OB-Wahl-2015-Spezial #6: Rainer Wiegand (parteilos)

OB-Wahl-2015-Spezial #6: Rainer Wiegand (parteilos)

Marburg wählt! Und zwar eine*n neue*n Oberbürgermeister*in. Wer die Kandidat*innen sind, und mit welchen Floskeln und Wahlversprechen sie uns Studierende um den Finger wickeln wollen, könnt ihr in unserem OB-Wahl-Special nachlesen. In Teil sechs und damit dem letzten Part der Reihe trifft PHILIPP Rainer Wiegand (parteilos) am Marktbrunnen. Seinem, wie er selbst sagt, Lieblingsort in Marburg.

PHILIPP: Herr Wiegand, letzte Woche meinten Sie noch in Ihrer Mail, am Donnerstag haben Sie vermutlich Husten. Wie geht es Ihnen denn heute?

Rainer Wiegand: Ja heute, heute ist Marburg wunderschön. Wunderbare Fotomotive. Ich war bereits ’ne Dreiviertelstunde eher hier und habe schon die halbe Oberstadt abfotografiert. Und zwar schräg. Schräge Fotos.

Das ist ja toll. Sie wettern ganz gerne gegen die anderen Kandidat*innen. Aber warum sollten wir Studierende denn gerade Sie wählen?

In Marburg hat ja kein Oberbürgermeister, also völlig egal, wer das wird, eine Mehrheit im Stadtparlament. Da also kein Oberbürgermeister eine Mehrheit haben wird, oder die Oberbürgermeisterin – die vielleicht erst recht nicht – da wäre es für die Stadt eigentlich gut, einen Parteilosen als Mediator zu haben, der dann überparteilich am besten agieren kann.

Okay. Und was unterscheidet Sie von den anderen Kandidat*innen? Also was macht Sie besonders?

Naja zunächst eben, dass ich der einzige Parteilose bin. Ich bin sogar Partei-Parteiloser, weil der Kandidat von der PARTEI bin ich ja auch nicht. (kichert) Also hauptsächlich unterscheidet mich, dass ich eher in einem Boot sitze mit den Menschen, die regiert werden, als die Menschen, die regieren. Wie zum Beispiel mit ausländischen Familien, wenn Familienmitglieder nach Deutschland möchten. Vielleicht wissen Sie ja, dass ich eine Verlobte im Ausland habe. Da gibt es dann jedes Mal auch so ’n Spießrutenlauf für die Leute. Immer wieder für all diese Leute, genauso wie für mich: Kriegen wir da ein Visum oder nicht? Und die zahlen dann jedes Mal eine Höhe, die man sich hätte sparen können. Während gleichzeitig unser jetziger Oberbürgermeister erzählt, was für eine weltoffene Stadt wir doch sind.

Das ist ja auch der angebliche Antrittsgrund von Ihnen: Dass Sie das machen, um ihre Verlobte nach Marburg zu holen. Was ist denn da dran?

Also es ist ja nun mal so, dass am Ende nichts in der Presse geschrieben wird, was tatsächlich gesagt wurde. Mir ist es völlig egal, wer am Ende der Oberbürgersmeister wird, der Bamberger oder die Neuwohner – beide haben ja noch nix getan. Hier vorne (er zeigt Richtung Marktplatz), da war ich schon, als Steinmeier da sprach, der zu dem Zeitpunkt auch schon Außenminister war. Die Veranstaltung war eigentlich ein Hohn, weil dort ständig die Wähler von der Bühne herab verarscht wurden. Von den Anwesenden hat’s aber keiner gemerkt. Da entstand meine Motivation. Weil da frag ich den Dr. Spies, was ich machen könnte, dass meine Verlobte ein Visum bekommt. Und da sacht‘ der zu mir: Machen ’se doch mal ne Petition an den Landrat. Warum ist das jetzt so unverfroren? Weil jedes kleine Kind weiß, dass der Landrat völlig unzuständig ist – zumindest bei ’nem Visum. Also wenn ich auf seinen Rat gehört hätte und mir dann nach fünf Jahren Sammeln gesagt wird: „Herr Wiegand, Sie sind ja ganz schön dämlich, weil jedes Kind weiß ja, dass wir dafür unzuständig sind. Fangen ’se nochmal an und gehn ’se zum Bundestag.“ Da hab ich dann entschlossen, ich mach‘ das einfach an die Marburger – meine Petition ist jetzt der Wahlgang.

Also ist die Kandidatur ja doch irgendwie wegen des Visums…

Nein, naja, es ist ja so, ich bin ja nur zufällig in diesem Land geboren. Ich tret‘ doch nicht als Bittsteller auf, nur damit meine Verlobte mal mein Land sieht. Und ich bin eben als Parteiloser für die Verhältnisse im Stadtparlament doch für die Studierenden – die ja auch nicht in derselben Partei sind und manche sind sogar in gar keiner Partei – da bin ich doch als Überparteilicher idealer als jemand, der sich irgendwelchen Parteiinteressen oder gar irgendwelchen Absprachen oder am besten irgendwelchen Koalitionsklüngel verpflichtet fühlt. Ich bin ja nicht irgendwelchen Parteien verpflichtet. Zunächst mal bin ich dem gesunden Menschenverstand verpflichtet. Mein Programm ist eigentlich das Grundgesetzt, das hab ich ja auch immer dabei (er holt das Grundgesetz aus seiner Tasche) – mit oder ohne Nagel. (lacht)

Das war übrigens eine Anspielung auf seine Werke, die der OB-Kandidat, selbstnennend auch Künstler, auf seinem Satireblog veröffentlicht.

Was sagen Sie denn dazu, dass manche Leute Sie für verrückt halten?

Also mir ist völlig egal, was Leute über mich denken. Ob jemand mich für verrückt hält… Soll er.

Gut. Kommen wir zur Marburger Politik. Was ist denn ihr Standpunkt zu derzeitigen Problemthemen wie beispielsweise der Autozentriertheit, der Wohnungsnot oder der Diskussion um die Burschenschaft Germania?

Die Autos, die Autos, die Autos. Ja, die werden ja auch teilweise mit Faschismus verbunden. Obwohl es ja nicht Adolf Hitler war, der die Stadtautobahn gebaut hat. Die hat halt schon die SPD gebaut.

Aber darum geht’s hier ja gerade nicht…

Ja, also, es ist ja so, kein vernünftiger Mensch, oder sagen wir mal kein Student, würde eine Autobahn mitten durch eine Stadt bauen. Das würde kein Student machen. Das würde aber auch kein Mensch machen, der nicht studiert hat. Also eigentlich macht überhaupt kein vernünftiger Mensch – oder selbst ein unvernünftiger Mensch – würde das tun. Die Politik hat’s aber gemacht. Jetzt gibt es Podiumsdiskussionen, wo die Leute, die in den Parteien sind, die das Ding genehmigt haben, gefragt werden, welche Lösung sie für das von ihnen verursachte Problem vorschlagen. Dann werden die Antworten dieser Leute in die Zeitungen gedruckt. Ich hab da völlig andere Vorstellungen.

Na, was haben Sie denn für Vorstellungen?

Meine Vorstellung wäre: Die Stadtautobahn braucht tatsächlich kein Mensch. Wir könnten ja durchaus eine Umgehungsstraße bauen, aber das wäre ja nur eine Verlagerung nach draußen. Das Beste wäre eigentlich, wenn man tatsächlich die Drittellösung macht. Man kann’s außen herum legen und gräbt das Ding ein. So, dann stört das hier gar keinen, dann haben alle ihre Tunnellösung, die sie anstreben, dann sind alle glücklich und man sieht und hört nichts. Und da, da oben drauf, da würd‘ ich Wohnungen bauen, wo jetzt die Autobahn ist.

Und wie sehen Sie das Auto-Fahrrad-Dilemma?

Es ist halt so, man kann ja nicht alles gleichzeitig machen. Im Moment ist es so, dass die Radfahrer sich nicht trauen, auf der Straße zu fahren, dann fahren ’se auf dem Bürgersteig und ich kann dann schnell wegspringen. Aber es gibt ja auch Leute, die können das nicht so schnell. Die Fußgänger müssen da ja also auch beschützt werden. Aber die Fahrräder haben nun mal keinen Platz auf der Straße.

In der OP sagen Sie, Sie möchten den öffentlichen Verkehr kostenlos anbieten. Sehen Sie das als Lösung für weniger Verkehr?

Der öffentliche Verkehr kann natürlich nur in dem Bereich kostenlos gemacht werden, wo die Stadt Marburg selber Besitz dran hat. Da ist die Frage, inwieweit man die Gesellschaftsform der Stadtwerke ändern kann, damit das gehen kann. Da hab ich halt versprochen, falls mich die Wähler – oder eine gute Fee – zum Oberbürgermeister machen, dann würd‘ ich fünf Jahre lang dem Stadtparlament so auf die Nerven gehen, bis die dann doch irgendwann versuchen, das durchzudrücken. Einfach, damit ich still bin. Wenn die Stadtwerke mal anfangen, die Leute quasi kostenlos zu transportieren, dann würden doch viele auf ihr Auto verzichten. Das ist vielleicht nicht gut für die Autohändler, aber ich möchte ja nicht Wagen verkaufen, ich möchte, dass es hier besser funktioniert. Und besser funktionieren kann’s nur, indem wir hier alles verzerren, indem der Verkehr weniger wird, halt auf freiwilliger Basis. Das geht nur, wenn die Leute die Möglichkeit haben. Und meiner Meinung nach ist das gar nicht utopisch, weil letztlich spart ja die Stadt auch dabei. Da muss man eben ein bisschen tricksen, semantisch. Also man darf nicht sagen, dass das umsonst ist, weil für eine Sache, die umsonst ist, kriegen wir keine Zuschüsse vom Land und die brauchen wir. Es gibt so ein sehr interessantes Model von einem Marburger Piraten, das ist eine gute Idee. Da ist es mir völlig egal, von welcher Partei es kommt, wenn die Idee gut ist, muss man das machen.

Und die wäre?

Man nennt das ganze „Fahrscheinloses Fahren.“ Durch irgendeinen Trick, dass jetzt irgendjemand 50 Cent zahlt für ein Jahresticket, da ist es quasi umsonst, aber wir können es nunmal offiziell nicht umsonst nennen. Aber so will ich das, weil so ist das möglich.

Okay und jetzt noch ein Wort zur Burschenschaft.

Also, natürlich brauch‘ ich jetzt keine rechtsextremen Leute. Rein prinzipiell ist es so, es ist natürlich schon problematisch, wenn es hier Demos gibt, wo dann auf den Bannern  „Nazivilla Germania dicht machen“ steht. Das ist ein Privatgrundstück. Wie will man das denn dicht machen? Rein grundsätzlich – mein Programm ist ja das Grundgesetz – da kann ich ja nicht Leuten die Meinung verbieten, also kann ich ja auch nicht die rechtsradikale Meinung verbieten, ne?! Aber ich muss dann auch nicht unbedingt was für sie tun. Bei denen würd‘ ich ja erst recht kein Visum kriegen.

Und Thema Seilbahn?

Was soll denn ’ne Seilbahn? Wir sind ja hier nicht in den Alpen.

Richtig. Okay, Schluss mit Politik. Wie sieht denn für Sie ein perfekter Tag in Marburg aus?

Ja also wie jetzt gerade Sonnenschein und eine nette Unterhaltung. Ich bin jetzt eigentlich wunschlos glücklich erstmal.

FOTOS: Promo (Thomas Spieß, Dirk Bamberger, Elke Neuwohner, Jan Schalauske), Luis Penner (Marius Beckmann), Leonie Ruhland (Rainer Wiegand)

PHILIPP-Gründerin und Chefredakteurin von 2014 - 2017.

2 Gedanken zu “OB-Wahl-2015-Spezial #6: Rainer Wiegand (parteilos)

  1. „Mir ist es völlig egal, wer am Ende der Oberbürgersmeister wird, der Bamberger oder die Neuwohner – beide haben ja noch nix getan.“

    Da fehlt ein Wort, gesagt hab‘ ich „beide haben mir noch nix getan“.
    Das hat das Diktiergerät bestimmt verschluckt, das Wort.

  2. Ergänzung: nachdem meine Lippen zweimal das Wort „Land-RAT“ formten, während mein Gehirn „Land-TAG“ gedacht hatte, habe ich das in einem Satz dazu korrigiert, mit den Worten, die Leser sollen ja bitte nicht denken ich sei der Luger (das ist dieser Wiener Opernball-Heinz, der nie ein Problem hat für seine Opernball-Einladungen ein Besuchsvisum zu bekommen).
    Falls mir das während meiner Rede beim „PUNK-Frühschoppen“ auf dem Marktplatz am 5.7. passiert, bitte ich die Anwesenden mir die richtigen Worte zuzurufen, falls mir irgendein Wort gerade nicht einfällt.
    Kann schon mal passieren, daß ich mich zum Nazi-Dings äußern will, und wegen Unterzuckerung fällt mir gerede nur „Dings“ ein statt —— bitte richtiges Wort selbst einsetzen —–.
    Hilfreiche Mitbürger sollten mir dann als „Publikumsjoker“ im Chor das richtige Wort zurufen. Das wäre auch eine Form der direkten Demokratie!

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