Sechs Marburgerinnen erzählen von ihren #metoo-Erfahrungen

Sechs Marburgerinnen erzählen von ihren #metoo-Erfahrungen

Tausende von Frauen haben unter dem Hashtag #metoo ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt geteilt. Hier erzählen sechs Marburgerinnen anonym von ihren Erlebnissen.

Lisa*, 20
: Als ich fünfzehn Jahre alt war, bekam ich Nachhilfeunterricht in Mathematik. Nachdem mein bisheriger Nachhilfelehrer seinen Job aufgab, wurde mir von der Agentur ein neuer Lehrer zugeteilt: Ein Physikstudent im 8. Semester. Nach einem lockeren Gespräch, in dem wir uns gegenseitig kurz kennenlernten, wirkte er ganz sympathisch, wenn auch ein wenig aufdringlich. Er fragte mich, ob ich einen Freund habe und während er mir die Kettenregel für die Differenzialrechnung erklärte, suchte er immer wieder Gelegenheiten unpassende Bemerkungen zu machen: »War ja klar, dass so ein süßes Blondchen nichts von Mathe versteht« oder »Ich würde ja schon mal ganz gerne wissen, was du mit deinem Freund im Bett treibst«. Er fand es witzig, mich „Mathe-Schneckchen“ zu nennen. Ich war immer ein Mensch der seine Meinung und Empörung klar und deutlich ausdrücken konnte. Aber in diesen 60 Minuten Unterricht fühlte ich mich taub und hilflos. Ich hätte sagen können, dass er seine Sprüche lassen soll, mir eine clevere Antwort ausdenken können oder einfach den Raum verlassen. Das alles konnte ich nicht. Ich verhielt mich ganz automatisiert, bis ich die Nachhilfe-Agentur wieder verließ. Dann wählte ich die Nummer meiner Eltern und erzählte ihnen alles. Die haben sich dann auch zum Glück schützend vor mich gestellt und mir geholfen. Dennoch wurde der besagte Lehrer lediglich von der Agentur abgemahnt. Er sagte, er hätte alles ironisch gemeint und ich sollte das doch locker sehen. Angeblich hat er auch nicht gemerkt, dass mich seine Aussagen erniedrigten oder dass das, was er getan hat, auch eine Form von sexueller Belästigung ist. Aber das war es.

Anonym: Ich lief also die Straße entlang mit dem Blick auf Google Maps, um den richtigen Weg zu finden. Mir kam ein Mann entgegen, der seltsam nahe an mir vorbeizugehen schien. Unsere Wege kreuzten sich und er grub seine Hand fest in meinen Hintern. Ein Schaudern lief mir den Rücken runter und mein Herz raste. Es passierte weiter nichts, er ging einfach an mir vorbei, als wäre nichts gewesen. Als ich in meinem Umfeld davon erzählte, hörte ich dann Sätze wie »Dann geh nicht alleine nach Hause«, »Pass halt besser auf dich auf« oder »Dann kleide dich so, dass Männer sich nicht davon angezogen fühlen«. Diese Worte haben mich ein zweites Mal verletzt, weil sie Schuldgefühle und Zweifel in mir ausgelöst haben. Doch das ist unangemessen und herabwürdigend. Auch solche Worte schränken meine Freiheit ein. Auch solche Worte reproduzieren und legitimieren sexuelle Übergriffe.

Laura*, 22, Ich habe eine Zeit lang in einem Restaurant gearbeitet. Einer der Mitarbeiter ließ immer seiner Hand über meinen Hintern fahren, wenn er hinter mir vorbei ging. Oft suchte er Körperkontakt und machte unangenehme, anzügliche Kommentare. Meinen Kolleginnen ging es da nicht anders. Eine bat mich sogar, abends noch ein bisschen im Laden zu bleiben, weil sie nicht mit ihm alleine sein wollte. Da er aber ein Verwandter des Chefs war, konnten wir nicht wirklich viel gegen ihn ausrichten. Ich habe kurze Zeit später wieder gekündigt, weil es mir einfach zu unangenehm war.

Mariella*, 23, Ich bin 16 Jahre alt und feiere zum ersten Mal Karneval auf der Kölner Domplatte. Ich unterhalte mich mit zwei Typen, sie sind ein wenig älter als ich. Plötzlich zieht einer von ihnen mich zu sich heran und drängt mit seiner Zunge in meinen Mund. Ich versuche mich loszureißen, doch er hält mich fest. Als er fertig ist, schubst er mich zu seinem Freund, damit er dasselbe tun kann. Ich schaffe es mich zu befreien und renne weg. Ich war seitdem nicht mehr an Karneval in Köln.

Ellie*, 20, Samstagabend in einem Club in der Oberstadt. Wir sind eine Vierer-Gruppe Mädels. Die Musik trifft grade nicht so den Geschmack von mir und einer Freundin und wir gehen eine rauchen. Sie hat ihre Tasche bei Bekannten am Tisch abgestellt und sucht dort nach ihren Zigaretten. Ich stehe also nicht unmittelbar neben ihr, weil ich mich nicht auch noch hoch zu den Tischen quetschen will, also warte ich davor. So kommt es, dass schräg zwischen ihr und mir vier junge Männer stehen. Alle vier und zwei von ihnen ganz besonders haben ihr nicht nur mehr als offensichtlich in den Ausschnitt geglotzt, sondern auch mit Mimik und Gestik mehr als untermauert, wie geil sie das finden. Da meine Freundin ihre Zigaretten gesucht hat, hat sie die Belästigung nicht mitbekommen. Ich aber schon. Die ganze Szene war so herabwürdigend und ekelhaft, dass ich kurzerhand an den Männern vorbeigelaufen bin und sehr deutlich gesagt habe, dass sie sich was schämen sollten. Die Reaktion auf meinen Verteidigungsversuch: Zwei von den vieren haben mich lauthals ausgelacht und die andern haben mich belächelt. Frei nach dem Motto: »Was willst du denn jetzt? Spiel dich nicht so auf. Hab dich nicht so. Ist doch alles ganz normal was hier grade passiert ist.«

Anonym, 20, Ich habe in einem bayrischen Restaurant als Kellnerin gearbeitet. Dort hat jeden Sonntag das ganze Team Tracht angezogen. Einer meiner älteren Kollegen, um die 50, hat dies regelmäßig zum Anlass genommen uns jungen Kolleginnen »freundschaftlich«‘ die Hand um die Taille zu legen und witzige-anzügliche Bemerkungen zu machen. Die offensichtlichste sexuelle Belästigung fand auch an eben einem solchen Sonntag statt. Ich wollte in unserem Reservierungsbuch etwas nachschauen. Besagter Kollege stellte sich hinter mich um (angeblich) auch ins Buch gucken zu können, raunte mir aber ins Ohr wie schön die Aussicht doch sei. Dabei tat er weiterhin so, als würde er auch im Buch etwas nachschauen und nicht mir von oben in den Ausschnitt.

*Name geändert

FOTO: Pixabay (Fotomontage)


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Website: www.maennerfragen.de
Angebot: Beratung bei sexualisierter Gewalt; auch Täterarbeit

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