Warum wählt man einen Trump?

Warum wählt man einen Trump?

Die Wahl Donald Trumps zum 45. US-Präsidenten traf Deutschland wie ein Schlag. Hätten die Deutschen wählen dürfen, 82% hätten für Hillary Clinton gestimmt. Die Amerikaner:innen sahen die Situation etwas anders und so zog Trump mit 296 Wahlmännerstimmen ins Weiße Haus ein.

Während meines Auslandssemesters in Bordeaux lernte ich Robert kennen. Er ist 20, studiert Literatur und kommt aus den USA. Wir trafen uns öfter zufällig auf Partys, redeten manchmal und verstanden uns immer gut. Ein netter Kerl, sehr amerikanisch, intelligent, witzig und von einer bemerkenswerten Größe von über zwei Metern, über die er gerne sarkastische Bemerkungen macht. Auch auf der von den Austauschstudierenden organisierten Wahlparty war Robert mit dabei. Fast schon beiläufig, mir seiner Antwort sicher, fragte ich: „Und wen hast du gewählt?“ „Trump“, antwortete er. Ich war geschockt, hielt es für einen Scherz. Wie konnte jemand wie er, der doch offensichtlich nicht zur abgehängten Unterschicht Amerikas zählt, allen Ernstes Trump wählen? Im Laufe der Nacht wurde klar, dass Robert nicht der einzige war, der unerwartet gewählt hatte. Und so blieb mir von dieser Nacht vor allem eine Frage im Kopf hängen: Warum wählt man einen Trump?

Ich beschloss, Robert zur Rede zu stellen. Wer hofft, im Folgenden ein flammendes Inferno linker-, Marburger Rhetorik vorzufinden, wird enttäuscht werden. Dieses Interview ist kein Streitgespräch und auch nicht als solches gedacht. Es ist stattdessen der Versuch, die Motive der Menschen zu verstehen, welche Donald Trump, den Frauenfeind, den Rassisten, den Wahnsinnigen, zum mächtigsten Mann auf der Welt gemacht haben.

PHILIPP: Gefällt dir dein neu gewählter Präsident?

Das ist schwierig zu sagen. Die Wahl ist erst zwei Tage her und er hat das Amt noch nicht übernommen. In den Medien wird so viel über die Wahl und ihre Konsequenzen berichtet, dabei hat sich noch gar nichts verändert. Wir werden sehen, wie sich die Dinge entwickeln, wenn er im Januar offiziell ins Amt eintritt.

Warum hast du Donald Trump gewählt?

Um ehrlich zu sein, ist das eine wirklich schwierige Frage. DIE Frage, um genau zu sein. Ich denke, es ist teilweise eine Anti-EstablishmentWahl gewesen. Die USA werden heute von einer Kultur der political correctness bestimmt, welche meiner Meinung nach einen Riss zwischen der Arbeiterklasse und der gebildeten Oberschicht verursacht hat. Ich glaube einfach, dass ein großer Teil der amerikanischen Bevölkerung durch die Politiker in Washington nicht repräsentiert wird, besonders nicht von Hillary Clinton. Sie ist Teil und Ausdruck des Establishments. Viele ihrer Wahlkampfspenden kamen von der Wall Street und von ranghohen amerikanischen Politikern. Ich hoffe, dass sich dieser Riss in der amerikanischen Gesellschaft unter Trump schließen wird.

Um ehrlich zu sein, das ist das Letzte, was ich von einer Präsidentschaft Trumps erwarte. Die letzten Tage haben das Gegenteil gezeigt – Rassismus und Gewalt scheinen deutlich offener zu Tage zu treten als vor der Wahl.

Ja, das stimmt. Aber der Riss war schon vorher da und ist in den letzten Jahren noch gewachsen. Und die amerikanische Regierung hat es nicht gesehen oder wollte es vielleicht auch einfach nicht sehen. Bernie Sanders sah es, aber er wurde vom demokratischen Komitee ausgeschaltet. In allen Zeitungen kannst du gerade Kommentare von Leuten lesen, die sagen: „Das hier ist nicht mein Amerika“. Aber ich frage mich: Wo seid ihr gewesen in den letzten Jahren, wenn  ihr das nicht habt kommen sehen? Das ist euer Amerika!

Du sagtest, dass die amerikanische Arbeiterklasse sich durch ihre Politiker:innen nicht mehr repräsentiert fühlt. Du scheinst das ähnlich zu sehen – kommst du aus einer Arbeiterfamilie?

Nein. Ich würde meine Familie als untere Oberklasse bezeichnen. Ich bin beispielsweise mein ganzes Leben auf eine Privatschule gegangen. Aber meine Eltern selbst wuchsen in Familien auf, die man eher als untere Mittelklasse oder Arbeiterklasse bezeichnen könnte. Ich habe also möglicherweise ein größeres Verständnis für diese Gruppe von Menschen als andere, deren Eltern ähnlich viel verdienen wie meine heute.

Warum denkst du, dass sich die Arbeiterklasse durch Trump besser repräsentiert fühlt? Er ist Teil des Systems, das sie für ihre prekäre Situation beschuldigen. Er ist sehr reich und man könnte ihn durchaus als Teil des Establishments bezeichnen.

Ich glaube nicht, dass er das ist. Während der Kampagne haben sich viele wichtige Politiker offiziell von ihm abgewendet, aufgrund seiner Kommentare. Und auch die Wall Street hat nie offiziell zu ihm gehalten oder große Spenden gemacht. Man kann ihn also kaum als Teil des Systems bezeichnen.

Seine Kommentare – er hat sehr viele, sehr schlimme Dinge während des Wahlkampfs gesagt. Lass uns eins der Themen aussuchen: Frauen und Sexismus. Mich als Frau macht es sehr wütend, dass ein Mann wie er, der so offen mein Geschlecht diskriminiert, gewählt wurde. Wie konntest du so einen Mann wählen?

Ich verstehe wirklich deine Wut. Aber ich denke, es ist eher so, dass ich ihn gewählt habe, obwohl er all diese Dinge gesagt hat. Ich habe versucht, das größere Ganze zu sehen. Es gibt immer Dinge, die du an Politikern nicht leiden kannst. Hillary hat sich selbst als große Feministin inszeniert, aber dennoch nahm sie Wahlkampfspenden von islamischen Ländern wie Saudi Arabien an, in denen Frauenrechte mit Füßen getreten werden. Natürlich hat das ihren Wählern nicht gefallen, aber sie haben sie trotzdem gewählt.

Was erhoffst du dir von der Präsidentschaft Trumps?

Ich hoffe, dass die USA von ihrer Rolle als Weltpolizei zurücktreten, dass wir weniger in die Politik des Nahen und Mittleren Ostens involviert werden. Ich glaube einfach, dass das nicht unsere Aufgabe ist und dass wir uns lieber um die Probleme unseres eigenen Landes kümmern sollten.

Wo wir schon bei politischen Inhalten sind: Trump hat mehrfach betont, dass er einige von Obamas wichtigsten Reformen rückgängig machen will. Was denkst du über Obamas Präsidentschaft?

Bevor ich diese Frage beantworte, möchte ich gerne sagen, dass ich unheimlich gerne ein Bier mit Obama trinken würde. Ich glaube, er ist ein Typ, mit dem man toll abhängen kann. Zu seiner Präsidentschaft: Obama übernahm das Weiße Haus in einer sehr schwierigen Zeit. Natürlich ist es nie einfach, Präsident zu sein, aber mit der Finanzkrise hatte er es wirklich nicht einfach. Ich stimme nicht mit all seinen politischen Entscheidungen überein, aber ich denke, dass er seinen Job ganz gut gemacht hat. Und einen schwarzen Präsident zu haben, hat Amerika wirklich ins 21. Jahrhundert gebracht und viel gegen Rassismus und Ausgrenzung getan, denke ich. Außerdem war er ein „Präsident zum Anfassen“, was vielen Menschen gut gefallen hat, da es das Gefühl vermittelte, wirklich mit der Politik in Kontakt zu stehen. Hillary Clinton ist da leider überhaupt nicht wie Obama.

Hillary Clinton scheint dir wirklich nicht besonders zu gefallen. Am Anfang unseres Gesprächs hast du erwähnt, dass Bernie Sanders sich deutlich mehr mit den Problemen der amerikanischen Arbeiterschicht befasst hat. Wäre die demokratische Kandidatin nicht Hillary gewesen, hätte deine Wahl anders ausgesehen?

Ich weiß es nicht. Aber wäre der Kandidat Bernie gewesen, wäre mir die Entscheidung viel, viel schwerer gefallen. Heute, wo ich weiß, dass das Demokratische Komitee gegen ihn gearbeitet hat – was übrigens im höchsten Maße illegal ist – und er die Demokraten trotzdem weiter unterstützt hat, weiß ich nicht, ob ich für ihn gestimmt hätte. Aber die Wahl wäre mir wirklich schwer gefallen.

Trumps Temperament wurde im Laufe des Wahlkampfs oft diskutiert. Die öffentliche Meinung befand ihn aufgrund seiner Ausbrüche als untauglich für das Amt. Was wird ihn deiner Ansicht nach zu einem guten Präsidenten machen?

Ich glaube, seine Persönlichkeit qualifiziert ihn definitiv für das Amt des Präsidenten, im Gegensatz zu seiner nicht vorhandenen politischen Erfahrung. Aber Trump verhandelt seit Jahren in stressigen Situationen, er weiß, wie die Menschen ticken und wie man mit Druck umgeht. Und vor allem: Viele Menschen haben ihn dafür kritisiert, mehr ein Entertainer zu sein als ein Politiker. Aber der amerikanische Präsident ist der sichtbarste Mensch auf der Welt. Das richtige Auftreten ist alles, und wenn du nicht weißt, wie das geht, wirst du es schwer haben, die amerikanische Bevölkerung hinter dir zu vereinen. Ein Beispiel dafür, dass er das kann, ist, wie sich sein Ton seit der Wahl verändert hat: Er tritt ruhig und geschäftsmäßig auf, sehr respektvoll, sogar gegenüber den Clintons – also sehr präsidial. Er versucht nicht länger, die eine Hälfte der Bevölkerung zu mobilisieren und gegen die andere Hälfte zu stimmen, im Gegenteil: Er versucht, Amerika dazu zu bringen, die Stücke zusammenzusammeln und zusammenzuarbeiten.

Das war ein sehr aufschlussreiches Gespräch. Gibt es noch etwas, das du hinzufügen möchtest?

Ich denke, dass das, was wir hier grade machen, sehr wichtig ist. Offensichtlich stimmst du mit vielen meiner Ansichten nicht überein, aber dennoch sitzen wir hier und reden darüber. Ich glaube, wenn die Leute das öfter tun würden, wäre die amerikanische Gesellschaft nicht so gespalten, wie sie heute ist.

FOTO: CC Gage Skidmore auf flickr.com, unverändert

2 Gedanken zu “Warum wählt man einen Trump?

  1. „Hätten die Deutschen wählen dürfen, 82% hätten für Hillary Clinton gestimmt.“
    „Fast schon beiläufig, mir seiner Antwort sicher[…]“
    „Die öffentliche Meinung befand ihn aufgrund seiner Ausbrüche als untauglich für das Amt“

    Schade, die Autorin hat die wichtigste Erkenntnis aus dieser Wahl leider nicht verinnerlicht.

    1. Hallo Asa,

      ich bin mir nicht ganz sicher welche Erkenntnis du meinst. Ich habe beim Schreiben des Artikels aber bewusst meine eigene Annahmen VOR der Wahl mit einfließen lassen. Dass die öffentliche Meinung auf dem verkehrten Weg war, hat die Wahl sehr deutlich gezeigt. Dennoch wollte ich das Interview aus der Perspektive der erstaunten bis entsetzten Europäerin führen, die am Morgen nach der Wahl mit Donald Trump als Präsidenten aufwachte und die Welt nicht mehr verstand – besonders auch um den Unterschied zu den Positionen Roberts deutlich zu machen.
      Oder meintest du vielleicht etwas ganz anderes?

      Viele Grüße,
      Muriel

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