Das Klimaschutzkonzept der Uni Marburg – Was dahinter steckt

Das Klimaschutzkonzept der Uni Marburg – Was dahinter steckt

Warum ein Klimaabkommen der UN für deutsche Universitäten nicht mehr als Symbolcharakter hat, erklärt euch PHILIPP. Außerdem klären wir, wieso die Deadline für Klimaneutralität der Uni Marburg nicht dem eigenen Ehrgeiz entspricht und wie der Plan der Uni für kurz- und langfristigen Klimaschutz aussieht. Dazu sprachen wir auch mit Uni-Präsident Prof. Dr. Thomas Nauss über das Klimaschutzkonzept. 

Vor etwa zwei Jahren wurde die jährliche Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP 26) in Glasgow abgehalten. Dort verpflichteten sich 1050 Hochschulen aus aller Welt bis 2030 die eigenen Emissionen zu halbieren und bis 2050 vollständige Klimaneutralität zu erreichen. Auffällig dabei: Aus Deutschland beteiligten sich nur vier Fachhochschulen. Was aufgrund der drängenden Klimafragen erst einmal befremdlich anmutet, hat jedoch einen erfreulicheren Hintergrund. Die ausgegebenen Klimaziele sind den meisten deutschen Universitäten wohl einfach nicht ehrgeizig genug gewesen. Ein Beispiel: Die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt beteiligte sich an den klimapolitischen Zielsetzungen der UN und verpflichtete sich somit zur Klimaneutralität bis 2050. Ein Blick auf die Website der Uni verrät jedoch, dass sie in Eigeninitiative schon bis 2025 emissionsfrei werden will. Darüber hinaus sieht das Land Bayern sowieso vor, dass der gesamte Freistaat bis 2040 klimaneutral sein wird. Eine Beteiligung von bayerischen Hochschulen und Universitäten an den Zielen der COP26 hat deswegen, wie im Falle der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, nicht mehr als symbolischen Charakter.

Hessische Vorgaben

Die Landesregierung in unserem Bundesland setzt sich das Ziel, bis 2045 ein treibhausneutrales Hessen zu schaffen. Auch das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung sieht diese Deadline vor. Die hessischen Universitäten jedoch sind an den Hessischen Hochschulpakt gebunden, nach dem die gesamte hessische Landesverwaltung (zu der Unis und Hochschulen gehören) bis 2030 emissionsfrei sein muss. Durch die Vorgaben im Hessischen Hochschulpakt wird auch klar, woher die Zielsetzung der Philipps-Universität kommt, eine Klimaneutralität bis 2030 zu erreichen – die Uni hat schlichtweg keine andere Wahl. Aus ihrer Website geht das nicht wirklich hervor, hier wirkt es eher wie ein selbst auferlegtes, ungewöhnlich ehrgeiziges Ziel. Um die entsprechende Information zu finden, muss man sich erst kleinteilig den Weg durch die halbe Website bahnen und den PDF-File zum Hessischen Hochschulpakt downloaden.

Deutlich transparenter ist die Marburger Uni jedoch mit den Angaben der schon erreichten und noch ausstehenden Nachhaltigkeitsziele. So kann online das 2019 ausgearbeitete Klimaschutzkonzept eingesehen werden und es wird über anstehende Nachhaltigkeitsprojekte informiert. Das Klimaschutzkonzept ist mehrdimensional in verschiedene Arbeitsfelder geteilt.

Aufschlüsselung des Klimaschutzkonzepts

Im ersten Arbeitsfeld soll die Klimabilanz erfasst und die Öffentlichkeit über die Klimaproblematik informiert werden. Der zweite Punkt befasst sich mit einer CO2-gerechten Bauplanung. In den nächsten Jahren werden viele Gebäude der Universität saniert werden müssen. Die Sanierung des Hörsaalgebäudes ist bereits angelaufen, in naher Zukunft sollen etwa das Savignyhaus (das Hauptgebäude der Rechtswissenschaften) und die Mensa im Lahntal folgen. Bei den Sanierungsarbeiten sollen Maßnahmen ergriffen werden, durch die die Hälfte des momentanen Energieverbrauchs eingespart wird. Mit der Philosophischen Fakultät gibt es jedoch auch Gebäude, bei denen eine Sanierung nicht mehr durchgeführt werden kann. Bis 2031 soll die PhilFak deswegen nach und nach freigezogen werden. Als Ersatz sollen dann die bis dahin energetisch sanierten Gebäude in der Robert-Koch-Straße bereitstehen.

Ziel der Uni ist es darüber hinaus, die eigene Flächenbilanz zu verbessern. Uni-Präsident Thomas Nauss erklärt PHILIPP dazu, dass die Uni in den letzten Jahren immer größer wurde, der Flächenverbrauch immer weiter anstieg. Diesen Trend möchte Nauss aufhalten, indem er gegen bürokratische Auflagen ankämpft. So seien beispielsweise die Vorgaben für die Büros von Professor*innen nicht realitätsnah und zu hoch angesetzt. In der Praxis benötige man nur ein Viertel dieser Fläche tatsächlich. Auch andere behördliche Auflagen behindern Nauss nach eigenen Angaben immer wieder: So wünscht er sich auf der Südseite des Mensagebäudes eine Photovoltaik-Anlage, weiß aber, dass dieses Vorhaben wahrscheinlich nur schwer zu realisieren sein wird. Bei der 1962 fertiggestellten Mensa handelt es sich nämlich um ein Kulturdenkmal.

Im dritten Arbeitsfeld des Klimaschutzprogramms werden die CO2-minimierenden Beschaffungsprozesse vorgestellt. Die Uni möchte hier sicherstellen, dass bei Neuanschaffungen besonders die CO2-Bilanz berücksichtigt wird. Außerdem soll auf einen niedrigen Energieverbrauch bei den Neuanschaffungen geachtet werden.

Das vierte Arbeitsfeld nimmt die Bediensteten und Studierenden der Uni in die Pflicht: Durch „Verhaltensänderung und Nutzeraktivierung“ soll Energie eingespart werden. Die jeweiligen Nutzer*innen sollen die Geräte der Universität nicht auf Standby stehen lassen, sie nur bei aktivem Gebrauch aktivieren. Uni-Präsident Nauss sieht hier großes Einsparungspotential: „Strom ist zu 90% Nutzer- und Nutzerinnenverhalten.“

Die systematischen Strategien der CO2-Reduktion bilden das fünfte Arbeitsfeld. In der Pandemie erworbene Fähigkeiten der Digitalität sollen den Weg in den studentischen Alltag finden. So sollen etwa bestimmte Konferenzen und Tagungen online stattfinden, sofern dies ohne Abstriche umzusetzen ist. Die Fähigkeiten im Umgang mit der digitalen Lehre sollen außerdem die Lehrvielfalt erweitern. Diese Überlegungen, die zum Teil auch schon umgesetzt wurden, bieten durchaus ein gewisses Einsparungspotential. Doch gerade hier dürfen gewisse rote Linien nicht überschritten werden, die Digitalität darf nicht zu einer Anonymisierung im Studium führen. Die tatsächlichen Einsparungen würden nämlich in keinem Verhältnis zu den Nachteilen stehen, die bei einer zu extremen Umsetzung entstehen.

Das sechste und letzte Arbeitsfeld beschäftigt sich mit dem Austausch mit anderen Hochschulen. Zusammen will man Anregungen sammeln und Erfahrungen austauschen.

„Wenn Mainova auf CO2-neutrale Fernwärme umschaltet, dann sind die klimaneutral und haben dafür gar nichts selber getan“

Wie unterschiedlich jedoch die Ausgangssituationen zahlreicher hessischer Universitäten sind, zeigen verschiedene Beispiele: Die TU Darmstadt ist im Besitz eines Elektronenbeschleunigers – ein echter Energiefresser. Im Gegensatz zur Philipps-Universität besitzen benachbarte Unis wie Gießen oder Frankfurt beispielsweise neuere Räumlichkeiten, die entsprechend energieeffizienter sind.

Uni-Präsident Nauss erklärt PHILIPP dazu, dass es sich während der Energieknappheit für die Goethe-Universität noch nicht einmal wirklich gelohnt hätte Energieeinsparungen, etwa durch Heizungsregulierungen, vorzunehmen. Die Philipps-Universität ist außerdem in der besonderen Situation auf den Lahnbergen das Wärmenetz in Eigenregie führen zu müssen, Uni-Präsident Nauss blickt auch hier etwas neidisch auf die Frankfurter Uni: „Wenn Mainova (Anm .d. Red.: der Frankfurter Energieversorger) auf CO2-neutrale Fernwärme umschaltet, dann sind die klimaneutral und haben dafür gar nichts selber getan“. In Marburg hingegen müsse man selbst tätig werden, um Klimaneutralität bezüglich der Fernwärme zu erreichen. Doch jede Medaille hat zwei Seiten: So besitzt die Universität auf den Lahnbergen die Entscheidungsfreiheit und konnte deswegen dort ein energieeffizientes und weitgehend CO2- neutrales Hackschnitzelheizwerk installieren.

„Wir haben das beste Klimaschutzkonzept.“

Das Klimaschutzkonzept der Uni ist ausführlich und technisch sauber ausgearbeitet. Gerade die Tatsache, dass viele der Maßnahmen bereits angelaufen sind, lässt auf vollständige Umsetzung hoffen. Die Philipps-Universität hat es dabei zugegebenermaßen nicht leicht: Viele Gebäude sind alt und sanierungsbedürftig, außerdem steht 2031 mit der Aufgabe der PhilFak ein großer Umbruch an, die energetische Sanierung für die Ersatzräumlichkeiten steht derweil noch aus. Uni-Präsident Nauss ist jedoch zuversichtlich, was die Zukunft betrifft: „Wir haben das beste Klimaschutzkonzept.“ Das bleibt zu hoffen, wir werden es nämlich brauchen.

(Lektoriert von let, jok und hab.)

ist 2001 in Hessen geboren.
Studiert Geschichte im Bachelor und ist bei PHILIPP in der Redaktion tätig.

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