Bundestagswahl-Interview: Andreas May (Bündnis 90/Die Grünen)

Bundestagswahl-Interview: Andreas May (Bündnis 90/Die Grünen)

Foto: Sabine Matzen, Collage: L. Barth, L. Selbach & A. Sent

PHILIPP hat mit den Direktkandidaten des Kreises Marburg-Biedenkopf für die Bundestagswahl gesprochen. Andreas May von Bündnis 90/Die Grünen steht auf Landeslistenplatz 8, was ihm große Chancen bereitet, über die Zweitstimmen in den Bundestag einzuziehen. Im Interview spricht er darüber, wie er über Klimaaktivismus zu den Grünen kam und über seine besonderen Anliegen Bildung, bezahlbarer Wohnraum und Tierschutz.

Was sollten unsere Leser*innen über Sie wissen?

Andreas May: Ich bin 26 Jahre alt, im Taunus in der Nähe von Wiesbaden geboren und dort aufgewachsen. Das war eher ländlich, von einem kleinen Dorf mit 1000 Einwohnern war Marburg ein großer Sprung. Ich habe dann in Marburg Gymnasiallehramt mit den Fächern Deutsch und Politik und Wirtschaft studiert und habe mich danach für die Promotion entschieden. Ich wollte noch nicht in den Schuldienst. Ich wäre dann 24 gewesen und fand das ein bisschen früh fürs Referendariat, um dann den Schülerinnen und Schülern die Welt zu erklären. Ich wollte dann auch ein bisschen Abstand dazwischen haben und hatte Spaß am wissenschaftlichen Arbeiten. 

Hat Sie die Beschäftigung mit Politik im Studium dazu motiviert, in die Politik zu gehen?

Nein, eigentlich nicht. Das war nie so der Auslöser. Ich war durch das Studium ein bisschen offener dafür, grundsätzlich. Aber ich bin eigentlich zu den Grünen gekommen, weil ich was machen wollte. Wegen den vielen Krisen und Herausforderungen und Ungerechtigkeiten. Irgendwie fand ich das schwer zu ertragen, wenn man nicht parallel aktiv wird und was dagegen tut. 

Wegen welcher Krise haben Sie sich dazu entschieden? 

Das war teilweise im Zuge von Fridays for Future. Also es war vor allem durch Klima- und Naturschutz motiviert, aber auch im Tierschutzbereich. Ich bin dann irgendwann Vegetarier und dann Veganer geworden und habe immer mehr mit Tierrechten zu tun gehabt. Ich dachte, das muss ja auch mal in der politische Sphäre rein. Es ist ja ein höchst politisches Thema, wie wir mit Tieren umgehen. Das war irgendwie klar für mich: Wenn man da wirklich was drehen will, dann reicht eben Aktivismus nicht aus, sondern das muss auch von der Politik stärker verfolgt werden. 

Was ist für Sie das wichtigste Anliegen, das Sie im Bundestag umsetzen wollen würden?

Im Wesentlichen ist es die Bildung, also dass wir eine ausgeprägtere, stärkere Bildungsfinanzierung bekommen. Die Länder, die ja wegen des Bildungsföderalismus maßgeblich dafür verantwortlich sind, können eben auch nur das leisten, wofür sie von oben Unterstützung bekommen. Wir haben jetzt ein Startchancen-Programm, durch das sehr, sehr viele Schulen massiv unterstützt werden, was die Infrastruktur angeht, aber insbesondere auch das Personal im Bereich Sozialarbeiter, Schulpsychologen und so weiter. Aber der Bedarf ist weitaus größer als nur die 4.000 Schulen, die das aktuell betrifft. Ich glaube wirklich, dass massiv investiert und Bildung endlich als Ressource gesehen werden muss. Es bringt gar nichts bei Bildung zu sparen, weil sich jeder investierte Euro doppelt oder dreifach rechnet.

Nun endet die Bildung aber nicht mit dem Schulabschluss, sondern kann danach weiter gehen. Nehmen Studierende eine Rolle in Ihrem Wahlprogramm ein?

Ja, auf jeden Fall. Die Wissenschaftslandschaft verbinde ich auch mit Bildung. Ich habe die Schulen exemplarisch genommen, aber ich glaube, wir brauchen auch viel mehr Investitionen in die Hochschulen, eine bessere Finanzierung von Forschung und andere Arbeitsbedingungen, wenn ich jetzt an die Beschäftigten an der Universität denke. 

Aber auch für die Studierenden natürlich. Ich finde zwar, dass wir beim BAföG unter der Ampelregierung schon Erfolge hatten, aber dass es immer noch nicht so weit reformiert ist, dass es die tatsächlichen Lebenshaltungskosten finanzieren kann. Und dass BAföG auch endlich elternunabhängiger wird. Es gibt viele Konstellationen, wo man eben doch leer ausgeht, obwohl die Eltern nicht wirklich richtig Kohle haben. Das war bei mir zum Beispiel so: Mein Vater hat eine Rente und mit der kommt er auch zurecht, aber dadurch bin ich aus dem BAföG rausgefallen und dann ist man quasi gleichgestellt mit denjenigen, deren Eltern wirklich mehrere Millionen auf dem Konto haben. 

Ein wichtiges Thema für Studierende ist der Wohnraum, viele können sich die Mieten nicht mehr leisten oder haben mit Schimmel, Vermietern und verdreckten oder unrenovierten Häusern zu kämpfen. Ist Ihnen diese Problematik präsent?

Ja, absolut. Ich glaube, bezahlbares Wohnen ist die Zukunftsherausforderung. Es trifft einen natürlich umso härter, wenn man noch kein geregeltes Einkommen hat. Ich glaube, das wird ein Thema sein für die nächste Regierung, egal wer in ihr ist. Ich bin mal gespannt, wie da eine CDU-Fraktion mit der Mietpreisbremse, die jetzt auch wieder auslaufen soll, umgeht. Wir wollen, dass die Mietpreisbremse verlängert, aber auch verschärft wird, damit es nicht so viele Ausnahmeregelungen gibt. Es gibt ja zum Beispiel Situationen, wo dann eine Wohnung als möbliert inseriert wird, da steht dann ein altes Sofa drin und deswegen kann man sie deutlich teurer vermieten. Dieser Wucher muss effektiv bekämpft werden. Auch sollte die Mietpreisbremse für neuere Wohnungen greifen.

Studierende werden oft vergessen. Das hat man zum Beispiel in der Pandemie gemerkt, dass diese Gruppe von Menschen – Studierende, Auszubildende – keine Lobby hat und über ihre Belange in der Politik nicht gesprochen wird. Haben Sie vor, daran etwas zu ändern? 

Ich habe jetzt eher Kinder und Jugendliche im Kopf, wo das noch krasser ist, dass da gar keine größere Lobby besteht. Aber bei Studierenden als Gesamtgruppe… Natürlich braucht es mehr Austausch, bei dem man auch vor Ort ist und präsent. Das nehme ich mir zumindest vor, auch in Austausch zu gehen mit jungen Menschen. Ich glaube, ich habe einfach durch mein Alter und die Arbeit an der Uni noch einen anderen Blick darauf und auch die Bereitschaft und das Interesse, sich da auf jeden Fall zusammenzusetzen und miteinander zu sprechen, nicht übereinander.

In der deutschen Politik geschieht gerade eine Diskursverschiebung in Richtung des Themas Migration. Dabei ist Klima immernoch das wichtigste Thema für viele Bürger*innen, gerade für die junge Generation. Welche Konsequenzen sehen Sie auf die deutsche Politik zukommen? 

Ich würde sagen, dass der ganze Wahlkampf, aber insbesondere seit zwei, drei Wochen, irgendwie ein Ablenkungsmanöver ist. Also dass für Parteien, die offensichtlich kein Konzept und keine Gegenfinanzierung haben für die Bereiche, die wir jetzt besprochen haben – also Bildung, soziale Gerechtigkeit, Infrastruktur, Gesundheit, Ungleichheit und vor allem Klimaschutz – diese Themen hinten runterfallen. Es ist ein Wirtschaftswahlkampf. Es gibt ja auch einige Untersuchungen, in denen das Thema wieder deutlich nach vorne gerückt ist. Wir haben die 1,5-Grad-Grenze gerissen. Also für mich wird das Thema auch zur Mutter aller Probleme gemacht, damit man eben nicht wirklich mal strukturell über die wichtigen Sachen sprechen muss. 

Sprechen Sie von Klima oder Migration? 

Das Thema Migration wird sehr gepusht und sehr hochgehalten, weil die CDU das stark besetzen kann und will. Auch der gesamte weitere Wahlkampf wird wahrscheinlich darauf aufbauen. Das führt natürlich dazu, dass das Thema Klima hinten runterfällt. Aber gerade da ist es, glaube ich, irgendwie wichtig, dass die Grünen weiter beteiligt sind und auch bestimmte Dinge als unverrückbar ansehen.

Also ob das jetzt Klimaneutralität ist, die wieder in Frage gestellt wird, oder auch dass die Politik Industrie und Klimaschutz immer wieder als entweder oder versteht. Ich bin davon überzeugt, dass wir beides zusammen machen können. Auch Soziales, Klima- und Naturschutz kann man gut kombinieren, wenn man den sozialen Ausgleich mitbedenkt. Es gibt dann auch Politiker bestimmter Parteien, die immer wieder versuchen in Richtung Migration und Sicherheit zu argumentieren, weil sie einfach nicht so richtig ranwollen. Dann müsste man ja anerkennen, dass man sowas wie eine Schuldenbremse nicht gebrauchen kann, wenn man eben bestimmte Dinge korrigieren oder investieren will. Also ich kann nicht 100 Milliarden in die Bildung investieren, wenn ich mich an eine Schuldenbremse halten will.

Wie würden Sie vorschlagen, dass stattdessen (Klima-)Politik gemacht wird?

Ich glaube wir müssen den klaren Kurs einfach weiter fortsetzen. Ich glaube da hat die Ampelregierung jetzt einen klaren Pfad beschritten, nachdem 16 Jahre viel unklar war, aber jetzt besteht die Gefahr, dass der zurückgedreht wird. Deswegen müssen wir klar sagen, das Ziel ist 2045 zu 100 Prozent klimaneutral zu sein. Neben der Transformation der Wirtschaft wollen wir den Strom bis 2035 komplett klimaneutral produzieren, das passiert mit dem Ausbau von Wind und Solarenergie. 

Würden sie den Umgang mit dem Thema Migration als Gefahr für Deutschland einschätzen, wenn so weitergemacht wird wie bisher? 

Total, was gerade passiert, ist wirklich brandgefährlich. Auch dass Parteien der Mitte da hinterherlaufen und Narrative übernehmen, ist sehr schädlich. Also es gibt sicherlich Probleme, sage ich jetzt mal als Kommunalpolitiker. Viele Kommunen sind zum Beispiel überfordert mit der Unterbringung von Migrant*innen, mit der Integration, mit der finanziellen Situation, weil das Ganze natürlich auch Geld kostet. Natürlich gibt es auch noch Dinge zu tun im Bereich von Sicherheit. Nicht alles, was angesprochen wurde in den letzten Wochen, ist grundsätzlich falsch. Aber man muss genau schauen, was man fordert. Die gesamte Stimmung wird ja eigentlich vergiftet, sodass Migration ausschließlich negativ gesehen wird. Dabei brauchen wir massiv Fachkräfte und Arbeitskräfte. Wir schaffen ein migrationsfeindliches Klima, das wir uns nicht leisten können. 

Ein groß diskutiertes Thema ist im Moment auch die Beteiligung Deutschlands in Israels Krieg mit Palästina. Wie stehen Sie dazu?

Das ist ein schwieriges Thema. Es gibt keine einfachen Antworten zu diesem Konflikt. Das ist eine Sache, die wir sehr emotional diskutieren, weil ja auch viele davon betroffen sind, ob das Familie ist oder Freunde. Also ich kann schon verstehen, dass da Demonstrationen stattfinden. Die Haltung der Grünen ist differenziert, aber trotzdem recht klar, was die Unterstützung von Israel und auch das Existenzrecht Israels angeht. Man muss aber nicht entscheiden, wem mehr Mitgefühl gilt und wessen Leid mehr zählt. Man muss immer wieder an die Verhältnismäßigkeit erinnern und auch daran, dass Völkerrecht gewahrt werden muss. Kritik an der Regierung Israels ist legitim, aber natürlich gibt es auch solche Demonstrationen mit ganz anderen Stimmen. Sowohl in der einen als auch in der anderen Richtung läuft viel falsch. Das Ziel muss weiter sein, eine Zwei-Staaten-Lösung und einen Waffenstillstand zu organisieren.

Zum Abschluss: Was ist ein Fun-Fact über Sie, den Sie noch nie in einem Interview erzählt haben? 

Ich wurde letztens nach einem Lebensmotto gefragt, das war genauso überraschend, weil ich da nicht so darauf vorbereitet war. Meine Eltern haben einen Golden Retriever, der am Mittwoch [12. Februar] 15 Jahre alt wird. Ich glaube, das ist rekordverdächtig. Außerdem hatte ich schon immer eine Leidenschaft für die Farbe grün, vom grün gestrichenen Zimmer bis zur grünen Kleidung.

(Lektoriert von ans und jap.)

schiller

ist 24 Jahre alt und studiert Literaturvermittlung in den Medien, sieht sich selbst aber immernoch als Anglistin. Sie weiß nichts über vieles, aber alles über Jane Austen. Seit November 2024 in der Chefredaktion tätig.

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