(S)Top TTIP!

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Das GeCETA und GeTTIPpel um TTIP & Co nimmt stetig zu, denn die Freihandelsabkommen werden Auswirkungen auf alle haben – selbst auf Marburg.

Seit mehr als drei Jahren verhandeln die EU und die USA hinter verschlossenen Türen ein Abkommen, dessen Intransparenz den größten Aufschrei bei den Geschehnissen verursachte, gefolgt von Chlorhühnchen und privaten Schiedsgerichten. Mit jedem Leak werden die Ziele des Abkommens zwar transparenter, allerdings nicht unbedingt verständlicher. Und auch der fleißige Studierende der Uni Marburg ist verunsichert, was er:sie vom TTIP halten soll. Aus diesem Grund möchte PHILIPP Licht ins Dunkle bringen und hat sich zwei Expert:innen gesucht, die kurz und knapp die wichtigsten Vor- und Nachteile der Freihandelsabkommen darstellen. Professor Dr. Bernd Hayo hat sich im Zuge seiner Forschungen sehr genau die wirtschaftliche Seite der Freihandelsabkommen angeschaut und sieht viele Vorteile für den europäischen Markt. Professor Dr. Christoph Butterwegge beschäftigte sich schon länger mit den sozialen Aspekten von TTIP und Co. und sieht in den Abkommen eher eine Bedrohung für die EU.

PRO von Prof. Dr. Bernd Hayo

Ein erfolgreicher Abschluss der TTIP Verhandlungen würde meiner Einschätzung nach für die beteiligten Volkswirtschaften nennenswerte Vorteile bringen. Gegeben, dass in vielen Güterkategorien die Zölle nicht mehr sonderlich hoch sind, würde ich aber auch keine dramatischen Verbesserungen erwarten. Schätzungen von Ökonomen reflektieren diese Einschätzung. Forschende des Ifo Instituts gehen von Vorteilen in Form von zwei Millionen neuen Arbeitsstellen in den OECD-Staaten aus, davon gut 1 Millionen in den USA sowie knapp 200.000 in Deutschland. Laut der Studie des CEPR  könnte das Bruttoinlandsprodukt dauerhaft um 0,5 Prozentpunkte höher sein, was gut 200 Euro Gewinn pro EU Bürger:in im Jahr ausmachen würde. Man sollte sich aber im Klaren darüber sein, dass diese Schätzungen mit sehr großer Unsicherheit verbunden sind und die tatsächlichen Vorteile am Ende deutlich kleiner, aber natürlich auch größer ausfallen können.

TTIP bringt Handelsvorteile

Wie entstehen diese Vorteile durch TTIP? Die klassische Handelstheorie betont die Vorteile eines weitreichenden internationalen Austauschs an Gütern und Dienstleistungen. Vorteile von Handel entstehen durch die Spezialisierung von Ländern auf die Produktion bestimmter Güter und Dienstleistungen. Wesentliche Argumente für das Entstehen von Handelsvorteilen sind dabei absolute und komparative Vorteile in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Absolute Vorteile, schon bei Adam Smith erkannt, bedeuten dabei, ein Land kann ein Gut kostengünstiger, also mit weniger Einsatz von Produktionsfaktoren, produzieren. Das Konzept komparativer Vorteile geht auf Ricardo zurück und zeigt, wie Länder selbst dann von internationalem Handel profitieren, wenn ein Land bei der Produktion jedes Gutes absolute Kostenvorteile aufweist.

Dazu kommen Vorteile aufgrund der Vergrößerung des Angebots an unterschiedlichen Gütern und Dienstleistungen, wodurch es gelingen kann, die Präferenzen der unterschiedlichen Konsumenten passgenauer zu bedienen. Durch die Schaffung eines gemeinsamen Markts im Rahmen von TTIP würden sich noch weitere Vorteile ergeben, die in der Harmonierung von Regulierung von Produktstandards und geringerer Bürokratie ihren Ursprung haben. Unternehmen müssen dann nicht mehr unterschiedliche Regelungen auf den europäischen und US Märkten bei ihren Angeboten beachten, was erhebliche Kostenvorteile für die Verbraucher mit sich brächte.

Verbraucher:innenschutz bleibt bestehen

Gegenrechnen muss man die Verdrängung von Handelsströmen mit Ländern, die dem TTIP Vertrag nicht angehören. Meiner Auffassung nach sind insbesondere andere OECD Länder potentiell negativ von TTIP betroffen, wie Kanada oder Japan, da der Handel zwischen den USA und Europa voraussichtlich primär im Bereich der anspruchsvolleren Produkte erfolgen wird. Eine weitere Einschränkung der Handelsvorteile kann vorliegen, wenn das ökonomische Gewicht der beteiligten Staaten sehr unterschiedlich ist und eine Seite der anderen Seite Preise diktieren kann oder ökonomische Macht in anderer Form ausspielen kann. Hier sehe ich allerdings keine Bedenken, denn sowohl die EU Länder als auch die USA sind durch eine ähnliche wirtschaftliche Größe gekennzeichnet. Letztlich ist zu erwarten, dass besonders exportorientierte Länder wie Deutschland, welches ungefähr die Hälfte seines BIPs exportiert und fast ebenso viel importiert, von TTIP profitieren werden.

Es erstaunt daher etwas, dass gerade in Deutschland die Opposition gegen TTIP relativ stark ist. Bedenken der Kritiker:innen scheinen sich hier insbesondere auf Fragen der Gesundheit und Produktsicherheit, der Einrichtung von privaten Schiedsgerichten, sowie den hohen Grad der Geheimhaltung der Vertragsverhandlungen zu konzentrieren. Hier sollte darauf hingewiesen werden, dass die EU mehrfach bestätigt hat, dass es keine Abstriche bei der Gesundheit und Produktsicherheit geben wird. Es ist meiner Meinung nach auch wichtig zu betonen, dass es keineswegs so ist, dass die europäischen Produkte hier immer eine höhere Messlatte anlegen würden. Die Grenzwerte für Autoabgase sind ein gutes Beispiel dafür, wie in den USA strenger reguliert wird als in Europa. Private Schiedsgerichte vertragen sich nur schlecht mit der Bereitstellung der Judikative als eine zentrale Aufgabe des Staates.

TTIP hat normatives Potenzial

Hier erscheint es aber denkbar, dass sich die Verhandlungspartner:innen auf die Einrichtung staatlicher Schiedsgerichte verständigen können. Der geringe Grad der Transparenz wird durch die EU mit dem Hinweis verteidigt, dass es sehr schwierig ist, zu verhandeln, wenn parallel die Interessensgruppen direkt Lobbyarbeit für die Erhaltung ihrer Partikularinteressen betreiben. Auf der anderen Seite kann man aber argumentieren, dass Demokratien diese Art der Offenheit aushalten müssen. Letztlich müssen die TTIP Regeln aber durch die EU Mitgliedsstaaten umgesetzt werden und wenn die EU Verhandelnden die Interessen der Bevölkerungen in den Mitgliedsstaaten nur begrenzt berücksichtigen, dann ist zu erwarten, dass der Vertrag später politisch auf nationaler Ebene nicht mehr durchsetzbar ist.

Schließlich besteht durch TTIP die Möglichkeit, die internationalen Handelsregeln so zu beeinflussen, dass diese die Interessen der westlichen Welt besser widerspiegeln. Das wiederum sollte zur Folge haben, dass die Themen Umweltschutz, Gesundheit und Produktsicherheit auch in den Verhandlungen auf der Ebene der Welthandelsorganisation aufgewertet würden, da TTIP als ein Vertrag der beiden gröβten Handelsräume der Welt hier Standards setzen könnte. Von daher sollte Deutschland sich für die Umsetzung von TTIP einsetzen, aber bei Fragen von Details wie Gesundheit oder Schiedsgerichte durchaus versuchen, politisch gegenzusteuern.

CONTRA von Prof. Dr. Christoph Butterwegge

Bei der „Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft“ (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) zwischen der EU und den USA, dem „umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens“ (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) mit Kanada sowie dem von der EU, den USA und anderen Staaten geplanten Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, TISA) handelt es sich um einen Frontalangriff auf das europäische Sozialmodell. Ihre:n neoliberalen Fürsprecher:innen geht es um die Errichtung eines globalen Herrschaftsregimes, das unternehmerischen Investitionsentscheidungen jedweder Art dauerhaft freie Bahn schaffen und mögliche Einsprüche dagegen mittels juristischer Sperren blockieren soll.

CETA, TTIP und TISA sind integraler Bestandteil eines globalen Projekts der Umgestaltung fast aller Gesellschaftsbereiche nach dem Vorbild des Marktes. Insofern stellen sie unter Beweis, dass sich die Neoliberalen wieder in der Offensive befinden. Die treibenden Kräfte hinter beiden Abkommen sind transnationale Industrie- und Handelskonzerne, deren Hauptziel die Abschaffung bzw. Absenkung von Lohn-, Sozial- und Umweltstandards diesseits wie jenseits des Atlantiks ist. Außerdem sind Großbanken, Fondsgesellschaften und Versicherungsunternehmen mit von der Partie, geht es doch nicht zuletzt um Finanzdienstleistungen. Unternehmerverbände, Lobbyeinrichtungen und neoliberale Denkfabriken (think tanks) wie die Bertelsmann Stiftung, der Eigeninteressen ihres Mutterhauses an CETA und TTIP im Medien- und Dienstleistungsbereich nachgesagt werden, dürfen natürlich ebenfalls nicht fehlen.

Das Ende demokratischer Grundrechte

Ginge es Neoliberalen um die Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit, dürfte es keine Nivellierung von Schutzregelungen im Bildungs-, Beschäftigungs- und Sozialsystem nach unten geben. Genau das können die Freihandelsbefürworter:innen mit den genannten Abkommen aber womöglich erreichen: Durch die Verträge wird einer Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und sozialer Risiken, die bisher staatlicherseits abgesichert waren, Tür und Tor geöffnet. In letzter Konsequenz bedeutet die Verabsolutierung von Markt, betriebswirtschaftlicher Effizienz und Konkurrenz das Ende des europäischen Sozialmodells. Wer öffentliche Unternehmen (Sparkassen, kommunale Energieversorger und Stadtwerke) schwächt, indem er ihnen die Geschäftsgrundlage raubt, erschüttert den Wohlfahrtsstaat in seinen Grundfesten, beschädigt das gesellschaftliche Zusammenleben und gefährdet den sozialen Frieden.

Die öffentliche Daseinsvorsorge gerät durch alle genannten Abkommen stärker unter Druck. Neoliberale wollen Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung und Müllentsorgung privatisieren bzw. kommerzialisieren. Kunst und Kultur sollen ebenfalls keine öffentlichen Güter mehr sein, auf die alle Wohnbürger:innen einen Anspruch haben, sondern Warencharakter annehmen, auf Märkten gehandelt werden und nur Begüterten uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Wenn es um die Beseitigung „nichttarifärer Handelshemmnisse“ geht, droht eine Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen regelnden Gesetzesbestimmungen diesseits und jenseits des Atlantiks. Hinsichtlich der Nahrungsmittelsicherheit mögen Chlorhühnchen, Genlachs und Hormonfleisch für europäische Verbraucher:innen wenig erfreulich sein; von erheblich größerer Bedeutung sind aber demokratische und soziale Grundrechte, die auf dem Spiel stehen. Da die USA nur zwei von acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) ratifiziert haben, stehen die Koalitionsfreiheit, das Kollektivvertragssystem, das Prinzip des gleichen Lohns für Mann und Frau sowie das Verbot der Diskriminierung im Arbeitsleben wegen „Rasse“, Hautfarbe, Geschlecht, Religion, politische Meinung und nationaler beziehungsweise sozialer Herkunft in einer transatlantischen Freihandelszone auch hierzulande womöglich noch stärker zur Disposition.

Der soziale Wohlstand ist gefährdet

Falls nordamerikanische Konzerne, Großbanken und Fondsgesellschaften die EU-Staaten aufgrund eines Investitionsschutzabkommens vor Sondergerichten auf Schadensersatz verklagen können, nur weil sie argwöhnen, dass neue Mindestlohnregelungen bzw. -höhen, Arbeits- bzw. Kündigungsschutzgesetze, Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmer:innen und ihren Gewerkschaften oder großzügige Transferleistungen der Staaten ihre Profitaussichten schmälern, wird das europäische Sozialmodell im Kern getroffen. Müssen größere Beschaffungsmaßnahmen und die Bauaufträge von Bund, Ländern und Kommunen transatlantisch ausgeschrieben werden, ist eine per öffentlichen Vergaberichtlinien und -gesetzen betriebene Beschäftigungs-, Regional-, Struktur- und Sozialpolitik, wie sie ansatzweise in großen Teilen Europas praktiziert wird, nicht mehr möglich.

Solange die Marktfreiheit, der Freihandel und der Investitionsschutz im Mittelpunkt der europäischen wie der nordamerikanischen Politik stehen, nehmen soziale Ungleichheit, Armut und Reichtum hier wie dort zu. Darüber hinaus setzen CETA, TTIP und TISA neue Maßstäbe für eine Weltwirtschaftsordnung, in der kaum noch Platz für die Abweichung von und den Widerstand gegen Kapitalverwertungsinteressen, für wirksamen Arbeitsschutz, demokratische Rechte, rechtsstaatliche Prinzipien, hohe Sozial- und Umweltstandards sowie staatliche Souveränität bleibt.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge ist Professor für Politikwissenschaft am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Autor des Buches Armut in Deutschland - 1/2010 Foto: Wolfgang Schmidt
Foto: Wolfgang Schmidt

Prof. Dr. Christoph Butterwegge ist seit 1998 Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. 1990 habilitierte er sich an der Universität in Bremen. Butterwegge ist Mitglied der Forschungsstelle für interkulturelle Studien und hat soeben die Neuauflage seines Buches „Kritik des Neoliberalismus“ veröffentlicht. Er ist ein Kritiker von TTIP, weil das Abkommen für ihn eine Gefährdung des europäischen Sozialmodells und eine Bedrohung der öffentlichen Daseinsvorsorge darstellt.

Foto: Uni Marburg

Prof. Dr. Bernd Hayo lehrt und forscht seit 2004 an der Philipps-Universität Marburg und hat die Professur für Makroökonomie  inne. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Monetären Ökonomie, der politischen Ökonomie und der Sozioökonomie. Er beschäftigt sich in seinen wissenschaftlichen Tätigkeiten und Lehrveranstaltungen regelmäßig mit europäischen Fragen. Aus seiner Sicht bieten Freihandelsabkommen wie TTIP klare ökonomische Vorteile für die EU und insbesondere für Deutschland.

Foto: CC Friends of the Earth Europe/Lode Saidane auf Flickr.com, unverändert

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