Sneak Review #207: Meine schrecklich verwöhnte Familie

Sneak Review #207: Meine schrecklich verwöhnte Familie

Mit der französischen Komödie unter der Regie von Nicolas Cuche (u.a. Glück auf Umwegen, Anything for Alice) Meine schrecklich verwöhnte Familie, die auch nicht-frankophilen ein Lachen ins Gesicht zaubern kann, wird das Publikum in die naive Welt reicher High Society-Kids eingeführt und erlebt mit ihnen die „harte“ Lebenswirklichkeit aus einer realitätsfernen Perspektive. Prickelnde Stimmung wurde in der Sneak am 03. Mai 2022 nicht nur über die Leinwand auf die Zuschauer*innen übertragen, auch das Entertainment- und Verpflegungsangebot sorgte diesmal im prallen Kinosaal für ein angeschwipstes Ambiente.

Vom Maurer zum Millionär

Die drei Geschwister Stella Bartek (Camille Lou), Philippe Bartek (Victor Artus Solaro) und Alexandre Bartek (Louka Meliava) führen in Monaco ein luxoriöses Leben zwischen prunkvollen Champagner-Partys und Luxus-Limousinen. Um diesen Lifestyle zu führen, haben sie in etwa so viele Gedanken an Arbeit verschwendet, wie Olaf Scholz an einen Besuch in Kiew: Gar nicht. Sie ruhen sich ungeniert auf dem Reichtum ihres Vaters Francis Bartek (Gérard Jugnot) aus, der aufgrund seiner klischeehaften Erfolgsgeschichte – vom Maurer zum Millionär – selber erlebt hat wie es ist für jeden Cent schuften zu müssen. Weil er nicht mehr ertragen kann, dass seine Kinder nie auch nur daran gedacht haben, ihr eigenes Geld zu verdienen, beschließt der erfolgreiche Geschäftsmann, ihnen eine Lektion zu erteilen. Sie sollen am eigenen Leib spüren, wie hart man arbeiten muss, um sich eine Breitling, geschweige denn Essen leisten zu können.

Er denkt sich eine Finte aus, indem er eine brutale Hausdurchsuchung aufgrund eines ausgedachten Betrugs inszeniert und die Kreditkarten seiner Kinder sperren lässt. Sie flüchten zu viert in die Provence, nach Marseille. Dort finden sie in einem unfertigen Haus, das in Francis Besitz ist und eher einer Ruine gleicht, in der grünen Landschaft Frankreichs Unterschlupf. Die Kinder müssen nun richtig arbeiten gehen, da ja alle Konten gesperrt wurden und sie sich in der Illusion befinden, dass sich das auch so schnell nicht ändern wird. Bei der Suche nach Arbeit wird schnell deutlich, dass die versnobten Kids mehr Abstand vom Arbeiten genommen haben, als Karl Lauterbach es bei Covid-Infektion jemals hätte empfehlen können.

Schaffen es die verwöhnten Kinder eigenständig für sich zu sorgen? Fliegt die Lüge des Vaters um die eingefrorenen Konten auf? Kann es tatsächlich passieren, dass die Familie sich ein neues, romantisches Leben auf dem Land aufbaut und den Luxus-Lifestyle hinter sich lässt? Ja, diese Fragen stellen sich natürlich aus narrativer Sicht, machen wir uns aber nichts vor, erzählerische Tiefe ist hier nicht im Fokus.

Marseille ist nur einmal im Jahr

Wenn auf der Kinoleinwand Schicki-Micki-Kids aus der Luxusyacht-Metropole Monaco, für die „Schichtarbeit“ nur im Kontext der Torten-Auswahl bekannt ist, auf das „normale“ Leben treffen, dann ruft das zumindest eine Mischung aus Verständnislosigkeit, Fremdscham und Verwunderung hervor. Kumuliert kann das im Komödien-Kontext sehr lustig sein. Das Setting ist keineswegs neu, die drastischen Kontraste haben aber sehr viel Gag-Potenzial. Klar fordert Philippe bei der Arbeitsagentur ein Mindestgehalt von zehn bis fünfzehntausend Euro und einen Dienstwagen „mindestens mit V8 Motor, aber das ist ja selbstverständlich, sonst kommt man gar nicht voran“. Das wäre allerdings alles nur halb oder gar nicht so witzig, wäre da nicht diese stimmige Besetzung. Hier findet sich keineswegs die Hautevolee aus Hollywood wieder. Es handelt sich nämlich um eine französische Produktion und dennoch überträgt sich ein Hauch Prominenz auf die Leinwand. Philippe zum Beispiel, der einen etwas dicklichen jungen Mann spielt, verkörpert in seiner Rolle eine Mischung aus Jonah Hill und Bastian Pastewka – für Kenner eine sehr ungewöhnliche und zugleich aberwitzige Kombination. Mit seiner Mimik, Tollpatschigkeit und unsinnigen Geschäftsideen (Ein Dienstleistungsunternehmen, das neue Schuhe eine Woche auslatscht, damit sie sofort bequem sind), berührte Philippe nicht nur meinen Soft-Spot im Kinosaal.

Neben anderen Jokes, die man schon aus anderen „Reiche werden mit dem ‚gewöhnlichen‘ Leben konfrontiert“-Filmen kennt, gab es aber auch sehr innovative Momente. So ist der Standesbeamte bei der geheimen Nacht und Nebel-Hochzeit von Stella natürlich gehörlos, gibt daher unidentifizierbare Geräusche von sich und zögert den Hochzeitsprozess aufgrund der Übersetzerin seiner Gebärden hinaus. Das ist unironisch lustig, was auch das Publikum so empfand, das in dieser Szene immer wieder in eine Lachorgie verfiel. 

Non je ne regrette rien

Mit diesem Film wird zwar das Fass der Kapitalismuskritik einen Spalt weit geöffnet, nur wird aus ihm nicht mit Eimern geschöpft, sondern ein bunter Cocktail mit Schirmchen gemischt, der am Ende nichts mehr mit der Grundsubstanz zu tun hat. Ja, die Perspektive ist ein wenig verdreht und ja, es muss auch nicht sein, dass das „normale“ Leben romantisiert wird (Kellnern ist eigentlich gar nicht so geil). Aber das ist nun mal der Stoff, der viele witzige Momente hervorbringt und erwartbare, aber gut weitergesponnene Pointen bereithält. Stellas Verlobter (Tom Leeb) ist beispielsweise nur hinter ihrem Geld her und entpuppt sich am Ende als innovativer Heiratsschwindler, der mit seinem Charme und den verschiedensten Akzenten, von spanisch, über französisch bis britisch, versucht, die Gunst (und das Geld) der wohlhabenden Frauen zu gewinnen. Das ist kitschig, das ist französischer Humor, das finde ich unironisch witzig. Non je ne regrette rien! Hiermit stelle ich mich, mich selbst schützend, hinter das angeschwipste und ebenfalls vom platten Humor gekitzelte Sneak-Publikum.

Wer also anhand seiner frankophilen Ader französisch leicht unterhalten werden möchte, für den ist Meine schrecklich verwöhnte Familie wohl das richtige. Auch nicht-frankophile können sich – bestenfalls mit einem Bierchen in der Hand – daran erfreuen, einem innovativen Heiratsschwindler bei seinen Scharmützeleien über die Schulter zu schauen. Allerdings ist auch der Abstand von dieser Komödie zu echter Kapitalismuskritik so weit, wie der zwischen bayrischen Windrädern.

Quelle surprise!

Einen weiteren Grund, den Sneak-Abend als gelungen abzuspeichern, lieferte ein ganz besonderes Filmmaterial, das über die Sneak an sich hinausging. So war noch ein verwirrtes Grummeln von den Rängen zu vernehmen, als der alte Avatar-Trailer aus dem Jahr 2009 gezeigt wurde. Nach der Ankündigung des exklusiven Trailer-Materials, das bisher nur in Las Vegas bei der CinemaCon 2022 das Licht der Welt erblickte, verwandelte sich die Verunsicherung schließlich in klatschende Euphorie. Überraschung Nr. 2 geglückt. Um euch einen kleinen Einblick in den neuen Avatar: The Way of Water Trailer zu geben: Es geht um große blaue Wesen in einer fabelhaften Welt, die auf dinosaurier-artigen Vögeln durch die Landschaft fliegen und mit Wasserwesen durch Korallenriffe tauchen.

Keinen Grund zur Reue lieferte auch eine weitere eiskalte Überraschung. Im wahrsten Sinne eiskalt. Kaum hat Moderator Marco die Bühne betreten, schon kam der „Bierbote“, eine Sackkarre mit drei eisgekühlten Kästen Bier schiebend auf die Bühne stolziert. „Ein Bier für einen Euro“ war der Deal und ehe dieses Angebot ausgesprochen war, bildeten die durstigen Zuschauer (Nein, hier muss nicht gegendert werden) bereits eine lange Schlange, von der Leinwand, die Treppe hoch bis zum Eingang. Vielleicht war es auch das Bier, welches das Publikum zu den Lach-Chören und mir zu dem recht wohlwollenden Fazit verhalf.

Meine Schrecklich verwöhnte Familie erscheint am 12. Mai 2022 in den deutschen Kinos.

Foto: Telepool/ Nicolas Cuche

Macht irgendwas mit Medien (privat, freiberuflich & im Studium) und schnackt euch jetzt nicht mehr nur noch über die Radiofrequenz das Ohr über Themen ab, denen er wenig Wissen, aber viel Spaß beisteuern kann.

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