Sneak Review des guten Geschmacks # 2 The Black Phone

Sneak Review des guten Geschmacks # 2 The Black Phone

Ein schwarzes Telefon mit durchtrennter Schnur ist die einzige Hilfe für die Entführten. Beinahe zynisch ist der Titel The Black Phone von Scott Derricksons neuem Horrorfilm. Der Film punktet aber mehr mit seiner Atmosphäre als durch zynische Wortspiele.

Grauer Alltag in Colorado

Es ist 1979 und Vermisstenanzeigen entführter Kinder hängen in der Kleinstadt North Denver und neue kommen stetig hinzu. Der schlaksige Finney (Mason Thames) läuft auf dem Weg zur Schule oder zu Baseballspielen daran vorbei. Die Zeitungen und Menschen in North Denver nennen den Entführer den „Greifer“ (Ethan Hawke), dessen Opfer, wenn überhaupt, nur tot wieder auftauchen. Beim letzten Spiel bekommt Finney von seinem Gegenspieler Komplimente für seine Würfe. Der Teenager lebt ein unauffälliges Leben. Seine beste Freundin ist seine kleine Schwester Gwen (Madeleine McGraw), die Mobber lassen ihn nur in Ruhe, weil er einem starken Mitschüler Nachhilfe gibt und wenn sein alkoholkranker und verwitweter Vater (Jeremy Davies) nach der Arbeit einschläft, sieht er fern. Als Finney eines Tages an den Anzeigen vorbei läuft, bleibt er stehen. Der Junge vom Baseball ist darauf zu sehen und einige Tage später auch sein Nachhilfeschüler.

Finney wird jedoch bald wieder von seinem Alltag eingeholt. Er wird von den Mobbern verprügelt und seine mutige Schwester steckt beim Versuch ihm zu helfen ebenfalls Schläge ein. Sie träumt manchmal von den Entführungen und manches davon wird sogar kurz darauf wahr. Ihre verstorbene Mutter hatte diese Gabe ebenfalls. Ihr Vater verprügelt sie mit seinem Gürtel, wenn sie von ihren Träumen erzählt. So auch nachdem sie von der Polizei darauf angesprochen wurde. Auf dem Heimweg von der Schule begegnet Finney einem Fremden, der seinen Einkauf fallen lässt. Als er ihm hilft wird er betäubt und in einen schwarzen Van gelegt. Auf einer Matratze im Keller des Greifers mit kleinem Fenster und einem schwarzen Telefon mit durchtrennter Schnur wird Finney wieder wach. Das Telefon im Keller klingelt, aber niemand ist zu hören. Die Träume seiner Schwester scheinen seine einzige Hoffnung zu sein, bis sich eines Tages ein zuvor entführtes Kind am Telefon meldet.

Dichte Atmosphäre aber verschenkter Star

Scott Derricksons Erfahrung mit Horrorfilmen (Sinister, Der Exorzismus von Emily Rose) sieht man diesem Film an. Jumpscares sind nicht innovativ, aber das müssen sie nicht sein, um das Publikum zu erschrecken und das schaffen sie hier. Darüber hinaus wird eine dichte Atmosphäre geschaffen. Die Stadt wird oft bewölkt und grau gezeigt oder am Abend – die Bedrohung scheint immer präsent zu sein. Zudem schafft die Gewalt an den Schulen und bei Finney Zuhause eine unangenehme Erwartungshaltung, was das Gewalt- und Schockpotential de Greifers angeht, wenn Gewalt bereits im Alltag der Gemeinde vorkommt.

Der von Ethan Hunt gespielte Greifer lässt allerdings Potential liegen. Am gruseligsten ist er, wenn der Mensch dahinter zum Vorschein kommt. So, wenn zum Beispiel gezeigt wird, wie er mit offenem Hemd und Gürtel in der Hand geduldig darauf wartet, dass Finney durch die offen gelassene Tür des Kellers kommt, um zu fliehen. Ethan Hunt holt das Maximum an menschlicher Regung hinter der Maske hinaus, jedoch werden der Schauspieler und der Entführer durch diesen Kitsch versteckt. Als Randerscheinung in einem der Purge-Filme wäre sie deutlich besser aufgehoben.

Schade salted-caramel Schokolade

Die dichte Atmosphäre, das ernste Thema und die geschichtliche Einordnung von Gewalt sind ein spannendes Fundament, dass der Film jedoch spätestens mit den Telefonaten von Finney verwirft. Das titelgebende Telefon ist die größte Schwäche des Films. Die bisher entführten Kinder geben ihm nämlich Tipps, wie er entkommen könnte oder den Greifer überrumpeln kann. Die Fehlschläge und Gespräche sorgen Anfangs für Verzweiflung, haben gegen Ende aber beinahe etwas von einer Rocky-Montage oder Stranger Things ohne die Synthies.

Finneys Überlebenskampf gerät in den Mittelpunkt und löst am Ende alle Probleme auf: Die problematische Situation mit seinem Vater, die Gewalt an der Schule und das unsichere Auftreten von Finney. Während bei salted caramel die Gegenseitigkeit der Zutaten passt, verdirbt die Alles-ist-Gut-Auflösung des Films die Vorstellung. So entgegnet Finney seinem Schulschwarm, den er zuvor kaum ansehen konnte: „Nenn mich Fin“. Schwachsinn!

Achterbahnkino

Martin Scorcese hatte so eigentlich mal Marvel-Filme beschrieben. Hier trifft es ebenfalls zu. Man wird aufgerührt, in Spannung gehalten und durch Jumpscares geschüttelt, um am Ende aus dem Kinosaal zu gehen und sich zu sagen, toll dass das alles geklappt hat. Manche mögen es, aber der Grusel hält nicht lange an und beim zweiten Mal sehen ist er vermutlich ganz verflogen, wenn man weiß was kommt.

The black phone startete am 23. Juni in den deutschen Kinos.

Foto: Scott Derrickson/ Universal Pictures

studiert Politikwissenschaften, verbringt zu viel Zeit um sich über die BILD aufzuregen und isst süßes und salziges Popcorn gemischt.

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