PHILIPP-News: „Wir wollen in unserer Demokratie alt werden“ – Demo gegen Rechts

PHILIPP-News: „Wir wollen in unserer Demokratie alt werden“ – Demo gegen Rechts

„Wir sind die nicht mehr schweigende Mehrheit“, brüllt ein älterer Herr mit Blindenstock in der wachsenden Menge an Menschen, deren Anzahl später mit 16.000 beziffert wird. Zu viele, als dass der Demonstrationszug in die Oberstadt wandern könne, wird auf der Bühne vor der Masse angekündigt. Man bleibe daher am Erwin-Piscator-Haus. „Das ist die tollste Stadt der Welt. Sechzehntausend Menschen. Das ist unerreicht, wenn man berücksichtigt, dass das hier eine kleine Stadt ist“, sagt Oberbürgermeister Thomas Spies.

„Sehen wir etwa aus wie ein Problem?“

Florian von der Band Arkaden singt auf der Bühne: „Was fühlt ein Mensch, der alles verloren hat? Das nicht zu wissen, nennt man Wohlstand.“ Daraufhin betritt Oberbürgermeister Spies das Podium: „So hat es auch damals angefangen. Mit offensichtlichem Rassismus. Nie wieder ist jetzt“, sagt er und weist darauf hin, dass damit „wir alle“ gemeint sind. 120 Gruppen und Vereine hätten sich der Demonstration angeschlossen. 

Der Ausländerbeirat der Stadt tritt als nächstes an das Mikrofon und macht auf den heutigen Holocaust-Gedenktag aufmerksam. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee die Gefangenen aus dem Konzentrationslager Auschwitz. „Allen, die von Remigration faseln, denen sagen wir laut ins Gesicht: Wir sind hier und wir bleiben hier. Und ihr braucht uns doch. Wir sind eure Bademeister*innen, Busfahrer*innen, Forscher*innen“, sagt die Sprecherin des Ausländerbeirates und zählt daraufhin verschiedene weitere Berufe auf: „Wir brauchen uns gegenseitig. Selbst die AfD braucht uns, sonst hätten sie nichts zu meckern. Was würden sie tun ohne Feindbild? Wie man sieht, läuft nichts in diesem Land ohne uns. Wenn es uns nicht gäbe, müsste man uns erfinden.“ Applaus und Lachen folgen. Dass Migration über alle Parteien hinweg durchweg als negativ thematisiert werde, kritisiert die Sprecherin weiter und fragt: „Sehen wir etwa aus wie ein Problem?“

„Wir wollen auch in unserer Demokratie alt werden.“

Auch die Vorsitzenden des Kinder- und Jugendparlament sind auf der Demo: Marie und Lasse kritisieren die Bildungspolitik: „Wer über die Gefahren Bescheid weiß, wird sich klar gegen einen Rechtsruck in Deutschland stellen“, sagt Lasse. Deshalb, fordert Marie, müsse es Aufklärungsarbeit „an allen Schulen gleichermaßen“ geben: „Wir wollen auch in unserer Demokratie alt werden.“ Und dann singt Rose Letso Steinhoff die italienische, antifaschistische Hymne Bella ciao.

Michael Heini folgt der Sängerin auf der Bühne. Er vertritt die Geschichtswerkstatt Marburg: „Ich spreche leider über vergangene, weniger tolerante Zeiten“ – schnell wird klar, dass er damit insbesondere Marburg meint: Marburg sei keine Ausnahme gewesen, sondern eine Stadt, die brauner war als andere. Ganz vorn dabei seien Studierende gewesen, organisiert in Burschenschaften und Verbindungen. Er nennt sie die „Speerspitze“ der völkischen Bewegung in Marburg und sagt: „In Marburg gibt es solche Studenten immer noch oder schon wieder.“ Auch wenn die allermeisten der Studierenden eben nicht rechts seien. Er weist auf jene Verbindungen und Burschenschaften hin, die Politikern wie Björn Höcke eine Plattform bieten und bundesweit vernetzt seien mit rechtsradikalen Organisationen und Teilen der AfD: „In den Burschenschaften Rheinfranken, Normannia Leipzig und Germania fühlen sich viele als Elite der rechtsradikalen Bewegungen.“

„Die Wissenschaft lebt international.“

Universitätspräsident Thomas Nauss tritt daraufhin auf die Bühne und sagt, dass rechtes Gedankengut auch die Wissenschaftsfreiheit gefährdet. Perspektivenvielfalt sei essenziell in der Wissenschaft und dabei zähle bloß das Ringen um die beste Lösung. Im Interview sagt er dem PHILIPP-Magazin weiterhin: „Die Wissenschaft lebt international.“ 

(Lektoriert von nir und hab.)

studiert im Master 'Soziologie' und 'Literaturvermittlung in den Medien'. Seit 2022 in der Redaktion sowie im Lektorat aktiv und seit Januar 2023 Chefredaktion von PHILIPP.

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