Sneak-Review #246: Mein fabelhaftes Verbrechen
Eine erfolglose Theaterschauspielerin wird des Mordes angeklagt und benutzt mithilfe einer befreundeten Anwältin den Gerichtssaal als Bühne für ein moralisches Exempel. Der flexible Filmkünstler François Ozon inszeniert mit Mein fabelhaftes Verbrechen eine gezielt melodramatische Krimikomödie mit pseudosubversivem Anstrich.
Szenische Einstiege wirken immer so verkrampft theatralisch. Warum sich in journalistischer Nachahmungspoesie üben, wenn doch der besprochene Film bereits mehr als das leistet? Zumindest könnte kurz auf den Rahmen selbst verwiesen werden: Ein wie fast immer bei der Sneak-Vorstellung gut gefüllter Saal, einander überlagernde Plaudereien vor einer zunächst zahlreiche Produkte und Dienstleistungen bewerbenden Leinwand. Es ist fast wie im Theater, es wird nur deutlich mehr geredet und gegessen. An diese Atmosphäre knüpft François Ozons Filmadaptation des gleichnamigen Theaterstücks Mein fabelhaftes Verbrechen (org. Mon Crime) nahtlos an. Die Leinwand zeigt eine noch von einem opulenten, roten Vorhang verdeckte Bühne. Nach einem kurzen Moment der Stille öffnet sich auch dieser Vorhang. So konventionell und plakativ dieser Beginn einer Theateradaption anmuten mag – besonders von einem Regisseur, der bereits zahlreiche Theaterstoffe adaptiert hat und sich also mit den Registerwechseln auskennt –, so effektiv bleibt er dennoch in seinen zahlreichen Offensichtlichkeiten. Es entsteht ein gesteigertes Bewusstsein für die Performance der Schauspieler:innen, aber auch eine größere Distanz. Die Implikation eines weiteren Vorführraums suggeriert gleichzeitig einen weiteren Zuschauer:innensaal, der das Publikum von der eigentlichen Handlung trennt.
Akte der Überzeichnung
Dem Bühnengeschehen ist folgendes zu entnehmen: Madeleine (Nadia Teresziekwicz) ist eine erfolglose Schauspielerin, die zusammen mit ihrer genauso erfolglosen Anwaltsfreundin Pauline (Rebecca Marder) in einer heruntergekommenen Wohnung haust. Nach einem weiteren fehlgeschlagenen Vorsprechen bei einem berühmten Theaterproduzenten, das in einer erfolgreich abgewehrten sexuellen Übergriffigkeit endete, setzt Madeleine ihre Hoffnungen auf ihren reichen Liebhaber André (Édouard Sulpice). Diesen möchte sie gleichzeitig davon überzeugen, selbstständig zu werden und nicht immer auf das Vermögen seines Vaters zu vertrauen, auch wenn es natürlich als privilegiertes Auffangnetz für alle seine Unternehmungen in schützender Nähe bleiben wird – ein Punkt, den der Film in seinem oberflächlichen Klassenverständnis missachtet. Jegliche Anbahnung eines klischierten Dramas wird mit dem Beginn einer genauso konventionellen Kriminalhandlung verwoben: Der Theaterproduzent, bei dem Madeleine noch eben ihr Vorsprechen hatte, wird tot aufgefunden, Madeleine wird beschuldigt. Statt auf ihrer tatsächlichen Unschuld zu beharren, ergreift sie mit Pauline die Gelegenheit, den Vorfall als feministische Selbstermächtigungsgeste darzustellen und exemplarisch an diesem Fall auf die benachteiligte gesellschaftliche Stellung von Frauen – der Film spielt im Jahr 1932 – aufmerksam zu machen. Eine feministisch angelegte Farce, die die verwendeten Krimielemente hinterfragen möchte, indem sie im Gegensatz zu verbreiteteren Kriminalgeschichten die Perspektive einer vermeintlichen Täterin als Gallionsfigur für einen politischen Zweck zentriert.
Diese sehr ernsten Scherze
Soweit der Spieltext. In ihrer Struktur erzeugen diese in sich komplexen Handlungsmomente jedoch ein unausgeglichenes Verhältnis. Die Ernsthaftigkeit der im Gerichtsraum und auf der Theaterbühne stehenden Probleme der fehlenden Gleichberechtigung versinkt in der hyperbolischen, dick aufgetragenen Farbe, die der Film ihnen verleiht. Alles in Mein fabelhaftes Verbrechen ist bewusst typisiert und übertrieben, von den dennoch innerhalb ihres Typs präzise gespielten Figuren bis hin zum üppig ausstaffierten Szenenbild, das sich theatergetreu hauptsächlich auf Innenräume beschränkt.
Diese Überzeichnung könnte in ihrer Konsequenz funktionieren, wenn sie bewusster zu Ende gedacht worden wäre. Stattdessen möchte der Film sich gleichzeitig über seine Karikaturen lustig machen, durch mehrere Ebenen ironischer Brechung – Pauline verfasst für Madeleine ein Drehbuch für ihre Monologe als Angeklagte – auf ihre Absurdität verweisen, eine feine Mischung aus Übertreibung und genauer Beobachtung, die hier leider nicht erreicht wird. Dabei zeigt der Film in einigen Momenten ein Gespür für die widersprüchlichen gesellschaftlichen Verhandlungsmuster, die ein Fall wie Madeleines auslösen könnte, auch wenn einige Handlungsentwicklungen dennoch unausgereift bleiben. So wird Madeleine nach ihrer Gerichtsperformance – übrigens ebenfalls eine plakativ-effektive Gleichsetzung: Der Gerichtsraum als weitere Bühne, ist das nicht auch etwas zu offensichtlich gedacht, zu einengend konzipiert? – zu einer vielgefragten Berühmtheit. Wie nachvollziehbar ist es in Anbetracht unserer derzeitigen gesellschaftlichen Strukturen, dass einer von sexueller Gewalt Betroffenen nicht nur flächendeckend geglaubt wird, sondern sich ihr Antritt an die Öffentlichkeit auch generell positiv auf ihre Karriere auswirkt?
Das könnte ungerechtfertigter Zynismus sein, doch zeigt sich der Film an dieser Stelle trotz seines Ziels der Gesellschaftskritik als idealisierend, in falscher Richtung überzeichnend, wodurch er einen Abstand zu dem gewinnt, was er eigentlich kritisieren möchte. Daraufhin wird Madeleine als berühmte Schauspielerin jedoch primär mit Rollen zugeschüttet, die ihre Opferrolle reproduzieren, anstatt ihre Autonomie zu betonen. Dadurch verweist der Film auf ein gesellschaftliches Muster, das tiefergehende Kritikpunkte bietet, ohne in seinem weiteren Verlauf näher darauf einzugehen. So bleibt unklar, ob Mein fabelhaftes Verbrechen diese Beobachtung bewusst integriert hat oder ob er in seiner ausufernden Handlung zufällig darüber gestolpert ist. Damit verliert er als potentiell kritischer Film über gesellschaftliche Missstände seinen Biss, weil er dadurch, das, was er kritisieren möchte, im selben Zug instrumentalisiert und so herabsetzt. Das bedeutet nicht, dass es nicht möglich wäre, gesellschaftlich ernstere Themen in einem humoristischen Ton zu behandeln, sondern nur, dass die Balance dieser Elemente in Mein fabelhaftes Verbrechen letztendlich zur Entkräftung beider Schwerpunkte führt.
Instabile Inszenierung?
Dagegen ist der Film in seiner Inszenierung keinesfalls so torkelnd unentschlossen. Die Kamera des Bildgestalters Manuel Dacosse, mit dem Ozon bereits an mehreren Filmen gearbeitet hat, bleibt distanziert und präzise. Häufig wird gegenüber den Figuren eine neutrale, sich auf Augenhöhe befindliche Perspektive eingenommen, die genauso wie die Figuren selbst in vielen der Szenen statisch bleibt und so die Atmosphäre eines Theaterstücks weitgehend beibehält. Die Dynamik der Handlung drückt sich eher in der Bildkomposition aus, in der Zusammenstellung von Halbnah- und Nahaufnahmen, die die Perspektiven der Figuren durch die Nutzung von Unschärfe und Bildtiefe auch visuell gegeneinander ausspielen. Die Inszenierung schmiegt sich so zurückhaltend an die Handlung an, was insofern überrascht, als dass eine stärkere Betonung ihrer Mittel mehr Spielformen der Überzeichnung erlaubt hätte, sowohl für die ernsten als auch für die heiteren Momente des Films. Mein fabelhaftes Verbrechen bleibt auch in dieser Hinsicht merkwürdig unbalanciert. Wie bestimmte Formen des Theaters können auch Formen der Kritik zu sentenzhaften Abschlüssen neigen: Es kämpft der Witz mit dem Ernst und beide verlieren, weil sie sich nicht leidenschaftlich genug streiten.
Anklage fallengelassen: Mein fabelhaftes Verbrechen wurde zu 59% positiv und zu 41% negativ bewertet.
ist seit Mitte Februar 2023 Redaktionsmitglied. Studiert Literaturvermittlung in den Medien. Hat den Film "Babylon" acht Mal im Kino gesehen. 25 Jahre alt. Liebt schiefe Vergleiche.
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