dann allerdings zu beobachten, dass viele den Spaß und die Gruppendynamik, die ohne das Kino-Dispositiv nie möglich gewesen wäre, dem Film an sich zuschrieben und eine deutlich zu positive Bewertung beim SneakOMat abgaben. Aussagen wie „Selten so eine uninspirierte Story gesehen, aber super Stimmung und irgendwie dann mega unterhaltsam“, kurz nachdem der SneakOMat-Buzzer gedrückt wurde, bestätigen meine These. 

Gute Zeit – Schlechter Film

Auch ich hatte dann irgendwie doch eine gute Zeit im Kino, auch wenn das Geschehen auf der Leinwand nicht primär dafür verantwortlich war. Jedoch bleibt wirklich nichts vom Film selbst im Kopf. Schaue ich mir Spiderman an, will ich durch die Stadt fliegen. Schaue ich Wolf of Wallstreet, will ich sofort als Broker reich werden und das ausschweifende Partyleben zwischen Koks und Yachthafen von Leonardo DiCaprio leben und – bleiben wir im Kosmos der romantischen Komödien – nach Crazy, Stupid Love fühle ich mich inspiriert, wie Ryan Gosling mit einem Whiskey in der Hand in einer Bar Frauen anzuquatschen. Küss Mich, Mistkerl! bewegt mich höchstens dazu, nie mehr eine Romanze schauen zu wollen. Daher ist mein Fazit „Lass mich in Ruhe, Romanze!“.

Küss Mich, Mistkerl! erscheint am 10. März in den deutschen Kinos.

Foto: Peter Hutchings/ Squareone Entertainment

Macht irgendwas mit Medien (privat, freiberuflich & im Studium) und schnackt euch jetzt nicht mehr nur noch über die Radiofrequenz das Ohr über Themen ab, denen er wenig Wissen, aber viel Spaß beisteuern kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Wordpress Social Share Plugin powered by Ultimatelysocial
Instagram
Twitter