Sneak-Review #233: Infinity Pool
Design: Rebecca Größ-Ahr
Die Ecken und Kanten des Gebäudes wirken unter dem entblößenden Sonnenlicht fast körperlich, rechteckige Verzierungen ziehen sich, als scheinbare Erweiterung dessen, in labyrinthischen Mustern durch den gesamten Komplex. So auch die merkwürdig allgegenwärtigen Rohre, die sich organisch an den Bäumen vorbeischlängeln, aber anscheinend nirgendwo hinführen. Wofür benötigt man Rohre in einem Wald? Das legt zumindest der verwirrte Blick des Schriftstellers James W. Foster (Alexander Skarsgård) nahe, der mit seiner wohlhabenden Frau Em (Cleopatra Coleman) zu diesem Resort auf der Insel La Tolqa gereist ist. James durchlebt, nach dem ausbleibenden kommerziellen und kritischen Erfolg seines ersten Romans, eine Schreibblockade, die er durch die neue Umgebung zu überwinden versucht. Dementsprechend ist er für jede Erfahrung offen, auch wenn dieser Ort irreal auf ihn wirkt. Es findet sich sogar ein Fan seines kaum bekannten Erstlingswerks: Er trifft auf Gabi (Mia Goth), eine weitere Touristin, die ihn mit ihrem Mann (Jalil Lespert) immer weiter in einen schier endlosen Abgrund zieht.
Kryptisches Körper-Kino
Infinity Pool, der in der letzten in der letzten Sneak des guten Geschmacks gezeigt wurde, ist ein beklemmender Film, der sich einem konventionellen Verständnis entzieht, weil er keiner starren Dramaturgie folgt. Infinity Pool ist auch der dritte Film des Regisseurs Brandon Cronenberg, der damit an einige Aspekte seines vorherigen Sci-Fi-Horror-Filmes Possessor anknüpft und diese erweitert. Infinity Pool ist ein sich in Ebben und Fluten erzählender Bildstrom, dessen die Handlung wirklich lostreibendes Moment besser selbst entdeckt werden sollte, damit er seine volle Wirkung entfalten kann. So viel sei gesagt: James macht eine Entdeckung, die ihn enger an Gabi und ihre Gruppe bindet. Ihm wird ein Privileg zuteil, das nur den reichen Tourist:innen dieser auf sie angewiesenen Insel vorbehalten bleibt, eine besondere Form von Hedonismus. Ein Privileg, das Fragen über Identität aufwirft, die nicht klar beantwortet werden können. Wenn der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, dann könnte das Ich dem Ich ein Hund sein. Cronenberg erzählt eine Horrorgeschichte darüber, ob der Mensch sich selbst domestizieren und dadurch Dominanz über sich selbst gewinnen kann.
Diese Geschichte erzählt er mit einer vielseitigen, experimentellen Inszenierung, die besonders mit der Form des menschlichen Körpers spielt. Unwohlsein kommt auf, wenn auffällt, dass die Gesichter der Figuren fast nie in das Zentrum des Bildes gestellt werden. Sie nehmen viel häufiger die rechte oder linke Bildhälfte ein oder schweben in den Ecken. Diese Komposition hebt den negativen Raum hervor, die Leere, die diese hilflosen Köpfe umgibt, der in der Unschärfe kaum auszumachende Hintergrund unterstreicht die Fremde, die die Figuren fühlen. Entweder erdrückt der sie umgebende Raum die Figuren oder aber ihre Gesichter und Körperteile werden in solch extremen Nahaufnahmen gezeigt, dass sie wiederum als groteske Einzelteile ihre Umgebung völlig verschlingen. Beides fließt letztendlich ineinander über, die Landschaft wird als eigenständiger Körper wahrgenommen, die Rillen spröder Lippen als Felsformationen, Augen verkommen zu unbekannten, unnachgiebigen Tieren. Köpfe werden zu in der Unschärfe hängenden Planeten, die Schatten der Menschen zu verformten Aliens. Dabei traut sich der Film auch, sich seiner einem unangenehmen Schlafwandel ähnelnden Atmosphäre völlig hinzugeben. In assoziativ angelegten Sequenzen werden Körper, Gesichter und Gliedmaßen unscharf wabernd gebrochen, überblendet oder in gleißendes Neonlicht getaucht, nur um in einen kurzen Moment der Schärfe überzugehen, der dann schnell wieder verpufft. Cronenbergs Inszenierung vermag es, einen hypnotischen Sog zu kreieren, der den eigentlichen Alptraum, in dem man sich befindet, in einigen Momenten fast schon vergessen macht.
Dominante Traumlandschaften
Der Horror, den Infinity Pool kreiert, ist ein unterschwellig brodelnder, der nur in einigen wenigen Momenten in Zurschaustellungen von Gewalt ausbricht. Durch die Inszenierung wird es kein leicht zugänglicher Film. Es gibt keine schreienden Geister, keine plötzlichen Geräusche, die versuchen, als Horror durchzugehen und keine heimgesuchten Häuser. Stattdessen gleiten die Figuren von Szene zu Szene, häufig im Unverständnis darüber, was um sie herum und in ihnen wirklich passiert. Diese Verwirrung kann sich dabei auf die Zuschauenden übertragen und, je nach dem Grad der Offenheit für diese Art von Horror, zu Frustrationen führen. Ob die so durch den Film kreierte Irritation zu einem Anreiz für eine nähere Beschäftigung oder aber zu einer völligen Ablehnung führt, liegt im Ermessen der zuschauenden Person. Den Vorwurf der Prätention, mit dem Infinity Pool allein aufgrund seiner Beharrung auf abstrakten Bildfolgen anstelle von erklärenden Dialogen konfrontiert werden kann, muss der Film aushalten.
Brandon Cronenbergs existentieller Horror spielt sich auf und mit Körpern ab, deren Verhältnis zueinander und zu ihrer Umgebung, sowie zu den Identitäten, die sie scheinbar mit sich herumschleppen. Die Figuren sowie die Leistung der Schauspieler:innen, die sie spielen, schaffen es, den Film so weit zu erden, dass er ein solides Fundament für seine Abstraktionen erhält. Auch wenn sie genauso ungreifbar sein können, wie der Film es ist, erhalten sie durch die schauspielerische Leistung, besonders der Mia Goths, genug Eigenleben damit sie so etwas wie eine eigene Identität bilden können. Ganz genau lässt sich das aber nicht sagen. Letztendlich ist das Ich auch nur ein Trieb wie jeder andere.
Ein Experiment auch für die Zuschauenden: Infinity Pool wurde zu 35% positiv und zu 65% negativ bewertet.
Infinity Pool kommt am 20.04. in die deutschen Kinos.
ist seit Mitte Februar 2023 Redaktionsmitglied. Studiert Literaturvermittlung in den Medien. Hat den Film "Babylon" acht Mal im Kino gesehen. 25 Jahre alt. Liebt schiefe Vergleiche.
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