Sneak-Review #243: The Art of Love

Sneak-Review #243: The Art of Love

Bild: Malu Wolter

So steht es bereits in der Bibel: Der einsame Pornodarsteller und Influencer Adam trifft auf die ältere, ebenso einsame Sexspielzeugtesterin Eva. Gemeinsam arbeiten sie an der Entwicklung einer Sex-KI in diesem ziellosen Liebesfilm, der so aussieht wie schlecht eingezogene Creme und sich so anfühlt wie das Gegenteil von Vaseline.

Wir befinden uns in einer hell erleuchteten Penthouse-Wohnung, die bis auf einige wenige Möbelstücke, eher durch eine alles einnehmende Abwesenheit an Gegenständen besticht. Die stärkste Präsenz geht von der Mitte des Raumes aus: Ein nackter, nur eine VR-Brille tragender Mann steht breitbeinig vor einer Maschine, die neben einem kleinen Stromgenerator mit einem Rüssel ausgestattet ist, der zwischen den Beinen des Mannes endet. Der 34-jährige Adam (Oliver Walker) stößt einen ekstatischen Schrei aus und nimmt die VR-Brille ab. „Orgasmus erreicht“, kommentiert die Maschine, als ob sie ein neuartiges GPS-Gerät wäre. Diese Form der Befriedigung bildet denn auch das Zentrum von The Art of Love. Ein Film, der sich traut, die komplexeste aller Fragen zu stellen: Kann die programmierte Zuwendung einer jederzeit kontrollierbaren Maschine echte menschliche Beziehungen ersetzen? Ja, möglicherweise kann ChatGPT als wissenschaftliches Werkzeug bald das Schreiben meiner Hausarbeiten für mich übernehmen – was nicht als Befürwortung oder Aufforderung gelesen werden sollte! –, aber könnte es mich auch von meinen Liebesproblemen befreien, als sexuelles Werkzeug fungieren? Fragen auf der Höhe des Zeitgeistes, Halleluja. 

Liebe in Zeiten von KI und Menschenpuppen

The Art of Love geht es jedoch überhaupt nicht darum, das Verhältnis von Technologie und Liebe zu ergründen. Worum es ihm wirklich geht, ist aus mehrerlei Gründen schwierig zu bestimmen. Primär fokussiert sich der Film, dem verbreiteten, heteronormativen Muster sogenannter Liebesfilme entsprechend, auf einen Mann und eine Frau: Pornodarsteller (was vom Film jedoch nur am Rande überraschend zurückhaltend angedeutet wird) und Influencer Adam trifft auf Eva (Alexandra Gilbreath), eine für die gleiche Sexspielzeugfirma als Testerin arbeitende Frau Mitte 50, die in einer Ehe mit einem vollends desinteressierten Mann (Jeremy Swift) gefangen ist.

Auf Wunsch des schmierigen, dem Pringles-Mann ähnelnden CEOs der Firma Hector (Kenneth Collard)  sollen Adam und Eva zusammen die Sex-KI seines neuen, revolutionären Love-Toys bespielen. Nach von Hector vollzogener Überzeugungsarbeit – an Adam: „Denk an die Reichweite!“, an Eva: „Denk an das Geld!“ – entschließen sich beide, in den sauren (verbotenen?) Apfel zu beißen. Hectors neues Produkt soll, nach dem Aufziehen einer VR-Brille, möglichst menschlich jedwede Fantasie des Nutzers (kein generisches Maskulinum) ohne Widerworte erfüllen. Aha, soso. Da stecken doch einige, hauptsächlich zu dekonstruierende Ansätze drin. Aber auch da zeigt sich der Film überraschend desinteressiert. Die materiell-gesellschaftlichen Implikationen seiner Prämisse, die kommerzielle Ausnutzung des menschlichen Liebeshungers durch eine Firma, die sich maximalen ökonomischen Profit erhofft, sind ihm genauso egal wie die einseitige Bevorzugung einer spezifischen Zielgruppe, die das neue Spielzeug ansprechen soll. Liebe, das ist doch, wenn eine Person von einer anderen alles kriegt, was sie möchte, damit sie sich nicht einsam fühlt, oder?

Auch in seiner konkreten Darstellung von Liebesweisen bleibt die ziellos mäandernde Szenenfolge, die The Art of Love ausmacht, brachial oberflächlich. Die sogenannte Liebe dient hier nur als fast schon mathematisches Korrektiv der Einsamkeit, als notwendige Operation, die durchgeführt werden muss, um Einsamkeit wegzukürzen. Demnach ist sie kein Selbstzweck, sondern ein bloßes Werkzeug, ein einzelnes Zahnrad in der Maschinerie des Films. Doch The Art of Love kümmert das nicht. Gleichermaßen mechanisch bewegen sich die Figuren durch die Geschichte. Sie sehnen sich, einsame künstliche Intelligenzen, die sie sind, nach Verbindungen, die aber keinerlei Tiefgang aufweisen, da das Drehbuch diesen in seiner unbeholfenen Mischung aus unausgearbeitetem Konflikt und forciertem Humor nicht zustande bringen kann. Der angestrebte Konflikt kann dabei gar nicht erst überzeugend kreiert werden. Er bedarf nämlich der gleichrangigen Gegenüberstellung von zwischenmenschlichen Beziehungen und der Entwicklung eines neuen Geräts, das diese ersetzen könnte. The Art of Love kann das jedoch nicht leisten, da dem Film beide Konzepte gleichgültig sind. Er stellt sie nur unbeholfen nebeneinander und springt wahllos zwischen ihnen hin und her, ohne dass der Funke jemals übergehen würde.

106 Minuten abgepackter Einsamkeit

Es gibt einige wenige Momente, in denen Etwas, das gerne mit Menschlichkeit verwechselt werden kann, vielleicht ein Funke, in dem Schauspiel von Gilbreath als Eva ausbricht. Doch abseits davon staksen die Figuren nur unbeholfen und embryonal durch den Film. Dahinter so etwas wie eine bewusste Haltung zu vermuten, eine Einstellung zur Welt oder den Versuch, über die Einrichtung von Liebe und Einsamkeit nachzudenken, wäre fehlgeleitet, da es dem Film letztendlich doch um das Kreieren von Affekten geht. Durch die Inszenierung des hauptsächlich in Thrillern geübten Regisseurs Philippe Weibel entsteht der Eindruck, dass es in seinem Film über grob skizzierte Affekte hinaus gar keine Welt gibt, zu der sich jemand verhalten könnte. Alles zerläuft in stets von künstlich wirkendem Licht durchtränkten, viel zu häufig genutzten Totalen. Die Körper darin erscheinen merkwürdig deplatziert und fremd. Es handelt sich um eine Postkartenwelt ohne Variation und Tiefe. Das Bild wirkt wie mit Creme eingerieben, es gibt keine Ecken oder Kanten, nichts, woran sich jemand stoßen könnte.

Dass die einsamen Momente der Figuren mit genau dem gleichen, verherrlichenden Liebeskomödie-Blick gedreht wurden, wirkt zunächst wie ein erfrischender Kontrast, ein sich einschleichender Kommentar zu einer eigenartigen Einsamkeitssucht der Figuren, die mit ihrem Liebesverlangen konkurriert. Leider zeigt sich auch da die alles abflachende Neutralität des Films: Er interessiert sich nicht für diese Momente, zeigt sie nur kurz, ohne sie in ein übergeordnetes Gefüge einzuordnen. Wovon sprechen wir, wenn wir von Liebe sprechen? Keine Ahnung, aber wenn es nach The Art of Love geht, könnte Liebe die Leerstelle zwischen einem gewaltigen Desinteresse und einer ziellosen Gleichgültigkeit sein. 

Sie lieben mich, sie lieben mich nicht: The Art of Love wurde zu 63% positiv und zu 37% negativ bewertet.

(Lektoriert von bjr und hab.)

ist seit Mitte Februar 2023 Redaktionsmitglied. Studiert Literaturvermittlung in den Medien. Hat den Film "Babylon" acht Mal im Kino gesehen. 23 Jahre alt.

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